✧ XI ✧

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Life is real! Life is earnest!
And the grave is not its goal;
Dust thou art, to dust returnest,
Was not spoken of the soul.
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~~~Henry Wadsworth Longfellow~~~


P.o.V PHILOMENA

Die zweite Stunde von Mr. Keating war erneut sehr überraschend verlaufen. Zunächst war sie wie jede andere Unterrichtsstunde hier auf Welton gewesen. Wir waren, wie es sich gehörte, jeder auf seinem Platz gesessen und hatten die Einleitung unseres Schulbuches gelesen.
Aber dann hatte uns Mr. Keating, oder auch unser Captain, angewiesen, die Seiten herauszureißen. Wie schon in der ersten Stunde waren wir alle überaus verwirrt gewesen. Unsicher hatten wir uns Blicke zugeworfen, musterten unsere Mitschüler und beäugten ihr Verhalten.
Jedenfalls bis der rebellische Dalton den Anfang machte und enthusiastisch eine Seite nach der anderen mit einem reißenden Geräusch aus dem Schulbuch entfernte. Nach und nach hatten wir uns dem Jungen angeschlossen und die weißen Blätter dem Vorwort des hoch angesehenen Dr. J. Evans Pritchard zugeordnet.
Mr. Keating war stolz durch die Reihen gelaufen und hatte mit einem Lächeln die Seiten eingesammelt. Ich hatte noch nicht so ganz verstanden, was diese Aktion für eine Bedeutung haben sollte, aber je mehr ich über Keatings Aussagen und den Inhalt der Einleitung nachdachte, desto klarer erschien mir diese.

Da wurde ich von jemandem leicht in die Seite gestoßen. Schnell hob ich meinen Kopf und sah Knox neben mir. Mit einer leichten Handbewegung deutete er auf den Tisch und sprach: "Dein Essen wird noch kalt."

Genau. Mein Essen. Sofern man das, was auf meinem Teller lag, auch wirklich Essen nennen konnte. Genau wie Mr. Keatings Unterricht war das Essen hier ebenfalls immer wieder eine Überraschung.
Skeptisch nahm ich mein Besteck in meine Hand und begann wie meine Klassenkameraden auf dem Stück Fleisch herumzustochern. Dafür, dass Welton so renommiert war, war das Essen annähernd gar nicht genießbar. Es wunderte mich nicht, dass die Jungs in ihren Zimmern Tonnen an Keksen und andere Leckereien horteten. Mir ging nur nicht in den Kopf, wie sie bei diesen Mengen an Schokolade und dergleichen noch immer so dünn waren.

"Wo bist du denn heute mit deinen Gedanken, Philomena?", erkundigte sich Meeks verwundert, „So still warst du noch nie." Ich gab dem Jungen mit den roten Haaren und der Brille ein schiefes Lächeln.

"Nichts allzu Wichtiges. Ich habe nur über Keatings Unterricht nachgedacht.", sagte ich simpel. Bekräftigend begannen die anderen zu nicken. Sie waren beinahe genau so fasziniert von unserem neuen Lehrer wie ich.

Doch noch ehe wir uns weiter unterhalten konnten, wurden wir von einem unserer Mitschüler unterbrochen. Euphorisch stürzte sich Neil auf den freien Platz neben mir.
"Hey Leute!", grüßte er uns mit einem vielsagenden Grinsen auf den Lippen. Ich kannte meinen Freund erst seit kurzem, doch mit absoluter Sicherheit wusste ich, dass er uns etwas unbedingt mitteilen wollte. Und ich sollte Recht behalten. Eilig zog er ein dickes Buch aus schwarzem Leder aus seiner Tasche, welche mit dem Welton-Logo bestickt war. Auf dem Einband war kein Titel.

"Seht mal, was ich in der Bibliothek gefunden habe!"
Skeptisch hob ich die Augenbrauen und besah mir den Gegenstand auf dem Tisch.
"Oh mein Gott, Neil! Du hast ein Buch in der Bibliothek gefunden? Ich würde das ein Wunder nennen. Pitts, ruf die Presse an! Wir werden noch berühmt damit.", entgegnete ich sarkastisch, schmerzlich.
Der gesamte Tisch brach in Gelächter aus und ich lächelte Neil etwas übertrieben an. Meine Antwort hatte ihn ebenfalls zum Schmunzeln gebracht. Leicht schubste er mich etwas an der Schulter, sodass ich gegen Knox gedrückt wurde.

"Sehr witzig, Philomena. Wirklich sehr witzig.", meinte er, während er mich ein weiteres Mal gegen unseren Freund drückte, „Das hier ist Keatings Abschlussjahrbuch. Seht euch das mal an!"
Ganz gezielt hatte er eine Seite aufgeschlagen und zeigte sie der Runde. Alle beugten sich etwas nach vorne, um einen besseren Blick auf den jungen John Keating zu werfen. Sogar Todd lehnte sich interessiert über den Tisch.

Seit unserem kurzen Gespräch in dem Zimmer der Jungs waren zwei Tage verstrichen und irgendwie musste ich zu dem verschossenen Jungen durchgedrungen sein. Er brachte sich zumindest etwas mehr in unsere Gespräche ein, und das Wichtigste war, dass er sich in den letzten Tagen immer mit uns im Studienraum getroffen hatte.

Auch ich reckte mich etwas, um das Foto zu sehen. Man konnte sofort erkennen, dass es Keating war. Er hatte wirklich gut ausgesehen. Ich hätte ihn sogar als äußerst attraktiv bezeichnen können. Außerdem ähnelte er mit den dichten, locker ins Gesicht hängenden Haaren und den runden, beinahe noch kindlichen Gesichtszügen Todd.

"Hört euch das an: Captain der Fußballmannschaft, Herausgeber des Schuljahrbuchs, wurde in Cambridge aufgenommen, Weiberheld und Mitglied des Clubs der toten Dichter.", las uns Neil vor. "Einer, der so gut wie alles fertigbringt.", fuhr Cameron lachend fort.

"Weiberheld? Mr. K. war also ein Draufgänger?", kommentierte Charlie mit wackelnden Augenbrauen. Natürlich begeisterte gerade ihn das am meisten. Mich jedoch interessierte etwas anderes.

Club der toten Dichter?
Von diesem Verein hatte ich noch nie in meinem Leben gehört. Auch George hatte kein Wort über etwas Derartiges verloren.

"Was ist das?", erkundigte ich mich, mit dem Finger auf das Buch zeigend, "'Der Club der toten Dichter'? "
Alle Anwesenden schüttelten die Köpfe.
"Nicht das ich wüsste. Von denen habe ich noch nie etwas gehört. Gibt es keine Bilder?", meinte Meeks, während er seine Brille abnahm, um sie zu putzen.
"Keine einzige weitere Erwähnung. Nicht hier und nirgendwo anders.", verneinte Neil, welcher das Jahrbuch wieder etwas zu sich gezogen hatte, "Nach dem Essen fragen wir ihn! Keating. Wir fragen ihn, was 'Der Club der toten Dichter' ist."

Zustimmend nickte ich meinem Freund zu, und auch die anderen Anwesenden, die rund um den Tisch saßen, waren nicht wirklich abgeneigt von seiner Idee.
Aber noch ehe jemand etwas über dieses Thema sagen konnte, spürte ich, wie sich ein Schatten über mein Gesicht legte. So schnell er konnte, ließ Neil hektisch das Buch in seiner Tasche verschwinden. Als ich meinen Kopf entgegen dem Schatten drehte, erkannte ich auch die Ursache seines gehetzten Verhaltens.
Mr. Nolan hatte sich vor unserem Tisch positioniert.
"Meine Herren! ...und Miss Harding. Was ist das hier für eine Unruhe? Widmen Sie sich wieder Ihrem Essen.", befahl er uns mit einem herrischen Unterton.
Er ließ seinen Blick einmal quer über uns Schüler schweifen, sah jedoch nicht die Hand, die Neil schützend um seine Tasche gelegt hatte. Nolan studierte noch einmal mit einem tadelnden Ausdruck, sodass jeder wusste, dass dies hier die erste und letzte Verwarnung sein würde, dann wandte sich der Direktor zum Gehen um.

Erleichtert atmete Cameron aus. Er war der brave Junge, der immer alles tat, was man ihm sagte. In den letzten Tagen hatte ich gelernt, besser mit dem rothaarigen Kobold, wie Charlie ihn in seiner Abwesenheit bezeichnete, klarzukommen und ihn auch als Freund bezeichnen zu können. Bisher war ich mir jedoch nicht sicher, ob dies auch auf Gegenseitigkeit beruhte.

"Wir sprechen nach dem Essen mit Keating.", flüsterte uns Neil, der sich etwas über den Tisch beugte, sodass auch wirklich alle ihn verstanden, zu. Ich freute mich schon auf unsere Unterhaltung mit Mr. Keating. Das ganze Mittagessen über konnte ich nur an eines denken:

Der Club der toten Dichter

Dead Poets In Love \ Club der toten Dichter Fan Fiktion~DPS-Charakter X OCWo Geschichten leben. Entdecke jetzt