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Noah

„Noah?! Noah?!" Eine Hand winkte vor meinem Gesicht herum. 

Mein Vater versuchte wohl meine Aufmerksamkeit zu bekommen. 

Etwas verwirrt schüttelte ich leicht den Kopf und sah ihn fragend an. „Sorry, was hast du gesagt?"

 „Ob du diese Nacht besser schlafen konntest" Er lächelte mich an. 

Ich erwiderte es gezwungen und nickte. „Ja viel besser" 

Es war gelogen. Alles an mir war gelogen. Die Antwort auf jedes „wie geht es dir?", auf jedes „Alles okay?", auf jedes „Es tut mir leid", die Reaktion auf jeden Versuch, mich zu trösten, auf jede Behauptung, dass man mich verstehen würde. Denn das konnte einfach keiner. 

Nachdem meine Mutter bei dem Autounfall gestorben war und mein Stiefvater ins Koma gefallen war, lebte ich gezwungenermaßen bei meinem Vater.

 Ich war noch minderjährig und bei meinem Bruder konnte ich leider auch nicht bleiben. Ich vermisste ihn sehr. Ich war seit 6 Monaten hier und hatte Dave in der Zeit kaum gesehen und wenn, ging es ihm beschissen. Und mir genauso. 

Ich spielte zwar allen vor, dass es mir gutging und dass ich klarkam, doch das tat ich nicht. Ich wollte einfach, dass sie aufhörten, mich so mitleidig anzusehen, denn das machte mich aggressiv. 

Ich brauchte ihr Mitleid nicht. Es brachte meine Mutter nicht zurück. Es befreite mich nicht von meiner Schuld. 

Bis heute wusste keiner, außer Dave, Josef und mir, was damals im Auto passiert war, doch wir alle schwiegen es tot. 

Josef, weil er sofort ins Koma gefallen war, Dave, weil er sich nicht mehr daran erinnern konnte, ich, weil ich mich schämte und Mum, weil sie tot war. 

Wie eigentlich jeden Morgen zwang ich mir das Essen hinunter und versuchte, es nicht sofort wieder auszukotzen, damit mein Vater beruhigt war. 

Aber nachdem ich genug gegessen hatte, konnte ich hochgehen, meinen Magen wieder entleeren, mir die Zähne putzen und meine Schulsachen packen. 

Als ich in den Spiegel sah, der an meiner Tür angebracht war, seufzte ich. 

Was war nur aus mir geworden?

 Früher hatte ich so viele Lebensgeister gehabt. Ich war glücklich gewesen, obwohl mein Leben alles andere als perfekt gewesen war. Ich hatte wenigstens noch den Kampfgeist gehabt, etwas zu ändern, doch jetzt? 

Ich hatte das Gefühl, ich war damals in diesem Auto auch gestorben, so wie es hätte sein sollen.

 Ich riss meinen Blick von meinem beinahe schon erbärmlichen Spiegelbild los und ging die Treppen runter, wo Cameron auf mich wartete. „Ich kann dich nachher nicht nachhause fahren. Aber du kannst ja den Bus nehmen oder?" 

Ich hasste es, das er seit dem Tod meiner Mutter so nett zu mir war. Das war doch alles nur mehr als gespielt. In Wahrheit lachte er bestimmt über mich und lästerte bei seinen Freunden. 

Aber auch das war mir egal. Sollte er doch. Es änderte nichts für mich. Ich hasste Cameron nach wie vor. Doch von ihm in die Schule fahren, ließ ich mich. 

Er war nur ein Jahr älter als ich, doch durfte schon Autofahren, was ziemlich praktisch war, weil ich so morgen eine halbe Stunde länger liegen bleiben konnte, weil ich den Bus nicht erwischen musste. 

Als wir im Auto saßen, war es wie immer still zwischen uns. 

Ich steckte mir die Kopfhörer in die Ohren, richtete den Blick aus dem Fenster und ließ die Welt an mir vorbeiziehen. 

Ich war müde. Das war ich seit Monaten durchgehend, doch schlafen konnte ich nicht. Wenn, dann nur nachmittags, weil ich nachts das Gefühl hatte, beobachtet zu werden. 

Ich wusste, es war lächerlich, dass meine Mutter vor meinem Bett stand und mir Vorwürfe machte. Dass sie sich rächen wollte. Dass sie mich anschrie und hasste. Aber mein Unterbewusstsein hatte sich sowie auch die restliche Welt einfach gegen mich verschwören. 

Ich fragte mich einfach nur, wie lange ich diesen ganzen Scheiß noch aushalten würde.



Das Herz meines Bruders (BoyxBoy)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt