Cameron:
Für die Schule waren wir viel zu spät. Trotzdem fuhr ich dorthin. Als Noah aussteigen wollte, hielt ich ihn am Oberschenkel fest und deutete Alec zu gehen.
Er warf mir einen verstehenden Blick zu und ging.
„Was ist? Wir sind eh schon zu spät" Noah sah mich verwirrt an.
Ich antwortete nicht, sondern startete den Wagen und fuhr los.
„Cameron!" Noah klang empört, aber mir war das egal.
Ich fuhr zurück nachhause. Noah und ich hatten viel zu besprechen und es ging ihm ohnehin nicht gut genug, um die Schule zu besuchen.
Ich weiß, was er tun würde, wenn er dort war. Auf seinem Stuhl sitzen, gedankenverloren nach vorne starren und die Welt und Zeit um sich herum vergessen.
Ich konnte das nicht zulassen. Nicht, nachdem ich der Überzeugung gewesen war, erfolgreich gegen seine Depressionen angekämpft zu haben.
„Dad wird dich umbringen", stellte Noah fest, als ich ihn zurück ins Haus zerrte.
„Nur, wenn er was davon erfährt", wiegelte ich ab.
Sobald wir im Haus waren, schrie ich: „Mum!"
„Cameron?" Sie klang überrascht, kam schnell in den Flur und schaute Noah und mich besorgt an. „Alles okay? Was ist passiert?"
Ich deutete zu Noah. „es ist gar nichts okay"
Ich lieferte mir ein Blickduell mit Mum, ehe sie verstehend nickte. „Gut ich befreie euch für heute vom Unterricht. Aber euer Dad sollte das lieber nicht erfahren"
Ich sah sie dankbar an.
Sie seufzte. „Ich gehe jetzt gleich auf die Arbeit und heute Abend zum Einkaufen, braucht ihr was?" Sie schaute dabei hauptsächlich Noah fragend an, der nur die Treppen anstarrte, als würde er eine wichtige Unterhaltung mit ihnen führen.
Ich schüttelte für uns beide den Kopf. „Nein, danke, Mum, du bist die Beste" Ich bewies ihr durch meinen Blick, wie ernst ich das meinte, ehe ich Noah sanft die Treppen hochschob.
Seine Bewegungen wirkten automatisiert, den Widerstand hatte er lange aufgegeben.
Ich brachte ihn in sein Zimmer und setzte mich zu ihm aufs Bett.
Er schaute nur auf seinen Schoß, indem er an seinen Fingern herumspielte.
Eine Weile saß ich einfach so mit ihm da, wartete darauf, dass er zu reden begann, weil er genau wusste, dass ich nicht es einfach aufgeben würde, aber das passierte nicht. Also entschied ich mich für eine andere Methode, ihm zu helfen, indem ich ihn an meine Brust drücke, mich dann hinlegte, sodass er auf mich lag und wir kuschelten.
Wieder verging so eine Zeit in Stille.
Ich wusste, Noah war grade mit den Gedanken überall, nur nicht hier und ich wusste auch, dass er reden würde, wenn er dazu bereit war und egal, wie schwer mir das fiel, ich musste warten bis es soweit war.
Als ich schon langsam Hunger bekam, was laut meiner inneren Uhr hieß, dass es Mittag war, flüsterte Noah plötzlich: „Ich hab Angst" und krallte dabei seine Finger in mein Shirt, um sich festzuhalten.
Ich drückte ihn fest an mich, gab ihm einen Kuss auf die Stirn und fragte ebenso leise: „Wovor?"
Er schluckte, aber ging diesmal nicht weg. „Der Wahrheit"
„Was soll die sein?" Ich strich über seinen Kopf, seinen Rücken, bis nach unten und dann den weg wieder hoch, um ihn etwas zu beruhigen.
„Ich bin nicht gut", sagte er leise. Er rutschte von mir runter, sodass er nun an meiner Seite lag, schaute mich an, aus erneut glasigen Augen. „Ich bin kein guter Mensch. Ich hab meine Eltern auf dem Gewissen, ich bin für die Drogensucht meines Bruders verantwortlich, ich halte dich davon ab, mit jemanden glücklich zu werden, den du verdient hast... Ich weiß, es gibt Menschen, die haben es viel schlimmer als ich, aber ich muss mit meinem Leben klarkommen und das... Das kann ich nicht"
Ich sah ihm stumm in die Augen und richtete mich etwas auf. „Was soll das heißen?"
Er sah weg, auf meinen Bauch und rutschte so weit von mir ab, dass wir uns nicht mehr berührten.
„Ich will das mit uns nicht mehr. Ich will, dass du mit Ken zusammen kommst und ihm die Chance gibst, dich glücklich zu machen. Ich will, dass du mich vergisst und nie mehr an mich denkst..."
Ich schnaubte belustigt. „Und denkst du, das interessiert mich?"
Sein Blick schoss hoch zu mir, er sah mich geschockt und ungläubig an.
Ich schüttelte abfällig den Kopf. „Es ist mir egal, was du willst, Noah. Ich werde dich sicherlich nicht verlassen und mit einem anderen zusammen kommen, nur weil du dir einbildest, du seist nicht gut genug für mich. Wenn du wirklich so denkst, dann ist es eher andersrum, weil ich dir anscheinend noch nicht beweisen habe, wie sehr ich dich liebe. Das ändert sich nicht, egal, was du von dir denkst oder was du von mir verlangst. Ich liebe dich."
Er schüttelte schnell den Kopf, wollte mich unterbrechen, aber ich wiederholte eindringlich: „Ich liebe dich"
Weiter schüttelte er den Kopf, Tränen sammelten sich in seinen Augen.
„Ich liebe dich", sagte ich immer wieder, damit er es in seinen Dickschäden bekam.
Er begann zu schluchzen und zu weinen. Ich rutschte wieder zu ihm, zog ihn an mich und wiederholte fortwährend meine Liebeserklärungen durch seine Weinkrämpfe hindurch.
Als er sich langsam wieder beruhigte, was bestimmt eine halbe Stunde brauchte, erweitere ich mein Geständnis. „ich liebe dich so sehr. Ich kann und will mir kein Leben mehr ohne dich vorstellen. Ich will nicht mehr aufwachen ohne, dich als erstes am Morgen zu sehen oder einschlafen, ohne als letzte Tat deine Lippen berührt zu haben. Ich will nicht mehr einen Schritt gehen, wenn es nicht an deiner Seite ist. Ich will nicht mehr atmen, wenn ich dir nicht jeden Tag mehrmals sagen darf, wie sehr ich dich verehre. Ich will, dass mein Herz jetzt sofort in diesem Moment zu schlagen aufhört, wenn ich dich nicht lieben darf. Denn du, Noah, mein süßer Noah, gibst meinem Leben einen Sinn. Du bist alles für mich. Und das wird sich nie mehr ändern."
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Das Herz meines Bruders (BoyxBoy)
General Fiction-Alles an mir war gelogen. Die Antwort auf jedes „Wie geht es dir?", auf jedes „Alles okay?", auf jedes „Es tut mir leid", die Reaktion auf jeden Versuch, mich zu trösten, auf jede Behauptung, dass man mich verstehen würde. Denn das konnte keiner.- ...