✧ XII ✧

138 10 0
                                    

°°°
O Captain! my Captain! rise up and hear the bells;
Rise up-for you the flag is flung-for you the bugle trills;
°°°
~~~Walt Whitman~~~

P.o.V PHILOMENA
Aufgeregt liefen wir die Wiese hinunter, welche zum See führte. Nur ein paar Meter vor uns spazierte Keating pfeifend vor sich hin.
Sofort nach dem Essen waren wir aufgestanden und hatten uns nach draußen begeben, um unseren Lehrer zu suchen.

"Mr. Keating!", rief Neil ihm nach, welcher etwas vor mir lief, "Mr. Keating! Sir!"
Doch der Professor reagierte nicht.

"Nenn ihn anders!", mischte sich Knox kichernd ein, welcher sich bei mir untergehakt hatte. Neil warf ihm einen kurzen, skeptischen Blick zu, entschied sich aber dann doch dafür, es mal zu versuchen.

"Oh Captain, mein Captain!"

Und tatsächlich! Der Mann mit den Hosenträgern und dem weißen Hemd blieb beinahe auf der Stelle stehen und drehte sich schwungvoll zu uns um.
"Gentlemen!", begrüßte er die Jungs, schien jedoch einen Moment später auch mich unter ihnen zu entdecken, "Und Miss Harding natürlich. Wie konnte ich Sie übersehen."
Er schenkte mir ein freundliches Grinsen und ein elegantes Nicken mit dem Kopf. Wie konnte so etwas elegant sein? Ich hatte keine Ahnung, aber bei Keating konnte es jedenfalls.

"Wir haben Ihr altes Jahrbuch gefunden, Sir.", begann Neil zu erklären und händigte ihm das in Leder gebundene Buch aus.

Ungläubig lächelnd nahm er es entgegen und besah sein Bild, bevor er ein lautes Lachen von sich ließ.
"Oh gütiger Gott. Nein, nein! Das kann doch nicht ich sein.", scherzte er amüsiert über das Portrait. Ermuntert begann er weiter zu blättern und sich seine ehemaligen Klassenkameraden anzusehen, welche mittlerweile wohl ebenfalls eine sehr erfolgreiche Laufbahn in der Berufswelt eingeschlagen hatten. Zumindest, wenn man nach Weltons Resultaten ging.
Ab und an murmelte Mr. Keating leise vor sich hin. Völlig überwältigt glitten seine Finger über die Seiten. In seinen Augen spiegelten sich die Erinnerungen an seine Tage an unserer Schule wieder.

Aber schlussendlich hielt ich es nicht mehr aus, meinen Mund zu halten. Meine Neugierde brannte wie ein wildgewordenes Feuer in meiner Brust.
"Wir hatten eine Frage, mein Captain.", sprach ich. Dies brachte den Lehrer zunächst zum Schmunzeln, aber in der nächsten Sekunde hatte er einen aufrichtig aufmerksamen Blick aufgesetzt, "Was war der Club der toten Dichter?"

Mit einem Grinsen sah er in die Runde.

"Ich bezweifle, dass das jetzige Lehrerkollegium das so befürworten würde."

"Warum das?", fragte Charlie, welcher etwas näher an mich herangetreten war.

"Ja genau! Was war denn?", ergänzte nun auch Pitts, der durch seine Größe die Jungs um ein gutes Stück überragte.

Etwas unsicher sah sich Mr. Keating um, gerade so, als würde er nicht wollen, dass ihn jemand uns belauschte.
"Könnt ihr ein Geheimnis bewahren?", sprach er mit gedämpfter Stimme.

Eifrig begannen wir zu nicken. Daraufhin hockte sich Mr. Keating auf das erst vor kurzem geschnittene Gras. Der Geruch hing noch immer in der Luft. Wir zögerten nicht lange und setzten uns um ihn herum.
"Dieser Club hatte sich dazu verschrieben, das Mark des Lebens in sich aufzusaugen. Dieser Ausspruch stammt von Thoreau, den wir vor jedem Treffen schworen. Wir pflegten uns in einer alten Indianerhöhle zu treffen. Und dann lasen wir abwechselnd vor. Thoreau, Whitman, Shelley... Eben die Großen und manchmal auch eigene Verse. Und im Banne dieser Verse ließen wir uns von der Poesie verzaubern.", erzählte er uns voller Leidenschaft.
Seine Augen schienen bei jedem weiteren Satz mehr und mehr zu glänzen, und ich fühlte mich wie gefangen in seinen Worten. In mir regte sich der Wunsch, einige Jahre früher Welton besucht zu haben, um eines dieser Treffen erleben zu können.

"Sie meinen, das waren irgendwelche Jungs, dierumhockten und Gedichte vortrugen?", fragte Knox, welcher etwas enttäuscht von der Antwort zu sein schien. Lachend schüttelte Keating den Kopf.

Die Aussage seines Schülers amüsierte ihn wirklich köstlich.
"Nein, Mr. Overstreet! Wir waren nicht nur Jungs. Wir waren keine studentische Verbindung. Wir waren Romantiker! Wir haben nicht nur einfach Gedichte gelesen. Wir ließen sie auf unseren Zungen wie Honig genüsslich zergehen. Das Bewusstsein bekam Flügel, Frauen sind dahingeschmolzen und Götter wurden geschaffen. Damit kann man schon mal einen Abend verbringen...", erzählte er weiter.

Genau wie ich, waren nun auch meine neu gewonnenen Freunde seinem Bann nicht entkommen. Jeder einzelne von ihnen hing an seinen Lippen, spätestens bei der Erwähnung der dahinschmelzenden Frauen.

"Vielen Dank, Mr. Perry, für den Ausflug in die Vergangenheit.", bedankte er sich mit einem Lächeln, "Verbrennen Sie's. Vor allem mein Foto."

Der letzte Teil brachte die Jungs zum Kichern und alle richteten sich wieder auf. Nur einer blieb sitzen. Dies war Neil.
Ich selbst sah Mr. Keating nach, welcher seinen Spaziergang fortsetzte, als wäre nichts geschehen. Etwas versetzt hinter mir hörte ich Neil etwas murmeln, doch noch bevor ich mich danach erkundigen konnte, dröhnte die Klingel in meinen Ohren.

Schnell richtete sich nun auch mein braunhaariger Freund mit den großen Rehaugen auf und sprach bestimmend: "Ich sage, wir gehen heute Nacht hin!"

Meine Augen weiteten sich und mein Herz begann schneller zu pochen.
Eine Versammlung des Clubs der toten Dichter? Heute Nacht? Bei weitem eines der aufregendsten Dinge, die ich in meinem Leben gehört hatte.

"Was? Heute Nacht?", fragte Knox Overstreet, zu gleichen Teilen entsetzt und verwundert. "Wo ist denn überhaupt diese Höhle?", stellte Pitts die Frage, die ich mir seit der Erwähnung des Treffpunktes ebenfalls gestellt hatte. Eine Indianerhöhle? Es konnte doch nicht besser kommen, oder?
Als wäre diese Vereinigung junger Schüler aus den Seiten eines Buches von Robert Louis Stevenson gesprungen.

"Jenseits des Flusses. Ich weiß, wo sie ist.", erwiderte Neil stur.

Ich hatte die Karten von Welton etwas studiert. Der Fluss lag nördlich von Welton. Meiner Einschätzung nach war er wohl ein Stück weit entfernt von der Schule, doch wenn wir uns zügig bewegten, würde es wohl nicht allzu lange dauern.

"Das ist viel zu weit.", warf Pitts hektisch ein und drehte sich schlagartig um, um in die Schule zurückzukehren.

Sofort folgten wir seinem Beispiel. Doch natürlich musste der Nächste gleich nachlegen.
"Also mir ist das zu langweilig.", maulte der zweite Rotschopf, Cameron.

"Dann lass es doch.", erwiderte Charlie, für mein Geschmack etwas zu harsch.
Wenn es um seinen Zimmerkameraden ging, so hatte der junge Dalton nicht viel Sympathie übrig.

"Weißt du, wie viel Ärger wir dafür bekommen werden, Dalton?", versuchte Cameron sich zu rechtfertigen.

"Keine Ahnung, Cameron.", erwiderte ich sarkastisch, "Du kannst es uns doch bestimmt genau sagen, oder? Wie viele Jahre muss ich denn in den Knast?"

Charlie, der nebenher gerannt war, brach in schallendes Gelächter aus und legte stützend einen Arm um meine Schultern.

"Alles, was ich gesagt habe, ist, dass wir vorsichtig sein müssen. Wir dürfen nicht erwischt werden.", begann Cameron erneut, worauf Charlie nur unberührt entgegnete: "No shit, Sherlock."
Doch ehe wir weiter diskutieren konnten, wurden wir abermals unterbrochen.

Hager! Er war Doktor der Mathematik, und wenn er nicht gerade damit beschäftigt war, uns den trockenen Stoff in unsere Gehirne zu hämmern, liebte er es, uns herumzukommandieren. Unter anderem bereitete es ihm ebenfalls Freude, in der Nacht mit seinen Hunden ein paar Runden in Welton zu drehen.

"Los! Beeilt euch, Jungs! Heute noch, wenn es möglich ist!", brüllte er quer über den ganzen Platz.

Aber als wir uns alle weiter auf das Gebäude zubewegten, war es Neil, der uns zurückhielt.
Schnell hatte er sich zu uns umgewendet und sprach: "Also, wer ist jetzt dabei?"

Ohne auch nur darüber nachzudenken, trat ich vor.
"Ich bin auf jeden Fall dabei!"

Und nach und nach sagten auch die anderen zu. Somit stand es wohl fest.

Heute Abend würden wir die Höhle aufsuchen.

Dead Poets In Love \ Club der toten Dichter Fan Fiktion~DPS-Charakter X OCWo Geschichten leben. Entdecke jetzt