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My soul is awakened,
my spirit is soaring
And carried aloft on the wings of the breeze
For above and around
me the wild wind is roaring,
Arousing to rapture the earth and
the sea.
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~~~Anne Bontë~~~

P.o.V PHILOMENA

Welton.
Dort sollte meine Reise enden. George war dort zur Schule gegangen. Sechs Generationen meiner Vorfahren hatten das Internat besucht.
Ich sollte nun in ihre Fußstapfen treten. Und das machte mir große Angst.
Nicht die Tatsache, in ein Internat zu gehen, bereitete mir Sorgen. Im Gegenteil.
Seit ich elf Jahre alt geworden war, hatte ich den größten Teil meines Lebens auf der Kingston Academy verbracht, weit weg von meinen Eltern und meinem Elternhaus. Die Distanz war also keineswegs mein Problem.

Nein... Ich war in einer ganz bestimmten Weise anders als meine Vorgänger.
Ich würde das erste Mädchen in unserer Familie sein, das die Schule besuchen würde. Um es genau zu nehmen, war ich das erste Mädchen in der Geschichte von Welton, das hier leben, schlafen und lernen würde. Und das versetzte mir einen Schauer. Die nächsten zwei Jahre würde ich alleine unter einem Haufen Jungen leben.
Da stellte sich mir gleich die erste Frage:
Würde ich jemals akzeptiert werden? Jeder kannte den Grund, warum ich hier war. Wenn der eigene Vater ein hochangesehener Senator war, dann spielte Geld keine Rolle. Eine großzügige Spende von Mr. Harding, ein Gespräch mit dem Schulleiter Mr. Nolan und schon hieß es in den Zeitungen: 'Es ist uns eine Ehre, Philomena Harding in Welton aufzunehmen'.

Eine zweite Frage, die sich mir ebenfalls stellte, hatte mir schon so einige Nächte in den Sommerferien Kopfzerbrechen bereitet: Würde ich auf Welton überhaupt Freunde finden? George hatte einige Kumpels gehabt. Manche hatte uns sogar besucht.
Natürlich nur jene, die reiche und einflussreiche Eltern hatten. Wenn ich mich recht erinnerte, hatte einer den Namen Tommy Rogan gehabt und ein anderer Jeffrey Anderson. Aber es waren schon wieder zu viele Jahre vergangen. Jetzt waren sie nur noch halb vergessene Namen und verschwommene Gesichter. Wahrscheinlich hatten Georges Freunde auch bereits ihren Abschluss gemacht.

Ich war nicht schüchtern. Im Gegenteil, ich war eine offene und freundlichere Person, doch die Frage war wohl eher, ob mich die Jungen auf Welton trotz meines Geschlechts auch wirklich annahmen.
All dies würde ich noch früh genug erfahren. 

Nervös begann ich an meinem Kleid zu zupfen. Meine Mutter hatte es ausgesucht. Normalerweise trug ich keine Kleider, sehr zu ihrem Leidwesen. Für gewöhnlich begnügte ich mich mit einfachen, eleganten Hosen oder Röcken und einer weißen Bluse.
Auf Kingston hatte ich immer die Schuluniform mit einer Krawatte zu tragen. Auf Welton würde es ebenfalls eine Uniform geben. Freundlicherweise war mir über die Ferien eine zugeschickt worden. In Zukunft würde ich wohl ein schwarzes Jackett mit dem Wappen von Welton tragen. Nach meiner Schätzung müssten wir bald ankommen.

 
Die Fahrt vom Harding-Anwesen nach Welton dauerte ungefähr vier Stunden. Bis jetzt war ich nur zwei Mal in Welton gewesen. Das erste Mal, als mein Bruder dort eingeschult worden war, und das zweite Mal, als wir ihn am Ende des Schuljahres wieder abgeholt hatten. Damals war ich neun gewesen, noch zu klein, um zu verstehen, warum Georgie nicht mehr bei uns wohnen konnte.
Ich erinnerte mich noch genau an jeden einzelnen Moment. Wie bitterlich ich geweint hatte, als mich meine Eltern wieder zurück ins Auto setzten ohne meinen Bruder. Ich wollte ihn hier nicht zurücklassen. Nicht alleine.
Die Mauern des alten Gebäudes wirkten so bedrohlich und angsteinflößend, beinahe so, als wollten sie meinen Bruder verschlingen. Ob sich etwas verändert hatte? Bestimmt hatte sich etwas verändert. Es war acht Jahre her. In acht Jahren konnte viel passieren...

Doch da erweckte etwas außerhalb des Autos meine Aufmerksamkeit. Es war ungefähr 200 Meter von uns entfernt und wir bewegten uns zielstrebig darauf zu. Je näher wir kamen, desto mehr wurde mir klar, was da vor uns lag. Die Eingangstore von Welton. Dicke Eisengitter mit verschnörkelten Rosenranken.

Ich hatte kaum Zeit, sie mir genauer anzusehen. Zu schnell waren wir daran vorbeigefahren, aber das machte gar nichts. Schon hatte ich wieder etwas Neues entdeckt, das ich besichtigen konnte, sobald ich Zeit fand.
Die Auffahrt, die sich zum Gebäude hin zog, war gespickt mit vielen teuren Autos. Gemächlich fuhren wir an den Wagen vorbei. Von meiner Sicht aus konnte ich bereits die Schule sehen. Neugier erfasste mich.

Hier würde ich ab jetzt leben.
Immer näher kamen wir dem Hauptgebäude. Ein kreisrunder Kiesplatz befand sich vor dem Haus. Viele Schüler aller Altersgruppen tummelten sich vor den Türen. Die Jüngeren unter ihnen wirkten sehr verloren. Ich konnte sie verstehen. Alles war fremd und ungewohnt, doch ihre Eltern schienen dies gar nicht zu bemerken. Oder war es ihnen doch einfach egal? Ich konnte es nicht sagen. Unser Chauffeur drehte eine halbe Runde und hielt direkt vor den Stufen, die zu der Eingangstür hinaufführten.

Aufmerksam drehten sich die Leute zu unserem Gefährt um und reckten ihre Köpfe. Nervosität baute sich in mir auf. Langsam senkte ich den Kopf und atmete einmal kurz ein und aus. Schon spürte ich, wie ein Windhauch meine Haare nach hinten wirbelte. Die Tür war geöffnet worden.
Am liebsten wäre ich lieber noch eine Zeit im Auto geblieben, doch meine Eltern waren bereits draußen auf dem Platz. Auffordernd hielt mir mein Vater den Arm hin, um mir beim Verlassen des Automobils zu helfen. Unsicher ergriff ich seinen Arm und setzte meine Füße auf den Kies. Leise knirschten die Steine unter meinen Sohlen. Sämtliche Augen waren auf meine Familie und mich gerichtet. Von allen Ecken drängte Getuschel an mein Ohr:

„Das sind die Hardings?"

„Sind sie das?"

„Ist das der Senator?"

Stolz reckte mein Vater die Brust heraus. Ich wusste, dass er es liebte. Die Aufmerksamkeit. Aber so sehr er sie liebte, so sehr verabscheute ich sie mit glühender Inbrunst. Doch in Zukunft würde ich mich wohl an das Starren gewöhnen müssen.

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