Himmel auf Erden (die siebzehnte)

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Magnus

"Du siehst müde aus." Es waren bereits ein paar Tage vergangen, seitdem Cat aufgewacht ist. Währenddessen wurde Rafael gesund entlassen. Ihm merkte man nicht mehr wirklich etwas an. Seitdem besuchte ich meine Tante regelmäßig. Sie lag zwar noch immer auf der Intensivstation aber die Ärzte waren hoffnungsvoll das sie bald auf Normalstation verlegt werden könnte.

Die letzten Tage waren nicht wirklich einfach für mich. Immer wieder träumte ich schlecht. Von Nacht zu Nacht wurden die Stunden wo ich wirklich schlief kürzer. Die Träume wurden grausamer und die Angst umso größer. Angst alles erneut zu verlieren und auch Angst vor dem Schlafen.

Langsam spürte ich den Schlafmangel. Immer wieder plagten mich Kopf schmerzen. Dazu kam der fehlende Hunger und die Konzentration, die sich von mir verabschiedete und einen eigenen Weg einschlug. Meine Augenringe könnte man zur Forschung von Höhlen verwenden und langsam machte ich der Hautfarbe von meinem Freund Konkurrenz.

Dieser passte gerade auf unseres Kind auf. Ich spürte wie er immer eher nach Hause kam. Auch seine Blicke trübte die Sorge um mich. Abends schaffte er es meistens mich etwas abzulenken. Insgesamt konnte ich einfach nur froh sein das er da war. Mich verließen die Kräfte mein eigenes Kind zu halten, wofür ich mich selbst verfluchte.

"Nein Cat, ich sehe wie immer großartig aus." Ich versuchte zu lächeln aber ich scheiterte kläglich. Selten habe ich mich so schwach gefühlt, so erbärmlich. Ich massierte mir meine Schläfe. "Was ist los Magnus?" Ich kämpfte wie jeden Tag gegen die Tränen an.

"Mir geht es gut, Cat. Rafael hält uns noch etwas auf Trab." Das war eine Lüge. Es war so wie vorher auch. Momentan schaffte es sogar sieben Stunden durchzuschlafen. "Du siehst aber nicht so aus." Ich schüttelte unmerklich den Kopf. Ich wollte über mein befinden nicht reden. Es wühlte mich nur noch mehr auf.

"Wie geht es dir überhaupt? Haben die Ärzte bei der Visite etwas neues erzählt?" Cat griff nach ihrem Schnabelbecher, dem sie immer missbilligende Blicke zuwarf. "Morgen geht es für mich auf die Normalstation und dann wahrscheinlich nur noch eine Woche hier. Er hat mir eine Reha angeraten, die ich wahrscheinlich auch in Anspruch nehmen werde. Es war doch etwas viel."

Bis jetzt hatten wir über den Unfall nicht geredet. Ich verdrängte es. Auch wenn das durch die Träume kaum möglich war. George sitzt momentan in Untersuchungshaft. Er hat alles gestanden und auch Camille trug eine gewisse Mitschuld. Beide dürfen sich uns allen nicht mehr nähern. Dazu zählte auch Rafael, der dadurch wahrscheinlich niemals seine Mutter kennen lernen würde.

"Das glaube ich dir. Ich werde mich mal auf den Weg machen. Rafael soll ja noch seinen Gute- Nacht- Kuss bekommen." bringe ich so fröhlich wie möglich heraus. Ernst sieht mich meine Tante an. "Du kannst jeder Zeit zu mir kommen." Ich konnte nur dankend nicken. Vorsichtig drückte ich sie und verließ dann das Krankenhaus.

Mit zitternden Händen öffnete ich das Auto. Mir war unendlich kalt und dieses Gefühl wurde langsam chronisch. Ich fuhr nicht mehr gerne Auto zumindest prüfte ich auf den ersten Metern immer die Bremsen und auch die Kupplung. Ich sah mich immer mehrmals um. In jedem Auto sah ich George oder Camille. Es fiel mir schwer in der Gegenwart zu bleiben. Die wenigen Kilometer kamen mir wie nie endende Meilen vor.

Fast schon erleichtert stieg ich aus dem Fahrzeug. Auf dem kurzen Weg in die Wohnung blickte ich immer wieder nach rechts und links. Ich war wie aufgeladen und das änderte sich erst wenn ich in der Wohnung war. Sie schien mir wie ein sicheres Schloss, in welches ich mich immer mehr aufhielt.

In der Wohnung umgab mich der Geruch von einer frisch gebrühten Hühnersuppe. Dazu hörte ich die Spieluhr und seine Stimme. "La le lu, nur der Mann im Mond schaut zu, wie die kleinen Babys schlafen, drum schlaf auch du..." Ich schloss kurz meine Augen. Die Tränen wollten mal wieder an die Oberfläche.

Leise zog ich meine Jacke und Schuhe aus. Ich blickte erst gar nicht zu der Küche. Mir war so schon schlecht. Eigentlich wollte ich nur noch duschen und danach ins Bett, um erneut zu versuchen gut zu schlafen.

Noch bevor ich weiter denken konnte, musste ich zu der Toilette rennen. Ich übergab mich. Meine kaltschweißigen Hände klammerten sich in die Toilette. So sehr, das meine Knöchel weiß hervor traten.

"Magnus?" Ich hatte nicht mitbekommen wie Alec in das Bad gekommen war und jetzt neben mir hockte. Eine warme Hand fuhr beruhigend über meinen Rücken. Kurz sah ich ihn an. Ich war dankbar das er nichts weiter sagte.

"Ich geh nur noch duschen und dann komm ich gleich zu euch, ok?" schaffe ich es dann endlich zu sagen. Alexander sieht mich kurz an bevor er sich erhebt und mich gleichzeitig mit hoch zieht. "Danke." Er lächelt nur leicht und verschwindet dann aus dem Badezimmer.

Bibbernd entledige ich mich meiner Kleidung und steige dann unter die warme Dusche. Das Wasser brennt regelrecht auf meiner Haut. Von Minute zu Minute wird mir immer mehr unwohl. Und noch bevor ich zu meinem Duschgel greifen kann, rutsche ich die Duschwand herunter. Die Tränen lassen sich selbst unter Krampf jetzt nicht mehr zurück halten.

Mein Kopf wird unendlich schwer. Die Tränen immer dicker. Mein Pfütze immer schwerer. Die Dusche immer kälter. Und trotzdem bleibe ich einfach nur erschöpft unter diesem Wasserstrahl sitzen.

Mir erscheinen die letzten Tagen wie tonnenschwere Steine, die mich jetzt herunter ziehen. Dazu der Schlafmangel und das Gefühl für mein Kind nicht mehr richtig da sein zu können, ist entmutigend.

Wieder einmal bekomme ich nicht mit wie Alexander das Badezimmer betritt. Doch als er vor meinen Sichtfeld erscheint, denke ich nicht weiter darüber nach das, das Wasser kalt ist oder das er noch Sachen trägt. Ich ziehe ihn einfach an mich und er lässt mich Gewehren.

Immer wieder versuche ich genügend halt zu finden. Solange bis ich unter der Dusche auf seinem Schoß sitze und einfach weine. Er hält mich fest umschlungen. Seine Sachen sind mittlerweile vollkommen durchgeweicht. Aber über seine Lippen kommt kein Ton. Er lässt mich einfach weinen.

...Fortsetzung folgt

Malec KurzgeschichtenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt