3

8.8K 483 45
                                    

Noah



Dass Cameron sich heute zu mir gesetzt hatte, hatte mich echt gewundert. 

Eigentlich vermied er es, mit mir gesehen zu werden. Vielleicht schämte er sich für mich. Ich wusste ja, wie alle hinter meinem Rücken über mich redeten. Aber obwohl ich nicht mehr viel sprach, war ich nicht taub. 

Ich hörte jedes „Psycho", das sie zischten oder jedes Kichern, wenn sie einen Witz auf meine Kosten machten.

 Aber, was wohl? Es war mir egal. 

Früher hatte ich viel Wert auf die Meinung anderer gelegt. Ich hatte mich verstellt, um ihnen zu gefallen. Jetzt verstellte ich mich einfach, um mich zu schützen.

 Ich wollte keine Angriffsfläche bieten. Ich wollte mir selbst beweisen, dass ich stark genug war, um ihnen einen Noah vorzuspielen, der ich sein wollte.

 Ich saß gerade im Wohnzimmer, als die Haustür aufging. 

Schnell wollte ich den Fernseher ausschalten und in mein Zimmer verschwinden, weil ich niemandem begegnen wollte, aber leider war es schon zu spät. 

Kate, die Frau meines Vaters, stand mir gegenüber und lächelte mich nett an. „Wie war es denn in der Schule?"

 Smalltalk. 

War ja klar. 

Aber worüber sollten wir denn auch reden? 

Darüber, dass sie mich früher genau gehasst hatte wie Cameron und jetzt nett zu mir war, weil wir ja irgendwie mit der Situation klarkommen mussten?

 Eigentlich war sie mir ziemlich ähnlich. Sie schauspielerte, um Problemen aus dem Weg zu gehen. 

„Schule eben" Ich zuckte mit den Schultern.

 Sie lächelte, nickte, doch ich sah sowas wie Enttäuschung in ihrem Blick. 

Sie wollte mich schon immer trösten und für mich da sein. Wahrscheinlich hatte sie ein schlechtes Gewissen oder so. 

„Cameron ist heute nicht da und dein Vater geht mit seinen Kollegen essen. Hast du einen Wunsch fürs Abendessen?"

 Ich schüttelte den Kopf. „Ich hab eigentlich gar keinen Hunger", meinte ich. 

Diesmal verschwand ihr Lächeln, als sie verstehend nickte und sie sah traurig zu Boden. „Weißt du, Noah, vielleicht glaubst du mir das jetzt nicht, aber wir wollen dir hier alle wirklich nur helfen. Ich bin gerne für dich da, wenn du etwas brauchst"

Ich wollte es verhindern, doch ich spürte, wie meine Augen leicht feucht wurden.

 Wieso mussten mich denn alle an diesen Scheiß erinnern? Dachten sie, es würde besser werden, wenn ich mir immer wieder vor meinem inneren Auge mitansehen musste, wie meine Mutter starb? Dachten sie, es würde irgendwann aufhören wehzutun? 

Das tat es nicht. Das würde es nie. 

Ich nickte nur und wollte dann an ihr vorbeigehen, aber sie ließ mich nicht. „Noah, bitte. Es kann nicht so weitergehen" Sie sprach leise und einfühlsam, aber ich wollte es nicht hören. 

Ich riss meine Hand unsanft los. „Du kannst mir nicht helfen. Außer du kannst meine Mutter zurückbringen", zischte ich, ehe ich schnell die Treppen hochging und mich in mein Zimmer sperrte.

 Sofort, als die Tür hinter mir zuging, ließ ich mich an ihr entlang auf den Boden sinken, krallte meine Finger in die Haare und begann zu weinen.

Das Herz meines Bruders (BoyxBoy)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt