Aus den Augen einer Kriminellen | 1

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Als ich am nächsten Morgen pünktlich in der FBI-Zentrale ankam, saß Vincent alleine an seinem Schreibtisch über einen Stapel Papierkram gebeugt.

„Wo sind die anderen?"

Erschrocken drehte er sich um. „Jordan? Ich habe dich heute nicht erwartet."

„Warum sollte ich nicht kommen?"

„Weil du gestern..."

Ich sah ihn aufmerksam an und gab mir Mühe, dass man mir nichts mehr von meinen gestrigen Qualen ansah.

Er winkte ab. „Egal."

Die Wahrheit war, dass ich mich den halben Abend um William gekümmert hatte, dem es wirklich dreckig gegangen war, und die andere Hälfte hatte ich geheult. Madison im Stich lassen zu müssen, hatte mich mehr getroffen als ich zugeben wollte. Sie war unschuldig gewesen. Die Angst in ihren Augen und die Verzweiflung würde ich nie vergessen. Sie hatte sich auf mich verlassen und ich hatte versagt. Was nutzten einem die größten Erfolge wenn man versagte, wenn es drauf ankam? Ich war mir ziemlich sicher, dass Nolan das gestern ebenfalls mitgenommen hatte und vermutete, dass das der Grund war, dass er heute nicht hier war. Auch er brauchte mal eine Auszeit, um das zu verdauen.

„Wo ist der Rest?"

„Barron hat sich einen Tag freigenommen, Nolan hat einen Arzttermin und Kingston wurde gefeuert."

„Gefeuert?", fragte ich.

„Ja. Man konnte ihm den Mord nicht nachweisen, aber für das FBI war der Verdacht Grund genug."

Ich musterte ihn, konnte aber keine Anzeichen von Verärgerung erkennen. „Du bist deswegen nicht sauer auf mich?" Schließlich hatte ich dafür gesorgt, dass sein Vorgesetzter und Teamchef gefeuert worden war.

Doch Vincent runzelte die Stirn. „Er hat die Frau umgebracht, nicht du. Du hattest damit nichts zu tun."

„Du glaubst also, er hat sie umgebracht?"

„Ich glaube dir, Jordan. Du hattest recht. Er hält nichts von Frauen. Ich war nur zu blind, um zu sehen was für ein Mensch er ist. Und es war nicht in Ordnung, wie er dich behandelt hat."

Unauffällig atmete ich durch. Seine Worte bedeuteten mir viel. Seit er herausgefunden hatte, wer ich wirklich war, hatte er erst alles doppelt und dreifach überprüft, bevor er meinen Worten Glauben geschenkt hatte. Bis gerade eben.

Ich zog mir einen Stuhl zu seinem Schreibtisch. „Also? Was hast du heute vor?"

„Eigentlich wollte ich mich um den Berg Papierkram kümmern." „

Wäre es nicht klüger nach der vierten Bombe zu suchen?"

Er legte den Stift in seiner Hand weg und drehte sich mit seinem Stuhl in meine Richtung. „Und wo? Jordan, als du weg warst, haben wir die ganze Stadt durchsucht. Die letzten zwei Bomben waren schon mindestens eine Woche dort, wo sie explodiert sind also müsste die vierte auch schon an ihrem Standort sein. Wir haben nichts gefunden."

Nachdenklich klopfte ich mit den Fingernägeln auf den Tisch. „Habt ihr Informanten?"

„Sicher. Wir haben alle abgeklappert. Aber keiner weiß etwas."

Ich wog den Kopf hin und her. Zwar hatte ich eine Idee, doch ich war mir nicht sicher, ob ich Vincent miteinbeziehen sollte. Allerdings brachte er mir das Vertrauen entgegen, mir zu glauben, weshalb ich das Gefühl hatte, ihm etwas zurückgeben zu müssen. „Und wenn wir meine Informanten mal besuchen?"

„Du hast Informanten?"

Ich hob eine Augenbraue.

„Natürlich hast du Informanten", korrigierte er sich, „Ich vergaß. Verbrechergenie mit tausend Augen in der Stadt."

Criminal 2 - Das Spiel des TeufelsWo Geschichten leben. Entdecke jetzt