Stille 4

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Alexander

Ich hatte meine zitternden Hände in meine Jackentaschen vergraben. Etwas ungeduldig und nervös lief ich vor dem Aufenthaltsraum der Mitarbeiter auf und ab. Immer wieder stellte ich mir die Frage, wie der Abend wohl ablaufen würde? Würde er es verstehen oder würde er sich danach nicht mehr melden? Würde Magnus die ganzen Auswirkungen verstehen, die ich mit mir zog?

Im Augenwinkel sah ich wie die Tür aufging und Magnus in seinen normalen Klamotten endlich vor mir stand. Meine Aufregung stieg bis ins unermessliche. Seine dunkel Hose saß eng, betonte seine Beine genau so wie das burgunderdfarbene Hemd, welches tailliert an seinem Körper anlag. Er bewegte seine Lippen und ich versuchte alle Konzentration aufzubringen, wie eben möglich. Nur bei diesem Anblick fiel es mir gar nicht so leicht.

"Zu dir oder zu mir?" Ich zeigte mit dem Zeigefinger auf mich. Dort wäre alles erstmal leichter zu erklären. Wobei es da auch gar nicht viel gab, was ich zu erzählen hatte. Magnus lief nah neben mir und immer wieder musste ich ihn von der Seite ansehen. Sein Gesicht war entspannt, auch wenn seine Augen die etwas klein wirkten, auf die Müdigkeit hinwiesen. Seinen linken Mundwinkel hatte er etwas hochgehoben. Mir gefiel das schiefe Lächeln, was ebenfalls übrigens entweder auf Erschöpfung hindeutete oder das jemand in Gedanken ist und einem trotzdem irgendwie zuhört.

Ich stupste ihn leicht an und versuchte ihn durch meine Muttersprache zu fragen, ob er Müde sei. Dabei legte ich meine Hände, die aneinander gelegt waren an meine Wange und schloss kurz meine Augen. Anscheinend schien er zu verstehen, denn sofort bewegten sich wieder seine Lippen. "Im Restaurant war heute viel los. Deswegen hoffe ich, das wir so ein typisches Date auch überspringen und es uns direkt mit Jogginghose und Chips bequem machen?"

Selten war ich so fasziniert von Lippen wie bei ihm. Die Farbe die zwischen rosa und korallenrot lag. Dazu die deutliche Herzform seiner Oberlippe. Die Unterlippe die nur dazu einlud um auf sie zu beißen. Sie bewegten sich melodisch. Ich holte mein Handy hervor, da ich das eine Wort nach 'typisches' nicht entziffern konnte. So schrieb ich es auch in meine Notizen und überreichte es ihm.

Dieses mal hob er beide Mundwinkel. "Date?" Er machte es deutlicher und dieses mal verstand ich es. Ich fügte es in mein Kopf zu seinem Satz hinzu und riss schlagartig die Augen auf. "Habe ich das heute morgen nicht erwähnt?" Ich schüttle nur den Kopf. "Gut dann weißt du es jetzt. Was sagst du zu meiner Idee?" Ich hob beide Daumen und lächelte ihn sicher an. "Ich wusste, das wir uns verstehen werden."

Meine Lippen kleideten sich mit einem Grinsen ein. Mir erschien die Kommunikation nicht erschwert. Fast im Einklang. Als würden wir es jahrelang schon so machen. Trotzdem setzten wir meinen kurzen Heimweg in Stille fort. Zumindest für mich. Magnus hörte sicherlich die Stimmen der Menschen, die uns entgegen kamen oder die hinter uns liefen. Vielleicht auch das hupen der Autos, welche ich selbst noch nie betätigt habe. Ich kann sie ja selbst nicht hören.

In meiner Wohnung zogen wir uns die Schuhe aus und mit einer einladenden Bewegung wollte ich ihm zu verstehen geben, das er sich umschauen konnte und das tat er auch. Ich selbst ging in mein Schlafzimmer und suchte zwei Jogginghosen sowie zwei Shirts von mir heraus. Wenn er es schon bequem wollte, dann richtig.

Er sah etwas unentschlossen im Wohnzimmer als ich ihm die Sachen reichte. Wieder nur mit einer Handbewegung deutete ich auf eine Tür gegenüber der Küche. Er formte ein "Danke." Ich wusste das es ebenfalls für ihn lautlos war. Sein Adamsapfel stand still und auch die Bewegung des Mundes war unsicherer. Ich nickte nur und ging mich dann ebenfalls umziehen.

Bis jetzt lief es überraschend gut und mir gefiel das es trotz der besonderen Gegebenheiten alles so entspannt war. In der Küche kramte ich jegliche Süßigkeiten heraus sowie verschiedene Getränke. Ich hoffe das er Eistee mag. Als ich mich umdrehte, stand er genau vor mir. Ich prallte gegen ihn. Magnus krallte sich in mein Shirt und zog sich dadurch nur noch näher an mich heran. Meine eigene Hände lagen auf seinen Rücken, drückten ihn ebenfalls an meinen eigenen Körper.

Ich spürte seinen schnellen Atem auf meinen Lippen, ich sah die Gänsehaut in seinem Nacken und die roten Flecken um seinen Hals. Sein Oberkörper hob und senkte sich unregelmäßig. Magnus Lippen standen leicht offen. Aus kleinen verführerischen Augen sah er zu mir hoch. Der Griff in meinem Shirt verstärkte sich, zog mich noch viel näher. Unsere Nasenspitzen berührten sich.

"Deine Stille macht mich süchtig nach Worten. Und trotzdem ist deine Stille voller Antworten. Ich mag genau das... die Ruhe und die Geräuschlosigkeit. Plötzlich erscheint es mir viel klarer." Für alle die hören können, würde Magnus jetzt nur flüstern. Für mich sind seine Worte aber so laut und deutlich, wie die blauen Blitze meiner Klingel. Für ihn ist es ok.

Dankend senke ich meinen Kopf. Wir lassen uns Sanft aus dieser Umarmung gleiten und gehen gemeinsam in mein Wohnzimmer, wo ich mir mein Tablet schnappe, um ihn so antworten zu können.

Schnell tippe ich 'Du kannst mich alles fragen'. Ich halte es ihm hin und schnell überfliegt er es. Magnus nickt und so machen wir es uns bequem. Seine Beine liegen auf meinen unter einer Decke. Wir sitzen uns gegenüber. Zwischen uns der Eistee mit den Chips. Izzy sagt mir immer das ich damit zu laut raschle, was ich ja nie nachvollziehen konnte. Jetzt mache ich es meistens voller Absicht.

"Warum genau bist du Still?" Ich tippe meine Antwort in das Tablet ein und halte es ihm dann entgegen. 'Ich bin seit meiner Geburt Taubstumm. ich kann nichts hören und auch nicht sprechen. Meine Muttersprache ist die Gebärdensprache. Ich lese meistens von den Lippen ab.'

Faszinierend beobachte ich seine Augen wie sie über das Geschriebene fliegen. "Wie haben das deine Eltern festgestellt?" Das war eine Frage die ich selbst meinen eigenen Eltern stellen musste. Wir haben gelernt über alles sehr offen zu "reden".

'Ich habe bei der Geburt nicht laut geschrien sondern nur das Gesicht verzogen. Es kamen erstickte Geräusche aus mir heraus. Schnell war klar, das etwas nicht stimmt. Das ich allerdings auch Gehörlos bin, haben sie erst als ich drei Jahre festgestellt. Ich habe immer nicht reagiert wenn sie mit mir sprachen. Meine Eltern erzählten mir, wie schwer es war ihr erstgeborenes nicht lachen zu hören. Deswegen haben sie immer sobald ich gelacht habe, eine Hand auf meinen Brustkorb gelegt um das beben und vibrieren zu spüren.'

Magnus wartet geduldig. Ich möchte ihm seine Fragen so gründlich wie möglich beantworten. Er biss sich auf seine Unterlippe als er meinen kleinen Text las. "Wie kommst du damit klar?" Ich gab nur ein Wort ein 'Gut'. Ich lächelte ihn dabei aufrichtig an. Ich sah erstaunen und so etwas wie Bewunderung.

Und so ging es weiter. Er stellte mir Fragen, die ich ihm alle gerne beantwortete. "Wie ist es mit Musik?" Ich nahm das Tablet wieder entgegen. Dabei berührten sich unsere Fingerspitzen. Es schickte eine elektrisierende Welle durch meinen Körper.

'Der Bass ist meine Musik. Aber das kann ich dir auch mal zeigen. Wenn du möchtest?' Magnus strahlte mich förmlich an. "Ich bitte darum." Ich sah ihn kurz zögern. Immer wieder öffnete er seinen Mund und schloss ihn dann wieder. "Wenn du ein Geräusch hören könntest, welches würdest du dann gerne hören?"

Ich mochte die Frage, wo ich tatsächlich erstmal nachdenken musste. Stellt euch vor ihr könntet nichts hören, welches Geräusch wäre es, was ihr hören wollt? 'Momentan würde ich gerne deine Stimme hören. Aber sonst wäre meine Antwort das Meeresrauschen. Einfach um herauszufinden, ob das Geräusch wirklich entspannt.'

Magnus Augen wurden immer kleiner, bis er irgendwann einschlief. Ich sah ihm die halbe Nacht dabei zu. Der Mond warf sein Licht auf ihn. Dabei wirkte er einfach nur schön. Da war nichts verletzliches, nur etwas ganz wunderbares, was man behüten wollte. Dabei erschien mir eine Nacht noch nie so schön.

...Fortsetzung folgt

Malec KurzgeschichtenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt