Eine letzte Nacht | 1

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Es war totenstill, als ich fertig erzählt hatte. Jetzt wussten sie es. Nach beinahe sieben Jahren wussten sie endlich, dass ich Jordan war. Der Jordan, über den ständig in der Zeitung berichtete wurde und an dem die Polizei und zeitweise auch das FBI verzweifelt war. Das mit Kate DeLeón und die restlichen unschönen Details verschwieg ich zwar, aber es reichte, um meine komplette Familie mehr als sprachlos zu machen.

Dad hatte sich schon längst geschockt auf einen Stuhl fallen lasse und William presste die Lippen so fest zusammen, dass sie weiße Flecken bekamen. Chase war der einzige, der sich noch rührte. „Ha!", rief er plötzlich, „Du verarscht uns! Du? Meine kleine Schwester soll das Verbrechergenie sein, das auf der Top-Wanted-Liste des FBIs steht?" Er schüttelte den Kopf. „Nein, mal ehrlich. Du machst Witze... oder?"

Ich senkte den Blick. „Tut mir leid."

Jetzt verschwand das letzte Anzeichen eines Lächelns auch aus seinem Gesicht. Er fuhr sich durch die Haare, verschränkte die Hände hinter dem Kopf und starrte auf den Boden. Lange.

Die Stille war fast unerträglich. Doch was danach kam, war noch schlimmer als das verbissene Schweigen. „Warum?", wollte William wissen, „Warum, Jordan? Warum hast so einen Hass auf die Welt, dass du gegen alles und jeden rebellieren musst? Warum kannst du nicht einmal wie alle anderen sein?"

Vor allem seine letzte Frage verletzte mich. Ich war anders als alle anderen. Das war ich schon immer gewesen. Noch bevor ich den Geldbeutel von diesem Mann gestohlen hatte, mit dem alles angefangen hatte. Früher hatte ich damit zu kämpfen gehabt. Dann hatte Mom mich in den Arm genommen und mir gesagt, dass ich perfekt sei so wie ich wäre und dass ich mich niemals ändern solle. Ich hatte ihr versprochen, dass ich mich niemals von jemanden oder etwas ändern lassen würde und ich hatte mich an mein Versprechen gehalten. Ich änderte mich für nichts und niemanden. Doch offensichtlich verstand mein großer Bruder das nicht.

Trotzdem konnte ich William verstehen. Er war ein guter Mensch. Ehrlichkeit war ihm schon immer sehr wichtig gewesen und er legte viel Wert darauf, dass wir keine Geheimnisse voreinander hatten. Und jetzt hatte er erfahren müssen, dass ich mich nicht daran gehalten hatte und ihm wahrscheinlich eines der größten Geheimnisse dieses Jahrzehnts verschwiegen hatte. Er war gekränkt. Nicht so sehr, dass ich war, was ich nunmal war - vermutlich verstand er das ganze Ausmaß meines Geständnisses noch lange nicht - sondern, dass ich ihn die ganzen Jahre hinweg angelogen hatte.

„Wegen Mom", antwortete ich schließlich auf seine Frage.

Jetzt war es mit seiner Ruhe endgültig vorbei. „Oh nein! Wag es ja nicht, Mom dafür verantwortlich zu machen! Sie kann sich nicht mal verteidigen! Außerdem ist das noch lange kein Grund. Chase oder ich rennen auch nicht in der Gegend herum, klauen Sachen und verkaufen sie an zwielichtige Gestalten."

„Es geht nicht um Mom, sondern darum, dass sich die Polizei, der Staat nicht den geringsten Dreck für sie interessiert!"

„Jordan", schaltete sich mein Vater ein, „Der Staat kann sich nicht um jeden Bürger einzeln kümmern. In den USA leben über 325 Millionen Menschen."

„Ach, Dad. Die da oben sind doch auch nicht besser als ich. Manche von denen sind sogar noch schlimmer. Für Geld würden die alles tun. Wenn man ihnen nur genug bietet, pfeifen die auf das Allgemeinwohl. Das Dekret zum Beispiel? Für mehr Leute an der Mauer zu Mexiko? Es sollte den Menschen helfen und das hätte es sicher getan. Irgendwie. Und was war, als ich die Dreckwäsche eines der Beteiligten ausgegraben habe? Er hat dafür gesorgt, dass es nicht durchgesetzt wird. Um seinen eigenen Hintern zu retten."

Will warf die Hände in die Luft. „Es wäre durchgesetzt worden, wenn du es nicht unbedingt hättest verhindern wollen! Und warum hast du es getan? Wegen Geld! Du bist auch nicht besser als die!"

Ich sah ihn an. „Mag sein. Aber ich stehe dazu und mache kein Geheimnis daraus."

Chase löste sich endlich aus seiner Starre. „Moment mal, du hast einen Politiker erpresst?"

Criminal 2 - Das Spiel des TeufelsWo Geschichten leben. Entdecke jetzt