Stille 2

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Alexander

Ich stehe vor dem großen Fenster in meinem Wohnzimmer. Meine Arme hatte ich um meinen Körper gelegt. Mit ernsten Blick sah ich nach draußen. Die Welt war schon in ein dunkelblau getupft. Die Scheinwerfer der Autos schienen unterschiedlich hell. Die einen waren eher gelb, während die anderen weißes Licht absonderten.

Oft hatte ich mir versucht vorzustellen, welche Geräusche Autos erzeugten oder wie die Hupe klang. Izzy regte sich immer über alle Fahrer auf. Sie war im Ausdruck immer sehr impulsiv wenn sie selbst hinter dem Steuer saß. Ich selbst fuhr natürlich auch Auto.

Wenn die Stille deine beste Freundin war, dann gab es nicht viel was dich aufregte. Du warst von allem irgendwie abgeschottet. Es gab auch Kraftausdrücke die ich mit meinen Händen und Armen bilden konnte. Aber nur sehr wenige Menschen verstanden die Gebärdensprache.

Seit meiner Geburt bin ich taubstumm. Ich hatte nie irgendetwas gehört. Weder die Stimme meiner Eltern, noch die Stimme meiner Schwester. Nicht das kleinste Geräusch. Die medizinische Technik war sehr fortgeschritten. Es gab spezielle Hörgeräte, durch die man Geräusche wieder verzehrt wahrnehmen konnte. Auch bei mir wurden viele ausprobiert und ich saß öfters im Wartezimmers eines Krankenhauses, als mir lieb ist. Nur mit Ernüchterung festzustellen das es mir nichts brachte. Bei mir kam kein Ton an.

Genau so wenig konnte ich Töne von mir geben. Nichts kam über meine Lippen. Selbst mein Lachen war geräuschlos. Es hatte Momente gegeben, da hatte ich so gelacht das mal ein erstickter Ton hervor kam. Zumindest hatte mir das Izzy erzählt. Ich hörte mich ja selbst nicht.

Meine Eltern und meine Schwestern hatten extra Gebärdensprache gelernt. Genau so wie mein bester Freund, Jace. Selbst die Lebensgefährten von den beiden, waren gerade dabei. Ich hatte das Lippenlesen über die Jahre perfektioniert und ich hatte gelernt alles zu akzeptieren. Nur dann gab es wieder solche Momente wo auch ich dieses Handicap verfluchte.

Eine lange Zeit wollte ich mir sogar das Träumen verwehren. Manche Vorstellungen gaben mir diesen dumpfen Schmerz. Zum Beispiel nie die Stimme von dem zu hören, den man am meisten liebt. Oder das Lachen seiner eigenen Kinder, was mit zu den schönsten zählte. Ich konnte kein "Ich liebe dich" sagen und auch nicht das typische Ehegelübde halten, wenn ich denn irgendwann heiraten sollte.

Die Liste konnte ich Ewigkeiten fortführen. Aber es brachte nichts. Dieses Handicap zwang mich dazu, auf andere Sachen zu achten. Die Körperhaltung, die Mimik, die Gestik, den Ausdruck, die Augenbrauen. Alles war wichtig. Ich konnte Menschen lesen, wie sie sonst keiner las und das Augenlicht war deswegen alles, worauf ich mich verlassen konnte. Ich hörte mit den Augen und das war ein Genuss.

Ich kannte nichts anderes als das, deswegen vermisste ich es auch nicht. Nur manchmal war die Vorstellung doch hören und sprechen zu können, einfach schön. Ich konnte mit guten Gewissen sagen, das ich das Leben so liebte wie es war. Die Welt hatte so viel zu bieten. Man musste es nur erkennen und ergreifen. Und vor allem sollte man das schätzen, was man hatte. Die Grenzen die man sich selbst stellte, waren Phantome, die man selbst bezwingen konnte.

Ich war dankbar und das sollte jeder sein.

Meine Wohnung die, die meiste Zeit beleuchtet war, blitzte mehrmals kurz blau auf. Das war eine Klingel, wie ich sie kannte. Auch mein Handy war nur auf Vibration gestellt. Empfindungen waren so wichtig. Ich reagierte sensibler auf Dinge, die vielleicht alltäglich waren.

Stellt euch mal vor, ihr steht mitten auf einer Party. Alle um euch herum tanzen, nur ihr wisst nicht wozu. Die Musik ist nicht da. Ihr müsstet euch auf den Bass konzentrieren, der durch den Boden zu euren Füßen gelangt. Wenn ihr nur darauf achtet, bekommt Rhythmus eine vollkommen neue Bedeutung. Für mich fühlt sich allein den Bass zu spüren, so phänomenal und elektrisierend an, das ich die Musik mir gar nicht mehr vorstellen möchte. Auch wenn ich leichtes „reden" hatte, aber Ohropax sollte man so wenig wie möglich verwenden. Jedes Geräusch sollte gehört werden.

Vor meiner Wohnungstür stand meine Schwester. Ihr Ausdruck war gemischt. Da gab es zum einen, das was beständig war, die Traurigkeit, die sie nie ganz von sich abschütteln konnte. Auch wenn sie mir das immer wieder sagte. Ich konnte es sehen und förmlich auch hören. Zusammen mit einer klein wenig Verärgerung und Verwirrung.

Ich bat sie herein. Mit meinen Händen fragte ich "Möchtest du etwas trinken?" Ihr nicken war entschlossen und keines falls zögernd. Jeder andere hätte sich jetzt schon unterhalten. Aber das war das schöne an meinem kleinen Handicap, ich musste die Menschen ansehen. Ich konnte nicht wegschauen. Wahrscheinlich war ich der höflichste Zuhörer, den es gab. Eine Ablenkung reichte und ich verstand den ganzen Kontext nicht mehr.

Ich reichte Izzy das Glas und zusammen setzten wir uns an den Esstisch. "Was war heute los?" Für mich "sprach" sie deutlich. Dabei brachte es keinem Gehörlosen etwas, wenn man sich zu sehr auf seine Mundform konzentrierte. Dadurch wirkte es für uns alles etwas verzehrt. Einfach deutlich sprechen, dann konnte ich folgen. Es durfte nicht zu schnell sein, wie bei dem Mann heute morgen.

"Die ganze Situation hat mich erdrückt. Der Mann hat mich so erwartungsvoll angesehen." gab ich ihr zu verstehen. Durch das Fingeralphabet buchstabierte sie mir einen Namen. M-A-G-N-U-S. Magnus. Ein sehr schöner Name.

"Er war ziemlich aufgeregt dabei kann er unendlich viel reden. Für deine Verhältnisse ist er ein sehr lauter Mensch." Ich nickte. Das alles hätte ich mir schon denken können. "Er hat dir heute morgen gesagt, das du unheimlich attraktiv seihst und das, das Hemd zu deinen Augen passt. Dabei erwähnte er noch etwas, das er nicht aufdringlich sein möchte aber er schon gerne mit dir ausgehen würden. Daraufhin bist du überstürzt aufgebrochen."

Wenn Izzy sehr viel zu erzählen hatte, wie jetzt, nutzte sie ihre Lautsprache zusammen mit der Gebärdensprache. So wie sie die Hände nutzte, war sie eher dynamischerer Typ. Ich hingegen war eher etwas sanfter mit meinen Bewegungen.

Ich war überrascht, das er mit mir ausgehen wollte. Das hatte sich nach meinen Abgang jetzt wahrscheinlich erledigt. "Hätte er langsamer gesprochen, hätte ich es wahrscheinlich auch verstanden." Meine Hände führten jedes Wort sauber aus. Dabei "klang" der Satz nicht so schön wie er in meinen Kopf.

Die Gebärdensprache war nicht international und jede hatte eine eigene Grammatik. Sie war als Sprache anerkannt. Zum Beispiel formulierte man den Satz selbst erst zum richtigen Satz. "Ich gehe in das Theater." bildete sich erst im Kopf. Die Hände sagten nur aus "Ich-Theater-hingehen".

"Das konnte er nicht wissen. Er möchte dich beim nächsten zusammen treffen nochmal fragen. In der Hoffnung das du ja sagst." Meine Augen wurden groß. Ich war etwas überfordert. Nur kurz sah ich auf die Tischplatte sowie mein halb volles Glas Sprudelwasser.

Izzy tippte auf meinen Arm und ich sah wieder auf ihre rotgeschminkten Lippen. "Ich habe ihm geraten langsamer zu reden."

Das kann ja heiter werden.

...Fortsetzung folgt

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