Lichteinfall

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Clary band sich gerade ihre noch leicht feuchten Haare zurück, als es an ihrer Zimmertür klopfte.
Ihre Zimmertür.
Es würde wohl eine Weile dauern, bis sie sich daran gewöhnt hatte, dass sie nun tatsächlich ein eigenes Zimmer im Institut hatte.
"Herein", rief sie.                                 
Die Tür öffnete sich und Jace betrat das Zimmer.
"Hey", sagte er.
"Hey", erwiderte Clary.
Jace hatte seine Hände hinter seinem Rücken versteckt, als hielte er etwas darin.
Er befeuchtete seine Lippen und sah dabei schon fast etwas nervös aus.
Clary hätte gerne mit dem Finger über seine Lippen gefahren und die Feuchtigkeit weggewischt. Aber das wäre ja noch schöner.
"Ich hab was für dich", meinte Jace mit rauer Stimme und holte seine Hände hinter seinem Rücken hervor.
Damit legte er den Blick auf einen Zeichenblock und eine kleine Metallmappe frei.
"Du zeichnest doch gerne, oder?", fragte er und hielt Clary zögernd die Sachen hin.
Sie war schon fast gerührt. Jace hatte sich gemerkt, was ihre Leidenschaft war, und ihr Zeichenutensilien besorgt. Und er schien dabei so unsicher, ganz das Gegenteil zu dem Verhalten, das er sonst an den Tag legte.
Clary nahm die Sachen entgegen und öffnete das Metallkästchen. Darin lagen fein säuberlich nebeneinander eine Reihe von Bleistiften in allen Härten.
Ein Bleistift stach ihr besonders ins Auge. Der wäre perfekt, um Jace' Haare naturgetreu zu kopieren. Schnell verabschiedete sie sich von dieser Idee.
"Das ist unglaublich, Jace", schwärmte sie, während sie mit den Fingern über das Zeichenpapier strich. Es war glatt, aber nicht zu glatt, und dick. Es war bestimmt teuer gewesen.
Als Clary mit Isabelle und Magnus im Einkaufszentrum gewesen war, waren sie an einem Laden vorbeigekommen, indem Zeichenutensilien verkauft wurden. Sehnsüchtig hatte Clary auf die Preise geschaut. Sie hatte dafür nicht Magnus' kostbares Geld ausgeben wollen, deshalb hatte sie sich schnell wieder abgewandt.
"Danke, Jace."
Bei den Worten sah Clary von dem Papier auf und ihr Blick traf Jace'.
Auf seinen Lippen lag ein Lächeln. Eines, das so ehrlich wirkte, dass sich auf Clarys eine Gänsehaut ausbreitete und ein warmer Schauer durch ihren Körper strömte.
"Die Verkäuferin meinte, das sei das Beste, was sie haben", erzählte Jace und strich sich eine blonde Strähne hinter sein Ohr.
Die Morgensonne schien durchs Fenster und ließ seine Augen noch goldener leuchten als sowieso schon. Seine Haare schienen unter den Sonnenstrahlen förmlich zu brennen.
Er erinnerte Clary an einen Löwen; mit goldenem Haar und stolzer Miene. Ein Krieger, der in diesem Moment seine Krallen verbarg.
"Das ist perfekt", ließ Clary ihn wissen, woraufhin Jace, offenbar erleichtert, nickte.
Er kehrte ihr den Rücken zu, hielt dann aber inne, und drehte sich wieder um.
"Ich wollte dich noch fragen, ob dir dein Zimmer so gefällt. Es ist noch etwas langweilig, aber wenn du länger hierbleibst, ist es bald bestimmt nicht mehr so unpersönlich", sagte er.
Verwirrt blinzelte Clary. Wie kam Jace denn jetzt auf das Zimmer? Und wieso fragte er danach?
Mal ganz davon abgesehen war das Zimmer mehr, als Clary je hätte verlangen können.
"Sicher, es ist schön. Ich mag den Lichteinfall", beruhigte sie ihn. Besonders, wenn das Licht auf dich fällt, fügten ihre Gedanken heimlich hinzu.
Jace nickte. Er sah aus, als wäre das nicht die Antwort gewesen, die er sich erwünscht hatte. Er sah aber auch nicht aus, als hätte er die Frage gestellt, die er hatte stellen wollen. "Bleibt ihr noch länger hier?", schoss es auf einmal aus ihm heraus. "Ich meine, wie lange bleibt ihr noch im Institut?"
"Äh..." Darüber hatte Clary noch gar nicht nachgedacht. Sie war einfach froh gewesen, dass in diesem Moment alles so gut war.
"Wollt ihr uns loswerden?", fragte sie witzelnd, befürchtete aber das Schlimmste.
Überrascht hob Jace die Augenbrauen. "Nein, nein! Ich habe mich nur gefragt, einfach so."
Einfach so? Wann fragte Jace sich etwas einfach so?
Skeptisch nickte Clary mit dem Kopf.
"Aber wenn ihr noch etwas hierbleibt...Ich habe mich gefragt, ob du eventuell nach deiner Mutter suchen würdest", beantwortete er dann ihre unausgesprochene Frage.
Clary musste schlucken. Ihre Mutter. Sie hatte die ganze Zeit versucht, den Gedanken an sie zu verdrängen, aber immer wieder hatte sie an sie denken müssen. Daran, dass sie nicht weit entfernt leben musste, weil Luke doch in New York wohnte. Clary hatte sich immer wieder gefragt, wie es wäre, sie zu treffen. Laut Luke dachte Jocelyn, sie sei tot.
"Ich würde sie gerne kennenlernen", ging Clary auf Jace' Frage ein.
Auf seinem Mund erschien ein leichtes Lächeln. "Ich kann dir helfen, sie zu finden."

Tanz des Schicksals - Shadowhunters/MalecWo Geschichten leben. Entdecke jetzt