Einer zu viel

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"Ich glaube, ich sterbe, Alec", maulte Jace einige Zeit später.

Seinen Kopf hielt er schon lange nicht mehr aufrecht. Stattdessen hatte er sich halb auf den Tisch vor sich ausgebreitet, den Kopf auf seine ausgestreckten Arme gestützt.

Sie hatten sich mittlerweile in eine abgelegenere Ecke der Bar zurückgezogen. Die Hälfte des Weges waren sie getaumelt und so war es vermutlich auch besser, dass sie nun nicht mehr mitten auf dem Präsentierteller saßen.

"Red keinen Blödsinn, Jace, du stirbst nicht", erwiderte Alec nun schon zum fünften Mal. "Das liegt am Tequila."

"Ach ja? Woher weißt du denn schon, wie ich mich fühle? Ich fühle mich vergiftet und du glaubst mir nicht! Woher kennst du dich denn auch mit Alkohol aus?", jammerte Jace weiter.

"Magnus mag Alkohol. Deshalb", erklärte Alec und hatte auf einmal Probleme damit, den Kloß in seinem Hals herunterzuschlucken.

"Magnus, natürlich."

Glücklicherweise schien Jace von selbst zu bemerken, dass sich Alecs Lust auf das Thema in Grenzen hielt, jedenfalls sprach er es nicht weiter an.

Eine Weile starrten sie beide nur vor sich hin, beobachteten durch die Fenster die Fußgänger vorbeiziehen, jeder in seinen eigenen Gedanken versunken.

"Alec, was wäre, wenn alles anders wäre? Wenn wir nie ins Elfenreich gekommen wären und ihr nicht hierher?", fragte Jace plötzlich.

Wie auf Anhieb zuckte Alec mit den Schultern. "Keine Ahnung, woher soll ich das wissen?"

"Ich mein ja nur, wo wären wir jetzt?"

Die Frage brachte Alec zum Nachdenken. Er wäre am Lichten Hof, mit seinen Geschwistern und seiner Mutter. Alles darüber hinweg wurde von einer dichten Nebelwand begrenzt. Dort gab es nichts sonst, oder? Er konnte sich beim besten Willen nicht erinnern. Nur ein bisschen Wald und Blätter, so viele Blätter. Wenn das alles war, was wollte man mehr?

"Ich hätte alles, was ich bräuchte", antwortete er.

"Oh", erwiderte Jace kurz angebunden, sein Tonfall klang resigniert. "Und was du jetzt hast, brauchst du das nicht?"

Schon wieder eine so komplizierte Frage. Schon wieder nachdenken. Warum konnte Jace damit nicht wannanders kommen?

"Mmmhhh", grummelte Alec lustlos. "Ich hab gesagt, ich hätte alles, was ich bräuchte. Nicht, was ich brauche."

"Du meinst, das ändert sich manchmal?"

Seine Sicht verklärte und drehte sich wie ein Wirbelsturm, als Alec seine Augen auf Jace' heftete.

"Jjjap."

Ohne zu blinzeln duellierten sie sich in ihrem Blickkontakt.

"Ahaa... ehh, was war nochmal die Frage?", gab Jace nach und Alec ließ verzweifelt seine Kopf auf dessen Schulter fallen.

"Ich brauche meine Familie", murmelte Alec, kaum noch im Stande, einen zusammenhängenden Satz zu formulieren.

"Izzy?", hakte Jace nach, seinen Kopf wieder zurück auf der Tischplatte, die dadurch nicht nur von unzähligen Gläsern, sondern auch von blonden Locken geziert war.

"Neee." Mit aller Kraft hievte Alec sich hoch und richtete seinen Zeigefinger gegen Jace. "Ich habe eine große Familie."

"Familie", wiederholte Jace gequält stöhnend, aber sein Gesicht zeigte ein warmes Lächeln. Es war zu knuffig.

Angetan pikte Alec mit seinem Finger nach den Grübchen in Jace' Wange.

"Mmrrrghhh, lass das!"

"Neee, du hast gesagt, du vertraust uns. Irgendwann mal. Glaub ich."

"Das heißt nicht, dass ich von dir begrabscht werden will."

"Aber ich vertrau dir auch!", versuchte sich Alec durchzusetzen, wobei es wohl eher nach einem Wimmern klang. "Du darfst das bei mir auch machen."

Demonstrierend führte Alec Jace' Finger zu seinem Gesicht und pikte sich selbst.

Jace war davon nicht begeistert und riss sich frühzeitig los.

Komischerweise kam Alec das vor wie die größte Zurückweisung seines Lebens und so konnte er, in seinem Zustand sowieso, nicht gegen die Mattigkeit ankämpfen.

Er legte seinen Kopf wie zuvor auf Jace' Schulter und schniefte tief in die schwarze Lederjacke.

"Das ist ekelhaft", murrte Jace, wehrte sich aber nicht.

"Ich hab jetzt eine große Familie, Jace", wiederholte Alec seine Worte, diesmal mit sehr viel labilerer Stimme. "Meine Mum fände euch ganz schön furchtbar."

"Hey!"

"Weil sie nicht da sein kann. Denkst du, sie schaut uns zu?", philosophierte er abwesend und schneuzte noch einmal in Jace' Armbeuge.

"Wenn ja, dann lacht sie dich gerade aus. Heulst wie ein Baby", gähnte Jace.

"Tu ich nicht."

"Stimmt, ein bisschen schlimmer bist du."

"Du bist gemein."

"Nein, ich bin Jace- Au!"

"Selbst schuld."

"Sei nicht traurig, Eltern sterben nun mal. Haben meine auch. Und trotzdem halte ich es aus.
Und deine war schon ziemlich alt, wenn man ehrlich ist. Wie alt genau eigentlich?"

Alec maulte auf. "Warum zwingst du mich die ganze Zeit zum Denken? Neunhundert? Neunhunderunddreiundvierzig?"

"Woah. Das ist alt. Bist du auch so alt?", fragte Jace ehrfürchtig.

Jace hatte Recht. Sie war alt. Und seine Eltern waren auch tot. Die waren bestimmt nicht so alt. Starb man besser jung oder alt? Am besten gar nicht, oder? Sie zumindest. Sie hätte nicht sterben müssen. Sie war unsterblich. So wie Magnus. Nein, nicht an Magnus denken.

"Mach dich nicht lächerlich. Ich bin siebzehn", antwortete Alec, als er sich wieder auf die Frage konzentrieren konnte.

"Mmh", murmelte Jace nur noch und legte seinen Kopf auf Alecs Arm.

"Ich dachte, du willst nicht begrabscht werden? Immerhin bin ich auch nicht Clary-"

"Klappe."

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Ich bin wieder ein bisschen am Schreiben, verzeiht mir aber die Unregelmäßigkeit.

Ich mache die A/Ns ab jetzt vielleicht in den Kommis, stört mich da irgendwie nicht so.

Alles Liebe xoxo

Tanz des Schicksals - Shadowhunters/MalecWo Geschichten leben. Entdecke jetzt