Noah:
Samstagmorgen gingen Cam und ich mit seinen Eltern in so einer Art Spezial Klinik, um uns Blut abnehmen zu lassen, das dann auf genetisch vererbbare Krankheiten untersucht werden konnte.
Danach wollte Kate bei der Gelegenheit mit uns shoppen gehen, aber eigentlich hatte keiner von uns Lust. Wir männlichen Wesen würden dabei ohnehin nur als ihre Packesel enden, also meinten Cam uns ich, dass wir in einen Sportladen wollten, in dem Wissen, dass Kate uns dahin niemals folgen würde.
Es tat mir ja leid, dass wir Dad dafür hängen ließen, aber einer musste nun mal Opfer bringen.
Wir gingen dann auch wirklich in den Laden und Cam schaute sich interessiert um. Ich trottete einfach wie ein treuer Welpe neben ihm her.
Nach einer Weile legte er den Arm um mich, als sei es selbstverständlich.
Ich sah fragend zu ihm hoch, aber er ignorierte grinsend meinen Blick und schaute sich weiter um.
Ich lief so nun etwas näher bei ihm und musste ebenfalls grinsen.
Wir waren etwa 50 Kilometer von zuhause entfernt, wie groß war also die Wahrscheinlichkeit am Samstagmittag irgendjemanden hier zu treffen, den wir kannten? Und selbst wenn, man konnte es immer noch als brüderliche Geste sehen.
„Was ist jetzt eigentlich mit deinem Training?", hakte Cam nach und schaute neugierig zu mir runter.
„Was soll sein?" Ich erwiderte seinen Blick etwas verwirrt.
„Na willst du mit mir trainieren, willst du alleine trainieren, willst du überhaupt trainieren? Du könntest dir auch in der Schule mal sie Sportclubs angucken..."
Wie elegant er versuche, mich zum Sportmachen zu bringen. Aber ganz ehrlich, wieso denn nicht? Ich könnte ruhig mal wieder etwas für meinen Körper tun, immerhin wollte ich auch anziehend auf ihn wirken.
Mir war klar, dass er mich so mochte, so liebte, wie ich war, aber ich glaubte, mich wohler zu fühlen, wenn ich meine alte Konstitution zurückbekam.
„Früher hab ich immer mit Dave trainiert", erzählte ich. „Das war nicht wirklich schlau, weil ich immer dieselben Übungen und so machen wollte wie er und das, obwohl er 5 Jahre älter ist... Trotzdem hab ichs immer durchgezogen. Nur, wenns ums tanzen ging, wollte ich immer nie. Da hab ich so viel trainieren können, wie ich wollte, ich habe einfach nur affig ausgesehen und Dave schon immer wie ein Profi. Er hatte das einfach drauf... Glaub mir, wenn du ihn früher mal tanzen gesehen hättest, könntest du jetzt viel besser verstehen, wie sehr ihn die Sache mit seinem Knie mitnimmt." Ich hielt an, seufzte traurig und schmiegte mich an Cam bei der Erinnerung, damit er mich festhielt. „Nachdem man dachte, sein Knie sei wieder okay, hat er natürlich mit dem Tanzen weitergemacht, immerhin hat er das ja studiert und musste auch Leistungsnachweise erbringen, aber er hat es durch jede Bewegung nur noch schlimmer gemacht und dann als er eine Prüfung hatte, hat er einen Sprung gemacht und wollte auf seinem verletzten Bein aufkommen, aber es ist einfach weggeknickt. Er hat sich den Fuß nochmal gebrochen und so ziemlich alle Bänder gerissen, die da nur reißen können... Er kann nie wieder tanzen oder hat schon beim normalen gehen Schwierigkeiten. Er ist 22, Cam und die Ärzte haben zu ihm gesagt, dass es besser für ihn wäre, er würde nur noch auf Krücken laufen... und was macht mein Bruder? Ballert sich mit Drogen voll..."
Ich seufzte schwer, Cam verstärkte seinen Griff um meinen schlanken Körper. „Er hat so viel verloren damals, Baby. Ich bin sicher, wenn er das verarbeitet hat und es ihm psychisch besser geht, wird alles besser" Cam gab mir einen Kuss auf den Kopf und schob mich dann leicht von sich weg, um mich aufmunternd anzulächeln.
Ich nickte zustimmend.
Ich wusste, dass Cam Recht hatte. Aber wie sollte Dave psychisch wieder in Ordnung werden, wenn er sich das Hirn zuknallte mir allem, was er zwischen die Finger bekam?
Ich wusste, ich war auch nicht wirklich ein Musterbeispiel, was Depressionsbekämpfung anging, aber im Gegensatz zu Dave hatte ich jemanden, der mir bewusst machte, wie schön das Leben sein konnte.
Es hatte so viele Seiten. Natürlich gehörten die schlechten dazu. Aber dafür, waren die schönen dann umso wertvoller.
Ich hatte lange versucht, meinem Bruder das bewusst zu machen. Aber ich hatte es nicht geschafft.
Wir liebten uns, ja, aber wir waren „nur" Brüder.
Dave brauchte jemandem, der ihm Dinge gab, die ich ihm nicht geben konnte. Sowas wie ich mit Cam hatte.
Liebe.
Liebe von der Art, die über geschwisterliche oder freundschaftliche hinausging.
Liebe von der Art, die es nur einmal im Leben gab.
Liebe von der Art, für die man bereit war, alles zu tun.
Und solange er das nicht hatte, würde er auch den Willen nicht finden, gesund zu werden, da konnte ich ihn so lange anflehen, wie ich wollte. Er musste es selbst wollen und so weh mir das tat, ich war wohl nicht der richtige Ansporn dafür.
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Das Herz meines Bruders (BoyxBoy)
Beletrie-Alles an mir war gelogen. Die Antwort auf jedes „Wie geht es dir?", auf jedes „Alles okay?", auf jedes „Es tut mir leid", die Reaktion auf jeden Versuch, mich zu trösten, auf jede Behauptung, dass man mich verstehen würde. Denn das konnte keiner.- ...