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The lonely soul wanders
Alone in the walks of life
No other soul as his companion
The lonely soul wanders
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~~~Unknown~~~

P.o.V PHILOMENA
Stumm sah ich aus dem Fenster. Die Landschaft zog an mir vorbei. Es war still. Niemand redete. Nur das stetige Rattern des Motors war kontinuierlich zu hören. Gelangweilt betrachtete ich die Gegend. Sie wirkte beinahe idyllisch.

Die Blätter hatten die Farbe gewechselt und segelten von den Bäumen auf die Allee herab. Irgendwie hatte es auf mich den Eindruck, als wäre es der Blumenregen einer feierlichen Parade. Doch dies hier hatte nicht die geringste Ähnlichkeit mit einer Parade. Eher mit einem Trauermarsch.
Trotz der bunten Blätter wirkte alles so trostlos und einsam, und genauso fühlte ich mich auch. Verlassen... Doch wen interessierte das schon? Wen interessierte es denn schon seit Georges Unfall?

Leise seufzte ich und lehnte meinen Kopf gegen die Fensterscheibe.

Da hörte ich bereits die altbekannte, tadelnde Stimme meiner Mutter: „Philomena! Setz dich gerade hin! Du zerknitterst dein Kleid und ruinierst deine Frisur! Ich habe eine Stunde gebraucht, damit deine Haare richtig sitzen."

Schnell richtete ich mich wieder gerade auf und erhaschte den direkten, starrenden Blick meines Vaters. Er saß auf der Bank mir direkt gegenüber, gegen die Fahrtrichtung. Wir reisten zu dritt, unseren Fahrer ausgenommen, der hinter meinem Vater in einem separaten Fahrerraum den Wagen bediente. Es war ungewöhnlich, dass nur wir drei unterwegs waren.
In den Ferien hatte meine Familie immer einen Wochenendausflug zu unserem Strandhaus gemacht, oder wir waren in die Berge in unsere Jagdhütte gefahren. Doch dieser Sommer war anders gewesen. Anders als jeder Sommer zuvor.

Meine Mutter hatte es sich zur Aufgabe gemacht, das gesamte Haus zu säubern und jedes einzelne Familienfoto von uns auszutauschen. Eine weitere Maßnahme von ihr war gewesen, das obere Schlafzimmer im rechten Flügel zu verschließen. Es wurde zu einer Gruft inmitten unseres Hauses, gemieden von allen, die das Harding-Anwesen bewohnten.
Mein Vater hatte sich das erste Mal seit zehn Jahren Urlaub genommen: Trauerurlaub für eine halbe Woche. Seine Art, mit dem Tod meines Bruders umzugehen, war gewesen, dass er sich einen neuen Sportwagen gekauft hatte.

In diesen drei Urlaubstagen hatte ich ihn nur selten gesehen. Wenn er da war, war er abwesend, vertieft in seinen Gedanken. Doch dies war nicht ungewöhnlich für ihn. Nur war es diesmal ein anderes Thema, das ihn beschäftigte. Dieses Mal war es kein Geschäftsreise nach Illinois oder ein Meeting mit einem gewissen Mr. Sunches. Nein, es war das Ableben eines geliebten Menschen. Es war sein Sohn, mein Bruder George, der fehlte und einen tiefen Riss im Leben von uns allen hinterließ.

Meine Ferien hatte ich zum größten Teil damit verbracht, mich alleine in meinem Zimmer zu verschanzen und nichts zu tun. Abgesehen von ein paar Büchern hatte ich nichts angerührt. Schon gar nicht das Telefon. Ich konnte es nicht mehr hören, das ewige Surren.
In einem Anfall von Wut hatte ich den Hörer gegen eine Wand geschmettert. Seitdem war es stumm geblieben. Ich hatte es nicht mehr ertragen. Immer und immer wieder wurden mir die gleichen Fragen gestellt: Wie geht es dir? Ist alles in Ordnung? Was wird jetzt passieren?

Wie sollte es mir denn verdammt noch mal gehen? Mein großer Bruder ist tot! Natürlich war nicht alles in Ordnung! Und woher sollte ich denn bitte wissen, was nun geschehen würde? Ohne ihn?

Und genau deshalb ließ ich mich auch nicht mehr draußen sehen. Ab und an hatte es mich in diesem Sommer doch nach draußen getragen. Die Sonnenstrahlen berührten meine bleiche Haut und ließen sie kribbeln. Doch der gelbe Ball am Himmel war nicht der Grund, warum ich mich nach draußen wagte. Wenn ich mich mal an die frische Luft traute, dann ging ich in unseren Garten.
Ich spazierte durch die langen Gänge aus Blumenbeeten, die in ihrer vollen Blüte standen, an dessen Ende sich nur eines befand: die Familiengräber.

Als wäre es gestern gewesen, erinnerte ich mich an den Tag. Es war der erste Tag im Juli gewesen, an dem es schlechtes Wetter gegeben hatte. Wie im Film goss es aus allen Wolken. Schwarze Regenschirme waren aufgespannt gewesen. Am Boden sammelten sich bereits Pfützen. Bis ins kleinste Detail konnte ich mich an alles erinnern.
Der Saum meines langen Kleides hatte sich mit Wasser vollgesaugt, weshalb meine Mutter mich dazu angehalten hatte, es etwas höher zu tragen. Als ob es nichts Wichtigeres an diesem Tag gegeben hätte. Georges Sarg war grau gewesen. Eine rote Schleife war darauf gebunden worden, und neben dem Loch, das sie für ihn gegraben hatten, hatten sie ein großes Bild von ihm aufgestellt.
Es war sein diesjähriges Schülerfoto von Welton. Wie immer lächelte er mit einem breiten Grinsen in die Kamera, nichts ahnend, was ihm in ein paar Monaten widerfahren würde. Es war mir unmöglich gewesen, dieses Bild auch nur für eine Sekunde länger anzusehen. Nicht mit dem Wissen, dass dieser Junge, in der Kiste direkt vor mir lag.

Mein Blick war über die Menge gewandert. Es waren so viele Leute. So, wie sie aussahen, waren die meisten aus politischen Gründen hier. Wahrscheinlich waren es ebenfalls Senatoren wie mein Vater oder andere wichtige Menschen. Mein erster Gedanke war gewesen: Hatte George auch nur zehn von ihnen gekannt?
Mit größter Wahrscheinlichkeit nicht. Den Hauptteil seines Lebens hatte mein Bruder auf der Welton Academy verbracht. Nur in den Weihnachts-, Sommer- und Osterferien war er zu Hause gewesen, und in dieser Zeit hatten wir wesentlich Besseres zu tun gehabt, als die Geschäftspartner und Arbeitskollegen unseres Vaters kennenzulernen. Unauffällig schielte ich zu ihm hinüber.
Senator Robert Harding, mein Vater. Nicht ein einziges Mal hatte ich meinen Vater weinen sehen. Nicht ein einziges Mal. Nicht einmal für seinen Sohn hatte er ein paar Tränen übrig. Die Regentropfen fielen auf seinen Anzug. Wenigstens weinte der Himmel für George Harding, wenn es schon nicht sein eigener Vater tat.

Dead Poets In Love \ Club der toten Dichter Fan Fiktion~DPS-Charakter X OCWo Geschichten leben. Entdecke jetzt