Tracking

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"Izzy, soll ich dir etwas zu Essen bringen?", fragte Clary besorgt.
Isabelle schüttelte nur den Kopf. "Ist Alec immer noch nicht zurück?", wechselte sie das Thema. Sie wollte nicht über sich sprechen. Schon gar nicht über Alilia.
"Nein. Er ist immer noch weg", antwortete Clary.
Nervös schwang Isabelle sich vom Bett hoch und lief in ihrer Höhle auf und ab. "Was ist, wenn ihm etwas passiert ist?"
"Alec weiß, was er tut", versuchte Clary sie zu beruhigen, aber es half nicht.
"Clary, er war noch nie so lange weg!", fuhr Isabelle sie an. "In der Mundiezeitrechnung ist er jetzt schon einen ganzen Tag weg!"
Clary legte ihre Hände auf Isabelles Schultern und bugsierte sie zurück zum Bett. "Denkst du nicht, dass du ein bisschen überfürsorglich bist?"
Stur drückte Izzy ihre Lippen aufeinander. "Nein", presste sie dann schließlich heraus.
Gegen ihren Willen fing ihr Unterkiefer an zu zittern. "Vielleicht, okay?", entfuhr es ihr und sie krallte aufgebracht ihre Finger in ihre langen Haare. "Vielleicht habe ich Angst, okay?"
Sie sprang wieder auf und begann wieder, vor ihrem Bett Kreise zu gehen.
"Meine Mutter ist tot und ich habe Angst, dass Alec das Gleiche passiert!" Sie konnte nicht verhindern, dass ihr die Tränen in die Augen stiegen, als sie sich zu Clary drehte. "Ich kann ihn nicht auch noch verlieren!"
"In Ordnung", sagte Clary und stand auf.
"In Ordnung? Was denn?", wiederholte Isabelle verwirrt.
"Wir gehen ihn suchen. Zieh dich um und steck dir Waffen ein", erklärte Clary.

"Als ich sagte, zieh dich um, meinte ich eigentlich etwas Robustes und Praktisches, so was wie..." Clary zeigte auf ihr Outfit. Sie trug eine schwarze Hose, flache Stiefel und einen grünen Pullover, der ihre Augen betonte, mit Protektoren an Unterarmen und Brust. "Nicht so was wie..." Nun deutete sie auf Isabelles Kleidung.
Sie trug eine enge schwarze Hose, kniehohe schwarze Stiefel mit Absätzen und ein enges dunkelrotes Oberteil mit einer Lederjacke darüber.
"Wenn ich etwas mache, dann mache ich es mit Stil. Und mein Stil heißt: Nichts unter sieben Zoll", erklärte Isabelle und steckte sich ein paar Dolche in die Scheiden, die sie unter ihrem Stiefel um ihr Bein gebunden hatte. Danach wickelte sie sich ihre Peitsche um den Arm. Sie war ein Geflecht aus Liane und den Haaren eines Einhorns. Die Peitsche war ein Geschenk von Alilia gewesen. Sie hatte damals gesagt, dass die Elben normalerweise nicht mit Peitschen kämpften und es eher eine Waffe der Schattenjäger war, aber sie der Meinung war, sie würde zu Isabelle passen.
"Bist du bereit?", fragte sie.
Clary nickte. "Ich habe fünf Dolche in meiner Kleidung versteckt. Was kann schon schiefgehen?"
Was konnte schon schiefgehen? Eine Menge. Entweder konnte Alec gemütlich bei Magnus sitzen und mit ihm herumturteln oder er war wer weiß wo, lag vielleicht irgendwo tot, eiskalt ermordert wie Alilia.
Izzy wühlte in ihrer Schublade herum, bis sie fand, was sie suchte: Simons Plättchen.

"Da vorne!", rief Clary und schon überholte Isabelle sie, um das Gelände des Instituts zu betreten und die Treppen hochzulaufen.
"Meinst du, wir können hier anklopfen?", fragte Clary, aber Isabelle war schon dabei, die schwere Tür zu öffnen.
"So geht's auch", murmelte Clary und folgte ihr aus der nächtlichen Frische nach innen.
"Und wohin jetzt?", drängelte Izzy.
"Am besten fragen wir Jace."

Das Institut war überraschenderweise ziemlich leer, sodass sie keiner einzigen Menschenseele begegneten.
Vor Jace' Zimmertür hielt Clary Isabelle gerade rechtzeitig davon ab, die Tür aufzureißen, und klopfte stattdessen an.
"Herein", rief jemand von innen und schon hatte Isabelle die Tür geöffnet.
Jace lag mit einem Buch in der Hand auf seinem Bett. Er trug eine schwarze Hose. Sein Oberkörper war unbekleidet und von Runen und Narben bedeckt.
Sobald er die beiden erblickte, sprang er auf und sein Blick blieb an Clary hängen.
"Clary", sagte er. Er klang überrascht, aber auf eine Weise, die Clary sich nicht erklären konnte, auch erleichtert.
"Jace." Clary konnte nicht verhindern, dass ein kleines Lächeln auf ihre Lippen huschte und ihr Blick kurz auf seiner nackten Brust lag. Sie hatte nicht gedacht, dass sie Jace demnächst wiedersehen würde, und sie freute sich mehr als sie erwartet hatte.
"Das ist ja wirklich schön", durchbrach Isabelle die Stille, "wie ihr euch hier anschmachtet. Aber dein hübscher Freund hier wird uns jetzt gefälligst helfen, meinen Bruder zu retten."
"Dein Bruder?" Seelenruhig legte Jace sein Buch auf seinen Nachttisch. Clary hoffte, dass Isabelle nicht ausrastete. Wenn sie angespannt war, konnte sie manchmal etwas kompliziert werden.
"Mein Bruder. Alec", sagte Isabelle und warf Jace ein T-Shirt zu, das ordentlich über einer Stuhllehne hing.
Eigentlich schade, dachte Clary, als Jace es sich überzog.
"Muss ich euch nicht zuerst auf einen Tee einladen, damit wir uns gegenseitig vorstellen können?", scherzte Jace.
Isabelle verzog keine Miene. "Wenn du Durst hast, kann ich gerne deinen Kopf in die Toilette tauchen, mal sehen ob du danach kapierst, dass wir keine Zeit dafür haben. Aber wenn du umbedingt auf Vorstellrunde bestehst; ich bin Isabelle. Clary kennst du anscheinend ja schon, es sei denn, das ist so dein Ding, Fremde so anzugaffen", konterte Izzy.
"Ich gaffe niemanden an", stellte Jace klar.
Clary musste zugeben, dass es sie ein wenig enttäuschte. Hatte sie sich nur eingebildet, dass Jace' Blick öfter auf ihr gelegen hatte als auf Izzy?
"Wie kann ich euch helfen?", fragte Jace.
"Wir brauchen dein Telefon", erklärte Isabelle.
"Sein was?", wiederholte Clary, während Jace gleichzeitig fragte: "Mein Telefon?"
Isabelle seufzte. "Wir rufen Magnus an, um herauszufinden, ob Alec bei ihm ist. Und wenn er es nicht ist, müssen wir woanders suchen."
Clarys Verdacht, dass zwischen Magnus und Alec etwas lief, bestätigte sich damit zum wiederholten Mal. Es überraschte sie ein wenig, dass Alec sich freiwillig mit jemandem verabredete, wo er doch sonst immer jeden Kontakt mit jeglichen Personen vermied, die nicht Isabelle oder Clary waren. Es war süß, wie Clary fand. Sie freute sich für Alec, doch das war in diesem Moment wohl eher unwichtig.
Auf Jace' Lippen tauchte ein überhebliches Lächeln auf. "Ich habe eine bessere Idee. Schon mal was von Tracking-Runen gehört?"

"Ich brauche irgendwas von Alec, das ihm gehört, oder ein Haar von ihm oder so", erklärte Jace ein paar Minuten später. "Damit kann ich seinen Standort orten."
"Sehe ich so aus wie jemand, der die Haare ihres Bruder mit sich rumschleppt?", fragte Isabelle genervt.
Jace zuckte mit den Schultern. "Also wenn du mich fragst, schon irgendwie."
Isabelle verdrehte die Augen. "Was soll ich dir denn bitte geben? Ich habe nichts von Alec bei mir!", fauchte sie.
"Was ist mit deinen Messern? Du und Alec teilt euch doch oft eure Waffen", schlug Clary vor.
"Ein Versuch ist es wert", pflichtete Jace ihr bei. "Auch wenn es sein kann, dass es nicht stark genug ist, wenn es ein Gegenstand ist, der euch beiden gehört."
Isabelle zog einen Dolch aus ihrem Schuh und fing sich einen beeindruckten Blick von Jace ein. "Ich hatte mich schon gefragt, wo du deine Waffen versteckt hast. Ich wollte nicht der Typ sein, der das in einem intimen Moment herausfinden muss."
Isabelle ignorierte ihn einfach und Clary fragte sich, ob etwas zwischen den beiden vorging. Sie würde das Ganze ja nicht als Eifersucht bezeichnen, denn das war es ganz bestimmt nicht, aber es würde sie freuen, wenn Jace und Isabelle aufhören würden, sich so zu necken. Schnell verwarf sie den Gedanken. Das war lächerlich. Isabelle hatte kein Interesse an Jace.
Jace zog eine Stele aus seiner Hosentasche. Sie sah so ähnlich aus wie die, die er Clary bei ihrem letzten Treffen in die Hand gedrückt hatte. Die Stele hatte danach einen gut versteckten Platz in Clarys Kommode bekommen, damit niemand sie fand. Doch abends, wenn Clary im Bett gelegen hatte, hatte sie sich erlaubt, die Stele herauszukramen.
Nun malte Jace sich mit dem stiftartigen Gegenstand eine Rune auf seine Handfläche und nahm Alecs Dolch entgegen.
Er schloss die Augen und schien sich auf die Suche zu machen. Fasziniert beobachtete Clary ihn. Seine langen goldblonden Wimpern waren so noch besser erkennbar und Jace hatte seine Augenbrauen konzentriert zusammengekniffen. Clary fragte sich, wie es sich anfühlte, die Tracking-Rune zu benutzen. Fühlte man die Seele der anderen Person, wie bei eoner okkultistischen Séance, über die sie gelesen hatte? Sah man den Weg, den die Person gegangen war, vor seinem inneren Auge?
"Ich finde ihn nicht", unterbrach Jace ihre Gedanken. "Ich weiß nicht, woran es liegt. Entweder ist der Dolch eine zu schwache Fährte oder Alec befindet sich irgendwo, wo man ihn nicht tracken kann."
"Dann brauch ich doch dein Telefon, du Meister der Schatzsuche", sagte Izzy triumphierend, weil Jace' Plan nicht aufgegangen war.

"Wieso geht Magnus nicht ran?", fragte Isabelle panisch.
Die drei hatten sich ins Büro von Jace' Eltern geschlichen, um dort über die Kurzwahl des Telefons Magnus anzurufen. Maryse und Robert waren mit Max wieder nach Idris gereist, in die Heimat der Schattenjäger, deshalb konnten sie ungestört das Büro benutzen.
Clary wusste nicht, woher Isabelle sich so gut mit dieser Telefon-Sache auskannte, wahrscheinlich von einem ihrer ehemaligen Liebhabern.
"Vielleicht ist sein Akku leer, keine Ahnung", meinte Jace.
"Wieso lädt er sein verdammtes Handy dann nicht auf?", fluchte Isabelle und knallte den Hörer des Telefons auf den Tisch.
"Dann statten wir ihm eben einen Besuch ab", beschloss sie dann.

"Wieso müssen Menschen immer in so hohen Gebäuden leben?", stöhnte Clary, während sie mühsam die nächste Stufe der Treppe erklomm.
Jace hatte geklingelt, dann aber die Haustür mit einer Rune geöffnet, weil es sowohl ihm als auch Izzy zu langsam gegangen war. Und nun liefen sie die für Clary unendlich lang erscheinende Treppe nach oben. Wie Isabelle das mit Absatzschuhen hinbekam, war für sie ein Rätsel.
Jace, der vor Clary ging, blieb auf einmal stehen und drehte sich zu ihr um. Bevor sie sich versah, hatte er nach ihrer Hand gegriffen und sie die nächsten Stufen nach oben gezogen. Clary konnte sich ein kleines Lächeln nicht verkneifen.
Als sie endlich das Ende erreicht hatten - Magnus' Wohnung lag leider im obersten Stockwerk -, hielt Isabelle nicht inne, um zu klopfen, damit Magnus die Tür öffnete, sondern trat sie einfach auf.
"So geht's auch", sagten Jace und Clary gleichzeitig und folgten dann Izzy, die schon durch den Türrahmen schritt.
"Was für eine unerfreuliche Überraschung", bemerkte Magnus, der direkt neben dem Eingang stand. Er klang nicht gerade erfreut über ihr Eindringen - Clary konnte es ihm nicht verübeln.
"Magnus, ist Alec hier?", fragte Isabelle.

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Ich weiß, es passiert nicht viel aber dafür werden die nächsten Kapitel interessant, denke ich. :)

Tanz des Schicksals - Shadowhunters/MalecWo Geschichten leben. Entdecke jetzt