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Cameron:

Die ganze Nacht lag ich wach und konnte an nichts anderes als Noah denken. Daran, dass er nur ein paar Zimmer weiter war, aber doch irgendwie unendlich weit entfernt.

Wieso war er heute so zu mir?

Ich hatte nichts falsch gemacht. Er hatte gewollt, dass ich auf das Date mit Ken ging. Er hatte gesagt, ich sollte dieses Spielchen weiterspielen. Er...

Er hatte so traurig ausgesehen vorhin. Am liebsten wollte ich einfach zu ihm und ihn in den Arm nehmen, aber ich wusste nicht so recht, ob das jetzt so gut wäre.

Manchmal da brauchte Noah einfach Zeit, um sich abzureagieren, das wusste ich, da ich es schon oft genug miterlebt hatte. Ich nahm mir vor, ihm diese zu geben, auch wenn es unendlich schwer für mich war.

Ich hatte Angst um ihn. Angst davor, wozu er im Stande war zu tun, wenn es ihm schlecht ging.

Und ich vermisste ihn. Seinen Blick, seinen Körper, seine Lippen. Sein Lächeln, seine Stimme, ihn.

Wieso musste es denn auch so kompliziert sein? Womit hatte ich das verdient?

Ich wusste es nicht. Ich wusste nur, dass ich meinen Bruder so sehr liebte und nicht bereit aufzugeben, egal wie schwer es noch werden würde.

Noah gehörte zu mir und ich zu ihm. Alles andere war unvorstellbar für mich. Alles andere war falsch.

Ich schlief die ganze Nacht nicht, war damit beschäftigt, mich in seine Lage hineinzuversetzen und Gegenargumente zu sammeln, für alles, was er vorbringen konnte.

Am Morgen war ich aufgeregt, als ich meine Zimmertür öffnete, um ins Bad zu gehen. Die Dusche sparte ich mir heute, da ich erst gestern Nachmittag eine genommen hatte, putzte nur Zähne und rasierte mich.

Dabei wurde ich aber gestört, als die Badtür aufging.

Dave taumelte verschlafen hinein, beachtete mich kein Stück, als er sich zur Kloschüssel bewegte, sich mit einer Hand an der Wand abstütze und mit der andere seinen... naja klein war der nicht... etwas kleineren Dave befreite, um mächtig Druck von der Blase zu lassen.

Dabei stöhnte er erleichtert auf. „Oh tut das gut!"

Ich war perplex, konnte nicht fassen, dass das gerade echt passierte.

„Ehm, willst du nicht mal richtig zielen?", schlug ich ihm vor, weil es langsam etwas daneben ging.

Überrascht schaute Dave mich an. „Oh hei, hab dich grade gar nicht gesehen"

Er schaute mich entschuldigend an und kümmerte sich ums Zielen.

„Mhm, hab ich bemerkt" ich wandte mich wieder meinem Spiegelbild zu und rasierte mich weiter. „Wie geht's dir?", hakte ich dabei nach.

Er seufzte, bestätigte die Spülung und kam zum Waschbecken.

Ich ging etwas zur Seite, damit er sich die Hände waschen konnte, bemerkte dabei, dass er zitterte.

„Ist dir kalt? Soll ich dir was zum Anziehen leihen?"

Er schüttelte mit einem dankbaren Lächeln den Kopf. „Alles gut, Cam. Ich komme klar. Aber du könntest mir bei einer Sache helfen" Er lehnte sich an den Badschrank und sah mir beim Rasieren zu.

„Was brauchst du?"

„Naja" Er atmete tief durch. „Noah geht's nicht so gut. Ich denke, das liegt an mir und... wie ich mich gestern verhalten habe... Denkst du, ich sollte einfach gehen ohne ihm noch mehr wehzutun oder mich von ihm verabschieden und mich entschuldigen?"

Ich sah ihn an. „Hast du dich nicht schon oft genug entschuldigt?"

Er presst die Lippen leicht zusammen.

„Wie wärst, wenn du endlich mal was tust, um zu beweisen, dass es dir leidtut?"

Ich wusch mir den Rasierschaum ab, trocknete mein Gesicht und klatschte Aftersave drauf.

„Noah weiß, dass ich mein bestes gebe", meinte Dave leise und schaute auf seine Fußspitzen.

Mein Schnauben klang bitter. „Sei mir nicht böse, Dave, aber ich glaube dir kein Wort. Ich kenne dich mittlerweile ganz gut, auch von Noahs Erzählungen. Ja, wenn er von dir spricht, dann strahlt er regelrecht dabei vor Bewunderung und Zuneigung. Ich kann nicht glauben, dass du wirklich der Mann bist, den er in dir sieht. Denn dieser Mann schafft alles, was er sich fest vornimmt... Andererseits..." Ich zog beide Augenbrauen hoch und mustere ihn eingehend. „...Vielleicht sind deine Entschuldigungen und Versprechungen ja auch nur leere Worte. Vielleicht tust du so als würdest es versuchen und bildest dir ein, das wirklich zu tun, aber in Wahrheit ist dem nicht so. Du sagst einfach nur, was er hören will, hören muss, um irgendwie weitermachen zu können..."

Dave schluckte, sah mir in die Augen. „Er hat es dir erzählt?"

„Das wäre nicht nötig gewesen" Ich schüttelte den Kopf, lege meine Hand auf seine Schulter. „Man sieht es dir an, Dave. Nicht nur, wenn du grade komplett drauf bist. Man sieht das Verlangen nach diesem Zeug quasi in deinen Augen..."

„Das ist doch Schwachsinn", behauptete er.

Ich schnaubte belustigt. „Ach echt? Dann sag mir mal, woran du seit dem Wachwerden gedacht hast? Nicht zufällig daran, dass du dich auf zuhause freust, um dir den nächsten Schuss zu geben?!"

Ich wurde etwas aggressiver, wusste, das sollte ich nicht. Dave ging es schon schlecht genug, aber Noah fasste ihn jetzt schon fast seit einem Jahr mit Samthandschuhen an und das schien ja nicht zu funktionieren. Vielleicht musste jetzt mal eine andere Methode her.

Dave sagte nichts zu meinem Vorwurf, weil wir beide wussten, dass ich richtig lag.

Eine Weile sahen wir uns stumm an, ehe er leise zu sprechen begann. „Ich bin so ein Arschloch"

Ich verstand zunächst nicht mal, wieso, aber dann sprach er weiter und mein Herz zog sich zusammen, als ich mir seine Worte anhörte, begleitet von den Tränen in seinen Augen.

„Eigentlich bin ich nur hier, um dafür zu sorgen, dass Noah finanziell abgesichert ist, falls ich irgendwann die Entscheidung treffe, vor der ich seit Monaten davon laufe... Es hat alles so unbedeutend angefangen, klein, aber es wurde immer mehr und mittlerweile nehme ich das alles gar nicht mehr zu mir, weil ich hoffe, so dem ganzen Schmerz zu entkommen, sondern weil jede Spritze meine mögliche Erlösung sein könnte..."

Als ich ihn still umarme, hört er auf zu sprechen, klammerte sich an mich und weinte leise an meine Schulter. „Ich weiß, dass das falsch ist... Ich habe Noah versprochen, ihn nicht alleine zu lassen. Ich will ja für ihn da sein. Aber ich kann einfach nicht mehr"


Das Herz meines Bruders (BoyxBoy)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt