Die mit Pappkartons vollgestopften Regale waren ernüchternd. Ich hatte mich geirrt. Hier lagerten nicht dutzende, sondern hunderte, wenn nicht sogar tausende. Beinahe das halbe Stockwerk musste voll mit Kartons stehen. Ich hob beide Augenbrauen. „Also wenn du recht hast, dann bin ich froh, dass wir noch eine Woche lang Zeit haben."
„Tja. Das hier ist einer der wenigen Situationen, in denen ich mir nicht wünsche nicht recht zu haben."
„Hoffe ich auch."
Wir verloren keine weitere Zeit und machten uns an die Arbeit. Systematisch begannen wir uns durch die Regale zu arbeiten und öffneten jede einzelne Kiste. Vincent hatte zwar Kingston und Barron zwar über unseren Verdacht informiert, doch sie waren würden uns nicht helfen, da wir trotz allem nicht sicher sein konnten, dass die Bombe sich tatsächlich hier befand. Sie durchsuchten weiterhin das restliche Gebäude, während wir uns mit den unzähligen Akten herumschlugen.
Am Anfang war es ein seltsames Gefühl, dass es möglich war, dass wir mit einer Bombe in einem Raum waren, doch bald ließen die vielen Akten die Bedrohung unwirklich erschienen. Die einzige Gefahr schien von dem Papier auszugehen, an dem man sich schneiden könnte. Es entwickelte sich eine Routine im Kiste vorsichtig aus dem Regal ziehen, Deckel abheben, hineinsehen und zurückstellen.
„Darf ich dir eine Frage stellen?", fragte Vincent nach einer Weile. Er war zwei Regal-Reihen weiter.„Sicher."
Es folgte ein kurzes Schweigen, in dem er vermutlich seinen Mut zusammennahm um die Frage zu stellen. „Macht all das, was du getan hast, dir nichts aus?"
Ich hielt inne und hob eine Augenbraue. „Du willst wissen ob ich nachts noch ruhig schlafen kann?" Mit so einer direkten Frage hatte ich nicht gerechnet.
„Ja", meinte er etwas kleinlaut. Die Frage war ihm peinlich, aber ich konnte es ihm nicht verdenken, dass er sie stellte.
„Natürlich gibt es Dinge, die ich im Nachhinein anders gemacht hätte, aber ich weiß, dass jede meiner Taten einen Grund hatte. Ich stehe dazu, was ich getan habe, doch das wichtigste ist, dass man mit sich selbst im Reinen ist. Und sich selbst vergeben kann." Letzteres war hart. Sehr hart. Ich hatte lange gebraucht um das zu verstehen und noch immer fiel es mir schwer. Aber jeder machte Fehler und das war okay. Es war menschlich und es war notwendig, sonst würde man daran zerbrechen.
Auf einmal wurde ein Karton auf Augenhöhe aus dem Regal gezogen und Vincents Kopf erschien in dem Loch. „Keine Schuldgefühle? Gar nichts?"Aufmerksam sah er mich an und ich zuckte mit den Schultern. Doch, natürlich hatte ich Schuldgefühle. Das beste Beispiel waren Lucy Heavens Eltern. Ich hatte sie damals getötet, weshalb sie aus Rache meine Freunde ermordet hatte. „Mein moralischer Kompass geht einfach anders, Vincent. Meistens ist es weniger das, was ich getan habe, als viel mehr das, was ich nicht getan habe." Wie Evan und Cole zu schützen.
Er nickte.„Ist nicht die Antwort, die du erwartet hast, ich weiß", meinte ich.
Er runzelte die Stirn. „Wie meinst du das?"
Wie ich das meinte? Er hatte sich ein Bild von mir gefertigt und wollte partout nicht davon ablassen. Er sah nur das, was er wollte. Trotzdem schüttelte ich den Kopf und wandte mich wieder dem Karton zu. „Nicht so wichtig."
Ich öffnete einen weiteren Karton, sah in ihn hinein und stellte ihn wieder ins Regal. Als ich aufsah, bemerkte ich, dass Vincent mich immer noch ansah. „Ist es nicht einsam da oben?"
Ich runzelte die Stirn. „Da oben?"
„An der Spitze von dem was du tust. Ich meine, die Stadt gehört dir praktisch und dafür musst du dich jeden Tag mit Menschen umgeben, denen du nicht vertrauen kannst. Ist das nicht ziemlich einsam?"
Ich lächelte. „Nur weil man alleine ist, heißt das noch lange nicht, dass man einsam ist. Das verstehen allerdings die wenigsten." Ich ging zum nächsten Regal. Kurz darauf hörte ich wie Vincent die Kiste zurück an seinen Platz stellte und so das Loch wieder schloss. Danach ging er zurück zu seinem Regal und arbeitete schweigend weiter.
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Criminal 2 - Das Spiel des Teufels
ActionNach ihrer Verhaftung geht Jordan einen Deal mit dem FBI ein und unterstützt es fortan bei ihren Ermittlungen gegen den Herrscher. Doch der erweist sich als harter Gegner. Er versteckt nicht nur Bomben in der Stadt, von denen er verspricht jede Woch...