Cameron:
Noah stockte mitten in der Bewegung und ich folgte seinem Blick zur Tür, wo ich Dad stehen sah.
Er sah uns ungläubig und aus großen Augen an.
Noah war bewegungsunfähig und starrte zurück.
Keine Ahnung, wieso ich einen halbwegs klaren Kopf bewahrte, aber ich zog Noah zu mir und deckte uns zu.
Die Musik war das einzige, was den Raum gerade erfüllte, aber sie änderte nichts an der Spannung, die sich in meinem Dad aufbaute, je länger er uns anstarrte.
„Schatz? Kommen sie endlich?"
Es war beinahe paradox, dass Mum ausgerechnet das sagte, als sei die Tür weiter aufmachte und verwirrt eintrat.
Zuerst checkte sie gar nichts, aber es reichte dann, dass sie uns ansah, ihren schwulen Sohn, nackt mit einem ebenfalls nackten Jungen im Bett, wo sich unter der Decke zwei Zelte spannten.
„Cameron!", hauchte sie geschockt, sah von mir zu Noah und wieder zurück.
Ich schluckte und begann zu stottern. „I-ich ka-kann das e-erklären"
Verdammt, was wollte ich denn hier erklären?
Ich war scharf auf meinen Bruder und das wussten meine Eltern jetzt.
Dad sagte irgendetwas, aber ich verstand es akustisch nicht.
„Was?", fragte ich daher unsicher.
Er sah mir direkt in die Augen, in seinem Blick eine Wut, eine Abscheu, die ich bisher noch nie gesehen hatte. „Raus!", wiederholte er.
Fassungslos sah ich ihn an.
Dann ging alles ganz schnell. Er stürmte in mein Zimmer, leerte meine Sporttasche aus und warf Sachen aus meinem Schrank hinein.
„Fuck", zischte ich, suchte mir irgendeine Hose, die ich überziehen könnte, erwischte meine Jogginghose und sprang aus dem Bett zu Dad, um ihn festzuhalten. „Dad, was soll das werden?"
„Was das werden soll?!" Er sah mich nicht mal mehr an, konnte es einfach nicht, sondern warf aus jeder Abteilung meines Schrankes etwas in meine Tasche. „Ich will dich nicht mehr unter meinem Dach!"
Ich schluckte, sah panisch zu Mum, die regungslos daneben stand.
„Ihr könnt mich nicht rauwerfen... ich bin euer Sohn...", argumentierte ich.
Dad schnaubte, schloss meine Tasche und warf sie mir vor die Füße. „Noah ist auch mein Sohn und was machst du?!" Nun schaute er mich doch an und es wäre mir lieber, er sah wieder weg. Es war purer hass in seinen Augen.
„Dad, ich..."
„Halt den Mund und verschwinde!" Er deutete zur Tür. „ich will dich hier nicht mehr sehen! Du bist volljährig, ich bin nicht mehr dazu verpflichtet, mich um dich zu kümmern. Sieh zu, dass du Land gewinnst!"
„Dad!", kam jetzt von Noah. Er klammerte sich an meinen Arm. „Das kannst du nicht machen."
„Das werdet ihr schon sehen", zischte Dad, hob meine Tasche wieder auf, packte mich an meinem noch freien Oberarm und zerrte mich aus dem Zimmer.
„Dad!", schrie Noah uns hinterher und folgte uns schnell.
Ich war erleichtert, als ich die Stimme meiner Mutter hörte. „Brian, jetzt beruhig dich doch erstmal und lass die Jungs erklären. Vielleicht ist es gar nicht so wie es aussah" Sie hielt Dad auf, indem sie ihn an der Brust von mir wegschob.
Wir standen im Hausflur, Mum hielt Dad von mir fern, Noah und ich waren halbnackt und er zitterte am ganzen Körper, sodass ich Angst hatte, er würde jeden Moment einfach umkippen.
„Also dann erklärt euch!", schnaubte Dad.
Noah und ich tauschten einen Blick aus. Weder ihm noch mir fiel eine Geschichte ein, die irgendwie glaubwürdig sein würde, also tat ich das dümmste, was ich nur tun konnte und streckte ihm meine Hand hin.
Er hatte die Augen voller Tränen, er schniefte, legte aber seine zitternde Hand in meine und folgte ihrem Zug zu mir.
„Wir... Wir sind zusammen, Dad. Wir lieben uns"
Er presste die Lippen zusammen.
Mum schüttelte den Kopf, als könne sie nicht glauben, dass ich ernsthaft so dumm war, das zuzugeben.
„Cameron, entweder du verschwindest jetzt sofort und hältst dich von Noah fern oder ich verspreche dir dafür zu sorgen, das du ihn nie wider zu Gesicht bekommst" Dad konnte mir bei all dem in die Augen sehen, er meinte es also todernst.
Ich wusste, ich hatte hier keinen Raum mehr zu diskutieren, also wandte ich mich an Noah, dem die Tränen über die Wangen liefen.
Ich wischte sie ihm sorgfältig weg und sah ihm eindringlich in die Augen. „Alles wird gut, das verspreche ich. Halt einfach durch", hauchte ich.
Er begann zu schluchzen und drückte sich an mich. „Du darfst nicht gehen. Bitte bleib bei mir. Dad bitte lass ihn bei mir bleiben"
Noch nie hatte Noah labiler gewirkt wie in diesem Moment.
Dads sanftes Seufzen gab mir etwas Hoffnung. Er hatte Mitgefühl. Aber nicht für mich.
Er kam zu uns und zog Noah an der Schulter von mir weg. „Du liebst ihn nicht, Noah. Er hat deine Situation einfach nur ausgenutzt. Glaub mir, es ist das Beste für dich, wenn er weg ist..."
„Du hast doch keine Ahnung, wovon du das redest!", schrie Noah ihn plötzlich an, schubste ihn nicht gerade sanft weg und eilte wieder zu mir, um sich an mir festzuklammern.
„Geh nicht", flehte er.
Dachte er denn, ich ließ mich freiwillig aus meinem Elternhaus werfen? Ich würde ihn freiwillig verlassen? Niemals im Leben.
Aber obwohl ich nichts lieber würde als bei ihm zu bleiben, wusste ich, das würde alles nur noch schlimmer machen.
„Ich muss, Noah. Aber ich komme wieder, versprochen. Ich lass dich nicht alleine." Erneut Riss Dad uns auseinander, öffnete die Tür und schob mich raus. Er kickte die Tasche hinter mir her.
Mum drückte sich durch die Tür zu mir, reichte mir meine Jacke, damit ich nicht halbnackt hier herumstehen musste und schob mir ein paar Scheine zu.
Sie schaute mich leidend an, aber auch irgendwie aufmunternd.
Ich nickte wortlos, doch das reichte, um ihr zu versichern, dass ich zurechtkommen würde.
Noah sah vom Inneren des Hauses zu mir, zitterte, weinte, aber versprach: „Ich liebe dich, Cameron"
Das war der Auslöser für Dad, Mum zurück ins Haus zu ziehen und die Tür zuzuknallen. Und da stand ich nun und hatte keine Ahnung, was ich jetzt tun sollte.
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Das Herz meines Bruders (BoyxBoy)
General Fiction-Alles an mir war gelogen. Die Antwort auf jedes „Wie geht es dir?", auf jedes „Alles okay?", auf jedes „Es tut mir leid", die Reaktion auf jeden Versuch, mich zu trösten, auf jede Behauptung, dass man mich verstehen würde. Denn das konnte keiner.- ...