Noah:
Nachdem Cam weg war, saß ich deprimiert zwischen Alec und Dave im Sofa und wir schauten Fußball.
Alec fieberte total mit, Dave hatte Schwierigkeiten, der Geschwindigkeit des Spieles überhaupt zu folgen und ich war mit den Gedanken ohnehin ganz woanders.
Gerade in diesem Moment umarmte Ken Cameron vielleicht gerade mitten im Park. Er fütterte ihn mit einer Erdbeere. Er bot ihm mit einem liebevollen Lächeln etwas zu trinken an. Er strich ihm durch die Haare, obwohl sie wie immer perfekt saßen, nur um ihn anzufassen. Er küsste ihn...
Jemand würde sie sehen und sich denken: Was für ein süßes Paar. Keiner würde auf die Vermutung kommen, dass Cameron zuhause seinen kleinen Bruder auf sich warten hatte, der ihn viel zu sehr liebte und sich schon beinahe nach ihm verzehrte.
Mitten in meinen Gedanken jammerte Dave plötzlich: „Ich hab Hunger!"
Ich seufzte. „Du weißt doch, wo die Küche ist, stell dich nicht so an, du bist 22 Jahre alt."
Dave zog böse die Augenbrauen zusammen. „Du bist ein scheiß Gastgeber"
Ich seufzte, stand auf und er folgte mit in die Küche.
„Wie lange hast du eigentlich vor zu bleiben? Und wissen Dad und Kate, dass du da bist?"
Dave schüttelte den Kopf. „Nö, die wissen nix. Und wie lange ich bleiben werde, weiß ich noch nicht. Ich finde es gerade so spannend hier"
Ich hatte keinen Plan, was er damit oder mit diesem Grinsen im Gesicht sagen wollte, als ich eine Tiefkühlpizza aus dem Gefrierfach holte und in den Backofen warf.
„Was, wenn ich keine Pizza will?", versuchte Dave es zu provozieren.
Ich sah ihn genervt an. „Dann musst du entweder verhungern oder anfangen, deine Finger zu essen"
Verstört blickte Dave auf seine Finger, verstand nicht, dass es Ironie war.
Was machte er nur mit seinem Hirn?
Ich seufzte schwer, ging einen Schritt zu ihm und umarmte ihn.
„Ich will meine Finger nicht essen müssen, Flitzer. Dann kann ich gar keine Musik mehr machen und tanzen musste ich eh schon aufhören", jammerte Dave traurig.
Ich strich beruhigend über seinen Rücken. „Schon gut Dave, du musst deine Finger nicht essen. Was möchtest du? Ist die Pizza ok?"
Er nickte schnell. „Ja, besser als Finger"
Ich schmunzelte leicht, ließ ihn wieder los und richtete seine mehr als versaute Frisur. „Wie lange kannst du überhaupt bleiben?"
Er wusste genau, worauf ich anspielte. Er zuckte mit den Schultern, schaute weg. „Höchstens 24 Stunden"
Ich nickte verstehend. „Wie wär's, wenn du über Nacht hierbleibst? Es ist jetzt eh schon so spät und morgen früh bringen wir dich zum Bahnhof."
Dave nickte einverstanden und lächelte leicht. „Nett von dir"
Ich erwiderte das Lächeln und konterte: „Gute Erziehung"
Kichernd legte er den Arm um mich und wir gingen wieder ins Wohnzimmer, wo Alec mit verschränkten Armen auf dem Sofa saß und die Sportschau nachdem Spiel kommentierte.
„Ja genau! Ich scheiß auf euren Ballbesitz. Wollt ihr mal richtige Bälle sehen, mh?!"
Seine Mannschafft hatte wohl verloren, sowie das aussah.
Dave lachte über Alecs Verhalten. „Da ist aber einer eingefleischter Fußballfan..."
Alec hörte das gar nicht, sondern brummte nur Beschwerden vor sich hin.
Nach etwas drei Minuten machte er den Fernseher aus und schmiss die Fernbedienung angespannt aufs Sofa, ehe er sich mit verschränkten Armen wieder zurück sinken ließ. „So eine Scheiße habe ich mein Leben lang nicht gesehen" Er schüttelte den Kopf und schaute dann erwartungsvoll zu Dave und mir.
„Jetzt stimmt mit endlich mal zu!"
Ich begann zu kichern und Dave legte fragend den Kopf schief. „Worum geht's nochmal?"
Alec verdrehte die Augen. „Sag deinem Bruder mal, er soll weniger Kiffen, das ist ja nicht mehr normal"
Dave begann laut zu lachen. „Der denkt, ich kiffe!"
Er bekam sich fast nicht mehr, so lächerlich fand er diese Vorstellung. Wenn man bedachte, was Dave sich schon alles reingejagt hatte, dann war seine Reaktion durchaus nachvollziehbar...
„Keine Sorge, Alec, er kifft nicht", murmelte ich betrübt.
Alec sah mich nur mit einem vielsagenden Blick an, während Dave sich wieder beruhigte und dann still an die Zimmerdecke sah.
Er tat plötzlich nichts anders mehr, als einfach dazuliegen und viel zu langsam zu atmen.
„Dave?", fragte ich vorsichtig nach.
Er reagierte nicht.
„Dave?!" Ich rüttelte ihn am Arm und er wandte mir langsam, fast in Zeitlupe, den Blick zu.
„Ich kann die Sterne gar nicht sehen", stellte er enttäuscht fest und schaute hinweisend zur Zimmerdecke.
Mein Herz brach fast in dieser Situation.
Wieso tat er mir das an?
Ich wollte ja antworten. Ich wollte ihm erklären, dass es noch zu früh war, um die Sterne zu sehen, dass er dazu raus gehen und in den Himmel sehen müsste, aber ich konnte nicht, da ich meiner Stimme nicht mehr traute.
Das schlimmste an all dem war eigentlich, dass ich feststellen musste, das mein Leben immer besser wurde, dass ich wieder mehr ich selbst wurde, dass ich mit Cam wenigstens halbwegs glücklich war und mir währenddessen mitansehen musste, wie mein Bruder, der Mensch auf der Welt, den ich am meisten liebte, immer mehr in den Abgrund rutschte und es rein gar nichts gab, das ich daran ändern konnte.
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Das Herz meines Bruders (BoyxBoy)
General Fiction-Alles an mir war gelogen. Die Antwort auf jedes „Wie geht es dir?", auf jedes „Alles okay?", auf jedes „Es tut mir leid", die Reaktion auf jeden Versuch, mich zu trösten, auf jede Behauptung, dass man mich verstehen würde. Denn das konnte keiner.- ...