Gefiederter Pfeil

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Die Königin schien nicht überrascht.
"Einverstanden. Ich akzeptiere all eure Wünsche. Aber ihr verschwendet keine Zeit, das ist meine Bedingung. Alexander wird hinausbegleitet. Seine Versorgung liegt in euren Händen. "

Es war keine Zeit gewesen, sich darüber zu wundern, warum die Königin auf einmal einverstanden war, wo sie sie doch sonst mit aller Macht in ihrem Reich zu behalten versucht hatte.
Jace hatte sich mit Alec schon auf den Weg nach draußen gemacht, die Elben hatten ihn noch bis zum Feentor begleitet.
Währenddessen waren Clary und Isabelle zu ihren Höhlen gesprintet.

So schnell sie konnte schmiss Isabelle alles zusammen, was Alec wichtig war. Sein Bogen war das erste, was sie einpackte. Dazu ein paar Bücher, die ihrem Bruder am Herzen lagen. Sie kramte hastig durch seinen Schrank. Alec hatte nie viel Materielles besessen und Kleidung war ihm immer egal gewesen, aber Isabelle fand etwas, das er höchstwahrscheinlich behalten wollte. Die Kleidungsstücke, die sie einsteckte, sahen nicht gerade aus, als seien es Alecs, aber einen Teil davon hatte sie schon an ihm gesehen.
Als sie sich gerade ihrer Zimmerhälfte zuwenden wollte, blieb ihr Blick an einem blauen Schal hängen. Es war Roberts Schal. Sie schnappte ihn sich und hechtete dann zu ihren Sachen.
Auch hier nahm sie nicht viel mit.
Das Plättchen, das sie von Simon hatte, trug sie bereits bei sich.
Einen Moment stand sie zögernd vor dem Pfeil, mit dem man Alilia getötet hatte. Das Holz hatte sich durch das Blut dunkel verfärbt und ein langer Riss verlief von der Spitze bis zu den Federn. Sie brachte es nicht über sich, den Pfeil dazulassen, deshalb wickelte sie ihn schnell in ein Tuch ein und nahm ihn mit. Isabelles Blick wanderte zu ihren Kleidern. Sie hatte ihre Kleidung immer sehr gemocht, aber es war wohl Zeit, das hinter sich zu lassen.

Clary stand vor ihrer Kommode und warf hastig ihre wichtigsten Gegenstände in eine Tasche.
Die Kleider ließ sie zunächst links liegen, entschied sich dann aber doch, zwei Pullis und Hosen sowie Unterwäsche einzupacken. Irgendwas musste sie ja schließlich anziehen.
Viel wichtiger war jedoch Jace' Stele und ihre Zeichnungen, die sie alle in Mappen aufbewahrte.
Natürlich waren all diese Dinge bloß Gegenstände, aber Clary war dennoch froh, dass Isabelle den Punkt zu ihren Forderungen hinzugefügt hatte.
"Clarissa", sagte auf einmal eine Stimme hinter ihr.
Clary drehte sich um. Dort standen Vervena und Forsythe, ihre Zieheltern.
Sie hatte nie ein enges Verhältnis mit ihnen gehabt, aber in diesem Augenblick, als ihr bewusst wurde, dass dies voraussichtlich ihr letzter mit ihnen sein würde, machte sich doch ein flaues Gefühl in ihrem Bauch breit.
"Kind, wir sind froh, dass du den Hof verlassen darfst. Wir wissen, dass du hier nie glücklich warst", begann Forsythe.
"Wir waren nie die perfekten Eltern für dich, aber du wirst immer ein Teil unserer Familie bleiben. Du warst immer und bist jetzt noch unsere einzige Tochter. Das wird auch so bleiben", sagte er.
Vervena nickte. Sie hatte es noch nie so mit liebevollen Worten gehabt, eher mit Waffen. Deshalb überraschte es Clary umso mehr, als die muskulöse Elfe mit den roten Haaren sagte: "Wir werden dich vermissen."
"Ich euch auch", hauchte Clary.
Daraufhin spürte sie die Arme ihrer Eltern um sich. Die Arme der Eltern, die sie niemals hatte.

Erleichtert atmete Magnus auf, als nur zwei Minuten nach Jace' Abflug Clary und Isabelle auf ihn zugerannt kamen, jeweils eine Tasche in der Hand und Isabelle mit einem Bogen über der Schulter.
"Geht es euch gut?", fragte er.
Die beiden schienen keine Verletzungen zu haben, aber sie sahen sehr erschöpft aus. Ihre Kleidung war dreckig und unterhalb der Knie durchnässt und ihnen stand die Müdigkeit ins Gesicht geschrieben.
"Ja", antworteten sie zeitgleich.
Magnus nickte.
"Zum Institut", wies er an, als sie danach auf das Portal zuschritten, das er geöffnet hatte.

Sobald Magnus vor dem Institut gelandet war, blendete er alles andere um sich herum aus.
Er sauste die Stufen zum Eingang hinauf, nur um dann ungeduldig auf Isabelle und Clary zu warten, da er als Unterweltler dir Tür nicht öffnen konnte.
"Alec ist wahrscheinlich in Jace' Zimmer", erklärte Isabelle und lief voraus, weil Magnus den Weg nicht kannte.
"Da seid ihr ja endlich!", rief Jace, der gerade aus einem Seitenflur kam.
"Wo ist Alec?", fragte Magnus direkt.
"Im meinem Zimmer, er-"
"Du hast ihn alleine gelassen?", herrschte Magnus ihn an.
"Hey! Ich wollte bloß eine Stele holen, um ihn zu heilen. Meine ist in den Verliesen kaputtgegangen", rechtfertigte Goldlocke sich, aber Magnus hörte schon gar nicht mehr zu, sondern folgte Isabelle, die ihn am Arm mit sich zog.
Schon einige Meter vor der Zimmertür ließ Magnus sie mit Magie aufschwingen, um nicht abbremsen zu müssen. Er rauschte hinein, direkt auf das große Bett zu, auf dem Alexander lag.
Er sah genauso aus wie vorhin, als Magnus ihn gesehen hatte. Er lag auf dem Bauch, sodass Magnus sofort sein Rücken in den Blick fiel. Er war bedeckt von länglichen, offenen Wunden und auch Alecs Handgelenke waren wund.
Magnus kniete sich neben ihn ans Bett und legte seine Hände auf Alecs Gesicht. Sein ganzes Gesicht war glühend heiß und seine Haare klebten an der verschwitzten Stirn.
"Alexander", wisperte Magnus. Der Anblick schmerzte ihn bis auf die Knochen.
"Du musst was für ihn tun!", flehte Isabelle neben Magnus. "Er ist schon seit Stunden nicht bei Bewusstsein, das ist doch nicht normal!"
Er nickte. "Es wäre besser gewesen, Alec in meine Wohnung zu bringen, dort habe ich mehr Möglichkeiten, ihn zu behandeln, aber ein weiteres Portal wäre zu viel in seinem Zustand. Er hat schlimmes Fieber und dazu kommt die Ohnmacht. Es muss so gehen."
Während er einige Zauberformeln murmelte, ließ er seine Finger mit etwas Abstand über Alecs Körper wandern, um ihn abzukühlen.
"Bringt eine Decke her!", befahl Magnus.
Kurz darauf eilte Clary herbei und legte eine Wolldecke über Alecs untere Hälfte, gerade so, dass sie seine Wunden nicht berührte.
"Soll ich es mit Heilrunen versuchen?", fragte Jace, der nun auch endlich das Zimmer betreten hatte, was auch immer er noch so lange auf dem Flur getrieben hatte.
"Ja. Die werden bestimmt helfen."
Mit Adleraugen beobachtete Magnus, wie Jace mit flinken Fingern ein paar Runen auf Alecs Rücken malte. Immer direkt neben die Wunden, aber doch noch weit genug davon entfernt.
So grob Jace auch erscheinen mochte, er konnte auch sanft sein, stellte Magnus fest.
Ein Stein fiel von seinem Herzen, als sich zumindest die Wunden auf Alecs Rücken langsam zu schließen begannen.
Magnus ließ wieder seine Magie aus seinen Fingerspitzen sprießen, um Alec weiter zu behandeln. Seine Wunden hatten sich zwar geschlossen, aber das Fieber war kaum gesunken. Dazu kam natürlich, dass er noch immer nicht aufwachte. Behutsam drehte er Alec mit Jace' Hilfe zur Seite, damit er gemütlicher lag und deckte ihn danach mit der Decke zu, damit er nicht kalt bekam.
"Seine Bewusstlosigkeit kann nicht nur von den Peitschenhieben kommen", erklärte Magnus. "Die müssen ihm irgendwas eingeflößt haben oder ihn verzaubert. Ich werde es mit ein paar kraftgebenden, aufputschenden und giftabweisenden Tränken versuchen, es könnte allerdings ein wenig dauern."
Als Magnus die besorgten Gesichter sah, fügte er noch hinzu: "Das wird schon wieder, ich verspreche es euch. Geht euch ausruhen, ich passe auf ihn auf."
Isabelle und Clary machten keine Anstalten, zu gehen, aber Jace schob sie sachte aus dem Zimmer.

"Es sind noch ein paar Zimmer frei, ihr könnt euch welche aussuchen", bot Jace an. "Man müsste höchstens noch die Betten beziehen. Ihr könnt auch vorher noch duschen gehen."
"Uh, ja, ein Bad wäre jetzt echt angenehm", seufzte Clary und lehnte sich gähnend gegen die Wand im Flur.

"Das Handtuch hängt über der Dusche. Ich mach dir in der Zeit das Bett."
Clary bedankte sich bei Jace und ging ins Bad.
Es stellte sich jedoch heraus, dass sie zu klein war, um an das Handtuch ranzukommen, weshalb sie zu ihrem eigenen Bedauern Jace um Hilfe bitten musste. Da sie sich aber schon bis auf ihre Unterwäsche ausgezogen hatte, seufzte sie laut auf und zog sich vorher wieder an. So eine Verschwendung ihrer kaum noch verbleibenden Energie.
"Du kommst also nicht dran?", grinste Jace und lehnte sich über Clary, um nach dem Handtuch zu greifen.
"Ja. Und ich werde es nicht nochmal zugeben", erwiderte sie bissig.
"Sei nicht eingeschnappt. Jeder kommt in meiner Gegenwart klein rüber."
Und so schnell er aufgetaucht war, war Jace wieder verschwunden. So ein eingebildeter, unverschämter, muskulöser, süßer...
Clary schüttelte über ihre eigenen Gedanken den Kopf.
Nachdem sich Clary in der seltsamen Wassermaschine gesäubert hatte und sie sich abgetrocknet hatte, streckte sie ihren Kopf aus der Tür und bekam einen riesigen Schock, als sie fast gegen Jace knallte.
"Mach doch nicht so was!", beschwerte sie sich.
"Ich dachte, du wolltest vielleicht etwas anziehen", meinte Jace nur stumpf und hielt ihr einen ihrer Pullis und eine ihrer Hosen entgegen, dazu frische Unterwäsche.
"Hast du etwa in meinen Sachen rumgewühlt?", fuhr Clary ihn an.
"Würdest du lieber nackt rumlaufen?", antwortete Jace mit einer Gegenfrage und zog eine Augenbraue hoch.
"Du hättest mir meine Tasche auch einfach hineinreichen können!"
"Dann wären in dem Wasserdampf aber doch deine Zeichnungen kaputt gegangen", argumentierte Jace trocken weiter.
"Die hättest du auch einfach rausholen können!"
"Aber dafür hätte ich doch auch in deiner Tasche herumwühlen müssen", sagte Jace unschuldig.
Da hatte er schon recht...aber das würde Clary niemals zugeben.
Genervt stöhnte sie auf und riss Jace die Kleidung aus den Händen. Als sie die Tür schloss, hätte sie schwören können, den Hauch eines Lächelns über seine Lippen huschen gesehen zu haben.

Isabelle lag nur mit einem Handtuch bekleidet auf einem Bett. Sie hatte sich geduscht und wartete nun darauf, Neues von Magnus zu hören.
Sie war hundemüde und es bestimmt schon fast Morgen, aber sie wusste, würde sie nur ein Auge schließen, so hätte sie wieder diese schrecklichen Bilder in ihrem Kopf.
Von Alilia und Alec.
Es kostete sie so schon genug Überwindung, nicht unruhig im Zimmer auf und abzugehen, wie sie es gerne tat, wenn sie nervös war.
Sie wusste nicht einmal, wieso sie so aufgeregt war. Sie waren in Sicherheit, allegar. Und sie vertraute Magnus, dass es Alec bald besser gehen würde. Wieso also hatte sie so ein schlechtes Gefühl?
Sie verstand einfach nicht, warum die Königin eingewilligt hatte, sie gehen zu lassen. Vorher hatte sie sich doch mit Händen und Füßen dagegen gewehrt, dass sie den Lichten Hof verließen oder der Wahrheit näher rückten. Was hatte sie also umgestimmt?
Doch egal, wie lange Isabelle darüber nachdachte, sie kam zu keinem einleuchtenden Schluss.
Deshalb lag sie nun da auf dem Bett, total am Ende, aber immer noch wach genug, um sich den Kopf an ihren Gedanken zu zerbrechen.
Neben dem Bett auf der Kommode lag der Pfeil, eingewickelt in ein Tuch. Der Pfeil, mit dem man Alilia ermordet hatte.
Immer wieder starrte Isabelle darauf. Es zerrte an ihren Nerven, den Pfeil so nah bei sich zu haben. Am liebsten würde sie ihn in der Mitte durchbrechen. Aber es war das Einzige, was sie noch von Alilia besaß.
Nachdem sie den Pfeil eine Weile wütend angefunkelt hatte, hielt sie es schließlich nicht mehr aus.
Sie stand auf und ging zur Kommode. Sie zögerte kurz, aber dann wickelte sie den Pfeil aus. Wenn sie daran dachte, wie Gleptosil damit ihre Mutter getötet hatte, stieg die Wut in ihr nur noch mehr. Mit einem Ruck brach sie den Pfeil in der Mitte durch und atmete tief durch. So fühlte sie sich schon viel besser.
Als sie die Einzelteile zurücklegen wollte, fiel ihr etwas auf. In den Federn des Pfeils steckte in kleiner Zettel und ein Ahornblatt, eins, dass gerade frisch aus der Knospe entsprungen war.
Verwundert las Isabelle, was auf dem Zettel stand.
Jonathan Christopher und Valentin Morgenstern leben.

"Mylady. Ich habe noch eine weitere Nachricht für euch."
"Was gibt es?", fragte die Königin.
"Die Späher, die Ihr ausgesandt habt, überbrachten Neuigkeiten."
"Fahr fort", forderte Ihre Majestät.
"Valentin Morgenstern und sein Sohn Jonathan leben. Sie sind nicht tot."
Die Königin sog scharf die Luft ein.
"Das heißt, wir müssen unseren Plan ändern. Clarissa muss unser Reich verlassen. So bald wie möglich. Und mit ihr auch Alexander und Isabelle.
Ihre Befreiungsaktion kommt da gerade recht. Meine Truppen erwarten sie am Feentor. Sobald ihr sie gefasst habt, sollen sie unverzüglich zu mir gebracht werden. Wir jubeln ihnen einen Deal unter, den sie nicht ablehnen können. Sobald sie dieses Reich verlassen haben, nach ihrem Willen und gegen den unseren, wie sie glauben werden, sind sie das Problem der Schattenjäger."

Tanz des Schicksals - Shadowhunters/MalecWo Geschichten leben. Entdecke jetzt