Stille 5

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Entschuldigt, das so lange nichts kam. Ich war immer unzufrieden mit dem Kapitel. Jetzt geht es aber weiter. Regelmäßig.
Hattet ihr denn einen schönen Tag? Hoffe ihr seid alle gesund.
Lg Krümmel

Alexander

"Haben wir jetzt alle Sicherungsmaßnahmen umgesetzt?" frage ich mit meinen Händen, während ich neben meiner Schwester stand. Wir mussten wegen dem Corona Virus unseres Hotel für eine unbestimmte Zeit schließen. Auch wenn wir finanziell gut gestellt waren, merkten wir die unfreiwillige Pause deutlich.

Aber nicht nur das war ein großes Problem gewesen. In der Welt zu leben erschien mir selten so schwer wie in der letzten Zeit. Auch jetzt merkte ich es noch. Jeder trug einen Mundschutz, versteckte somit das Buch, was mir das lesen und verstehen der anderen Menschen zugänglich machte. Die Lippen waren verdeckt. Die Mimik eingeschränkt. Ich konnte nur noch die Augen und Augenbrauen sehen. Aber nicht immer war der Ausdruck klar oder ehrlich. Alles erschien nur noch stiller.

Beim Einkaufen brauchte ich zum ersten mal in meinem gesamten Leben Hilfe von meiner Schwester. Zum ersten mal habe ich mich hilflos gefühlt. Die Einschränkung die ich immer unter Kontrolle hatte, wie ein trippelnden Basketball unter den Händen, war jetzt etwas beherrschendes, etwas beängstigendes, etwas was kalt meine Gedanke küsste. Die Gefühle schienen mich zu übermannen.

Ich war froh das ich Izzy hatte. Zusammen mit ihrem Freund, Simon verbrachten wir tolle Spielabende, wo er mir seine neuen "Worte" zeigte, die er jetzt über die Gebärdensprache ausdrücken konnte. Simon und auch Clary, die Freundin von Jace hatten nie Fragen gestellt. Sie fanden die ganze Materie eher spannend und befassten sich mit einem Thema, was für viele unberührt auf der Erde lag. Jeder hat es schon mal gehört und jeder weiß das es das gibt. Aber solange es einen nicht selbst betrifft denkt man nicht darüber nach. In der Schule wird Französisch als Fremdsprache gelernt aber keine Gebärdensprache.

Wer kennt nicht diese Tage, die so schlimm waren, das sobald die Stille einen heimsuchte, man zusammenbrach und die Tränen aus jeder einzelne Faser krochen. Wer kannte nicht das Gefühl, das alles zu viel war und es gerade schön war, wenn in der Wohnung Ruhe einkehrte. Wer hatte nicht diesen einen Menschen, bei dem man seine ganze Wut raus lassen konnte und dabei sich an seinen Worten verschluckte. Oder wer machte nicht lieber mal eine Sprachnotiz, weil das viel schneller ging als eine Nachricht in das Handy zu tippen.

Ich würde mein Leben immer lieben aber manchmal gab es halt Tage, die auch ich verfluchte. Und das war menschlich. Nicht mal Roboter funktionierten einwandfrei, warum sollten wir Menschen es dann tun?

Meine Schwester, die wie ich auch einen Mundschutz trug, erklärte mir mit ihren Händen "Ja wir haben alles. Die ersten Mitarbeiter ziehen sich auch um." Kurz stoppt sie bevor sie weiter spricht. "Heute siehst du auch Magnus endlich wieder." Ich konnte nicht anders als zu grinsen.

Nachdem er bei mir die Nacht verbracht hat, haben wir beide noch zusammen gefrühstückt. Dabei habe ich ihm erklärt das, das Gähnen ein stummer Schrei nach Kaffee ist. Er hat mir noch ein paar Fragen gestellt bevor ich ihn nach Hause begleitet habe.

Und kurz darauf kam auch schon der Virus. Wir haben viel geskypt und er hat mir erklärt, das er die Quarantäne nutzt um meine Sprache zu lernen. Daraufhin sind mir die Tränen in die Augen gestiegen. Das war so eine große Geste für mich. Ich konnte es gar nicht begreifen. Es erschien mir so surreal, das dieser wunderschöne Mann, meine Sprache verstehen wollte.

"Ich habe ihn sehr vermisst. Ich konnte vor Sehnsucht gar nicht schlafen." Ich sah in ihren Augen das ehrliche Lächeln. "Das ist Liebe." Meine Wangen nehmen eine warme Farbe an. Ich spüre in meiner Jackett Tasche, wie mein Handy vibriert. Ich lese die Nachricht. 'Ich stehe vor deinem Büro ;)' Mein Herz pulsiert wie ein Lautsprecher, aus dem laut Musik heraus schallt. "Ich würde mich kurz verabschieden."

Izzy zwinkert mir noch zu bevor ich mich umdrehe und so schnell es geht zu meinem Büro zu gelangen. Immer wieder grüße ich mit einem Kopf nicken die Mitarbeiter. Magnus lehnt an der Wand neben meiner Bürotür. Er trägt seine Uniform, als wäre es der Smoking zu seiner Hochzeit. Sein dunkelroter Mundschutz passt zu der Krawatte die er trägt.

Als auch er mich bemerkt, vergessen wir den Abstand den wir halten sollten, wir vergessen wo wir gerade sind und welche Barriere eigentlich zwischen uns steht, sie aber so klein machen, wie die kleinste Maßeinheit die es gibt. Ich ziehe ihn in meine Arme. Sofort kuschelt er sein Gesicht an meine Brust, hört somit den schnell schlagenden Muskeln in meiner Brust. Ich rieche seinen Geruch, spüre die Zuneigung die wir füreinander aufbringen.

Wir lösen uns nur widerwillig. Ich schließe mein Büro auf und bitte ihn stumm herein. Dabei lässt er mich keine Sekunden aus den Augen. Drin bleiben wir stehen und betrachten den jeweils anderen. Er deutet mit seinem Zeigefinger, das ich gut aufpassen soll.

Seine Hände, die sich fast melodisch bewegen formen den Satz "Ich mag dich sehr." Selbst wenn ich sprechen könnte, würden mir jetzt die Worte fehlen. Ich kann die bekannten Bewegungen nicht mal nachahmen, so gefasst wie ich bin. Es sind die ersten Zeichen die er mir entgegen bringt und dann sind es solche gewählten. Da steckt soviel Bedeutung dahinter, das mir jetzt selbst die Welt klein erscheint.

Langsam und überlegt überschreite ich wieder den vorgelegten Abstand. Unsere Brustkörbe heben und senken sich gleichzeitig, berühren sich sanft bei jedem Atemzug. Ich nehme meine marineblaue Maske ab. Magnus beobachtet mich, scheint auf meine Antwort zu warten. Mein Kopf hat sich vollkommen ausgeschalten. Die Gefühle regieren meine Handlungen, lassen nichts anderes zu.

Vorsichtig nehme ich mit meinen beiden Händen auch seine Maske ab, lösen den störenden Gummi hinter seinen Ohren und legen somit seine rosafarbenen Lippen frei. Diese sind zu einem kleinen Lächeln verzogen.

Ich küsse seine Stirn, es ist ein versprechen das ich immer da sein werde. Ich küsse seine Wange, es ist ein 'schön das es dich gibt'. Meine Hände zittern als ich sein Gesicht wie ein Bild umrahme. Unmerklich nickt er. Langsam, luftanhaltend und mit einer Sicherheit, die selbst Schwerverbrecher festhalten könnte, legen wir unsere Lippen aufeinander, geben somit unseren Gefühle die Stimme.

Ein Beginn von etwas ganz eigenes.

Malec KurzgeschichtenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt