Noah:
Es gab keine Worte, um zu beschreiben, wie ich mich gefühlt hatte, als Cameron plötzlich neben mir auf dem Sofa gesessen hatte und mich in den Arm genommen hatte.
Ich hatte mich an ihn gelehnt und einfach weitergeweint.
Als ich bemerkt hatte, dass er ebenfalls am Weinen war, hatte ich - so paradox es auch war- begonnen, ihn zu trösten.
Mindestens eine Stunde war das so gegangen, bis ich komplett ruhig geworden war, mich einfach an ihn geklammert hatte und wir begonnen hatten, die Zeit kuschelnd auf dem Sofa zu verbringen.
Ich hatte Angst.
Wir waren zwar nicht mal 24 Stunden voneinander getrennt gewesen, aber das war für mich die schlimme Zeit meines Lebens gewesen und das musste was heißen.
Mein Dad war ja nicht dumm. Er würde darauf kommen, dass ich hier war und er würde mich wieder nachhause schleppen, weg von Cam. Aber das würde ich niemals überleben.
„Bitte geh nie wieder weg von mir", flehte ich an seine Brust.
Rational wusste ich, dass er keine Wahl gehabt hatte, aber ich brauchte es jetzt einfach, dass er mir versprach, mich nicht alleine zu lassen.
„Werde ich nicht. Hier kann uns Dad gar nichts", flüsterte Cam und drückte mir seine Lippen auf die Stirn.
„Aber was ist mit der Schule?"
Wir konnten nicht für immer oder zumindest bis ich 18 war hierbleiben, das war uns beiden klar. Wir waren im Abschlussjahr. Wir konnten uns eigentlich gar keine Fehlstunden erlauben.
„Wir bekommen das schon irgendwie hin. Ich lass nicht zu, dass er uns trennt"
Ich schniefte leicht, obwohl ich schon lange keine Tränen mehr übrig hatte und streckte mich zu seinem Kopf hoch.
Er verstand, legte sanft seine Lippen auf meine und versicherte mir somit, für mich, für uns, zu kämpfen.
Das war alles, was ich im Moment brauchte. Hoffnung.
„Genug geknutscht, ich habe Hunger!"
Als ich das hörte, erschrak ich total und sprang beinahe panisch von Cam runter.
Es war aber nur Dave, der plötzlich im Raum stand und uns auffordernd ansah. „Los, geht euch frisch machen, wir gehen essen!"
War das jetzt sein verdammter Ernst?!
„Ich glaube nicht, dass wir in der Verfassung sind rauszugehen, Dave", meinte Cam und zog mich wieder zu sich.
„Mir egal.", beschloss mein Bruder. „Ich hab nix da, womit ich kochen könnte, der Lieferservice kommt nicht mehr zu mir, solange ich meine Schulden nicht bezahle und ich will jetzt was essen. Mit euch. Also entweder geht ihr euch frisch machen oder ich zerre euch so raus wie ihr gerade ausseht und das ist gelinde gesagt echt scheiße. Ihr kommt daher wie Heroinabhängige"
Als er den letzten Satz so locker flockig aussprach, ging es mit mir durch.
Ich sprang wieder auf, eilte zu ihm und knallte ihm eine, sodass man den Ton davon bestimmt durch die ganze Stadt hörte.
Geschockt sah er mich an, fasste sich an die mit Sicherheit schmerzende Wange.
„Wenn du jetzt fragst, wofür die war, bekommst du nochmal eine", zischte ich, schob ihn grob zur Seite und rannte in mein Zimmer.
Dabei rammte ich Alec weg, der gerade aus Daves Zimmer kam und mir verwirrt hinterher schaute.
Aber es war mir egal. Ich wollte mich einfach nur noch verkriechen und weinen.
Scheiße, wenn man keine Tränen mehr übrig hatte.
Eine Weile lag ich so da, hörte laute Stimmen von unten, doch das einzige, was ich entziffern konnte, war ein geschrienes „Ich werde nicht zulassen, dass er jetzt abstürzt!" von Dave, ehe es ruhiger wurde.
Kurz danach öffnete sich meine Zimmertür und meine Matratze sank etwas ein, weil sich jemand neben mich legte.
„Hast du heute schon was gegessen, Baby?", fragte Cameron mich und strich über meinen Rücken.
Ich schüttelte den Kopf, weil ich ihn nicht anlügen wollte.
Er seufzte. „Ich auch nicht. Daves Idee ist nicht mal so schlecht. Hier können wir nichts tun als Trübsal zu blasen. Lass uns ein bisschen mit den andern rausgehen, was essen und uns ablenken."
„Ich mag nicht", schmollte ich in mein Kissen.
Cam atmete tief durch und schmiegte sich an meine Seite, als er seinen Kopf auf mein Schulterblatt legte. „Ich weiß. Aber dann wird's und beiden besser gehen, denke ich. Lass es uns versuchen. Was haben wir schon zu verlieren?"
Er konnte wirklich gut überzeugen und, dass er mich dabei oder noch so liebevoll streichelte, tat sein Übriges.
„Na schön", seufzte ich leise. „Aber ich kann nicht versprechen, dass ich irgendetwas runter bekomme"
„Schon okay", meinte Cammy und küsste meinen Nacken. „Ich werde dich füttern wie mein kleines Baby"
Er grinste leicht bei diesem Satz und ich drückte ihn beleidigt weg. „Hau ab!"
Ich hörte ihn leicht lachen. „Tut mir leid, Noah, aber du benimmst dich grade wirklich wie ein schmollendes Kleinkind. Ich weiß, dass es scheiße ist, was passiert ist, mir geht's deshalb auch nicht gut, aber wir haben Leute, die für uns da sein wollen, also lass sie uns bitte nicht wegstoßen, okay?"
Das veranlasste mich schließlich dazu, mich umzudrehen und an ihn zu drücken.
Er hatte mich überzeugt.
Trotzdem brauchte ich nur noch eine Minute, komplett in Ruhe mit dem Mann, den ich liebte, einfach, um bei ihm zu sein.
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Das Herz meines Bruders (BoyxBoy)
General Fiction-Alles an mir war gelogen. Die Antwort auf jedes „Wie geht es dir?", auf jedes „Alles okay?", auf jedes „Es tut mir leid", die Reaktion auf jeden Versuch, mich zu trösten, auf jede Behauptung, dass man mich verstehen würde. Denn das konnte keiner.- ...