Aus den Augen einer Kriminellen | 2

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Aus dem Augenwinkel sah ich wie Vince langsam nach seiner Waffe griff. „Lass sie stecken", meinte ich ruhig, aber bestimmt. Er biss die Zähne zusammen und ließ seine Hand wieder sinken. Mir wurde erst im Nachhinein klar, wie sehr er mir dafür vertraut haben musste.

Inzwischen stand der Fremde direkt vor mir. „Du schuldest mir noch Geld", begrüßte er mich, wobei er keine Miene verzog.

Vincent neben mir schien sich schon auf eine Schießerei vorzubereiten. Er sah sich nach Möglichkeiten um, hinter denen wir uns verschanzen konnten, aber es gab keine.

„Sicher, dass du da nicht was verwechselst?", entgegnete ich gelassen, „Aber keine Sorge, TJ, ich gebe dir die Chance, es bei einem weiteren Pokerspiel zurückzugewinnen."

Sein Gesichtsausdruck blieb noch für etwa eine Sekunde, dann änderte er sich schlagartig und ein fettes Grinsen machte sich darauf breit. „Yo, was geht, Jay? Lange nicht gesehen." Wir begrüßten uns per Handschlag. „Ey, aber kein Scheiß. Du schuldest mir wirklich Kohle."

„Kein Scheiß, du hast wirklich verloren", bemerkte ich.

„Echt wahr? Daran kann ich mich gar nich mehr erinnern."

„Vielleicht weil du so stoned warst, dass du die Karten auf den Tisch geknallt und »Mau, Mau« gebrüllt hast", schlug ich vor.

Er überlegte einen Moment, es sah aber nicht so aus als wäre ihm ein Licht aufgegangen. „Wie viel schulde ich dir?"

„150 Dollar. Aber wie gesagt. Ich gebe dir die Chance, es zurückzugewinnen."

„Nee, nee. Passt schon. Ich habe inzwischen begriffen wie dumm es ist, mit dir zu pokern."

„Vielleicht kannst du die Schulden auch auf andere Weise abarbeiten. Ich brauche ein paar Informationen."

Er nickte. „Geht klar. Ich bring dich zu Freezer." Er ging voraus und wir folgten ihm.

„Du bist ein Arsch", zischte Vincent, als TJ außerhalb unserer Hörweite war.

„Och, hat da jemand Schiss?", grinste ich.

„Ich? Sicher nicht. Aber eine kleine Vorwarnung wäre nett gewesen. Außerdem war ich nicht darauf vorbereitet, den Boss der TwentyNiners zu treffen."

Noch überraschter würde er sein, wenn er wüsste, dass ich mit „Freezer" schon seit Jahren per Du war. Die 29ers waren neben ein paar anderen meine Augen und Ohren in der Stadt. Vor allem im Suicide District. Dafür hielt ich ihnen die anderen Gangs vom Hals. Denn am Ende wollen diese Jungs doch nur eines: Bewundert werden. Je mehr Gebiet sie angeblich hatten, desto mehr wurden sie gefürchtet. Selbst wenn das Gebiet eigentlich meines war. Das würden sie zwar nie zugeben, aber solange das keiner erfuhr, fielen die Geschäfte, die sie abwickelten zu meinen Gunsten aus und ich erschuf die Illusion, dass ihnen das Gebiet, das sie eingenommen hatten, tatsächlich gehörte. Sie benutzten mich und ich benutzte sie. Und solange jeder davon profitierte, waren wir die besten Freunde.

„Jay?", fragte Vincent schließlich, „Der Teufel hat viele Namen, was? Wie kannst du dir überhaupt merken, wer dich unter welchem Namen kennt?"

Ich tippte mir an die Schläfe. „Fotografisches Gedächtnis, schon vergessen? Bei sowas sehr praktisch. Und wenn man seinen Einkaufszettel zuhause vergessen hat."

„Und die fragen sich nicht wofür der Name steht?"

„Die wissen lediglich, dass ich Jay heiße und dass ich für Jordan arbeite. Mehr nicht. Ich gebe grundsätzlich nur so viele Informationen Preis wie ich muss. Aber viel mehr interessiert die nicht. Die stellen keine Fragen, solange sie ihr Geld bekommen."

Er nickte. Klang plausibel.

TJ brachte uns zu einem Haus. Die Fassade sah ein wenig heruntergekommen aus, aber das war in diesem Viertel normal. Auffällig jedoch waren ein paar Einschusslöcher, bei denen sich keiner die Mühe gemacht hatte, sie zu verdecken. Wir gingen hinein und standen im Wohnzimmer, wo auf einer alten, fleckigen Couch noch mehr Männer mit 29ers-Tattoo herumsaßen. Schwaden von Zigarettenrauch hing in der Luft und es stank nach Gras. Auf dem Wohnzimmertisch, auf dem einer von ihnen die Füße abgelegt hatte, standen einige Bierflaschen und Bierdosen herum, obwohl wir erst viertel nach neun hatten. Vielleicht waren sie auch noch von den vorherigen Tagen übrig, wer wusste das schon.

Als ich herein kam und selbst der betrunkenste mich und meinen Hut erkannt hatte, wurde ich mit Gegröle und einigen Handschlägen begrüßt. „Wollt ihr ein Bier?", fragte Tiago, was ich dankend ablehnte. Sein Blick blieb schließlich an Vincent hängen. „Yo, Jay. Wer is'n das?"

Criminal 2 - Das Spiel des TeufelsWo Geschichten leben. Entdecke jetzt