Ich hörte, wie meine Tür geöffnet wurde und dann die leisen Schritte, die auf mein Bett zukamen. Mein Körper spannte sich an, während ich wartete, was jetzt wohl geschah.
"Kylie, aufwachen!", sagte dann Nicks morgendliche Stimme. Nebenbei rüttelte er leicht an meiner Schulter. Ich schlug die Augen auf, drehte mich zu ihm um und tat so, als wäre ich wirklich gerade erst aufgewacht.
"Hey", gab ich leise zurück, "Seit wann werde ich geweckt?"
"Ich dachte, das tut man so bei einer Schwester", meinte er kleinlaut.
"Schon vergessen, dass ich die letzten 16 Jahre auch ohne dich aufgestanden bin?", fragte ich neckisch und lächelte.
"Ich glaube, ich muss das alles noch lernen!", lächelte er zurück.
"Danke trotzdem. Ich steh schon auf", sagte ich, während ich meine nackten Beine über die Bettkante schwang.
"Willst du nicht nach Unten oder so?", hakte ich nach, als Nick immer noch da stand.
"Ist alles wieder in Ordnung bei dir?", fragte er mich.
Ich nickte, traute in dieser Sache aber nicht meiner Stimme und ging zu meinem Kleiderschrank, um mir Sachen für heute rauszusuchen. Doch Nick stand immer noch in meinem Zimmer und hatte sich kein Stück gerührt.
"Warum glaube ich dir das nicht?", dies war eher eine Feststellung, als eine Frage.
Ohne mich umzudrehen, suchte ich weiter nach einem Shirt und antwortete: "Es geht mir gut, Nick. Wirklich!"
"Du kannst mir wirklich alles sagen, hörst du? Wir sind jetzt Geschwister" entgegnete er, kam auf mich zu und legte mir seine Hand auf die Schulter.
"Ich weiß, aber es ist wirklich alles in Ordnung. Kann ich mich jetzt bitte in Ruhe fertigmachen?", meinte ich flehend.
"Okay, ich nehm dich nachher mit zur Schule. Das mach ich ab heute übrigens immer", verkündete er mir.
"Danke", gab ich nur zurück, nahm meine Sachen und ging an ihm vorbei in unser Badezimmer.
Er war wirklich ein toller Bruder. Es war schön zu wissen, dass er zu Hause war und sich um mich sorgte, solange er das Thema Luke nicht ansprach.
Ich stieg unter die Dusche und ließ das warme Wasser auf meinen Körper rieseln. Als ich fertig war, trocknete ich mich, zog meine Klamotten an, putzte meine Zähne und schminkte mich dezent. Dann ging ich langsam die Treppe runter, um Nick, Dad und Kate an einem ausgiebig gedeckten Frühstückstisch zu sehen. Wow. So etwas war ich gar nicht gewohnt. Ich rief allen ein munteres "Morgen!" zu und setzte mich auf den Stuhl neben Nick. Ich beäugte die Leckereien auf dem Esstisch und.. waren das da wirklich Pancakes? Kate war unglaublich! Ich schnappte mir einen vom Teller und bestrich ihn mit viel Erdbeermarmelade.
"Hast du endlich wieder Hunger, Schatz?", stellte Dad fest.
"Mir geht es blendend! Kate, du bist großartig. So ein Frühstück hatte ich noch nie", wandte ich mich an sie, woraufhin sie lächelte.
"Das gibt es auch nicht oft. Ich dachte mir nur, da das unser erster Morgen zusammen in unserem neuen Haus ist", antwortete sie lächelnd.
"Echt schade..", brabbelte ich mit vollem Mund und biss gleich nochmal in den Pfannkuchen.
"Wir müssen los, Kylie!", meldete sich plötzlich Nick und stand auch schon vom Stuhl auf. Ich stopfte mir den letzten Bissen schnell in den Mund, während ich meinen Stuhl wegrückte, um ebenfalls aufstehen zu können.
Ich rannte Nick hinterher in den Eingangsbereich, schlüpfte in meine weißen Converse und griff nach meiner Tasche. Obwohl bereits Herbst war, brauchte ich keine Jacke. In Kalifornien war es immer noch außerordentlich warm. Also ließ ich meine Jacke zu Hause und sprintete zu Nicks Auto. Ich riss die Beifahrertür auf und ließ mich in den Sitz plumpsen. Erst einmal kräftig durchatmen, um wieder zu Kräften zu kommen und schon fuhr Nick los.
Auf dem Weg zur Schule schwiegen wir, bis Nick plötzlich in eine falsche Straße einbog.
"Ähm Nick, das ist der falsche Weg", wies ich darauf hin.
"Der ist schon richtig. Wir holen nur noch Luke ab", meinte er, weshalb ich erschrak. Ich wollte nicht auch noch im selben Auto mit ihm sitzen.
"Aber der hat doch sein eigenes Auto!", widersprach ich ihm.
"Ist kaputt..", gab Nick nur zurück.
Ich presste mich in den Sitz und ließ meine Schultern, mit einem lauten Seufzer, hängen. Nach wenigen Minuten hielt Nick auch schon an. Ich schaute kurz nach links, um direkt Luke anzusehen. Ein erschrockener Schrei drang aus meiner Kehle, während ich auf meinem Sitz zur Seite sprang.
"Bin ich so angsteinflößend?", fragte Luke belustigt, als er die Hintertür aufmachte und auf die Rückbank kroch.
"Quatsch, Kumpel", entgegnete Nick und schlug mit ihm ein. Es war diese typische, kindische Jungsbegrüßung und das taten die Beiden mit 17 Jahren. Ich hielt lieber meinen Mund, drückte mich tief in den Sitz und zog meine Beine an. Nick startete den Motor und fuhr nun endgültig zur Schule. Die ganze Fahrt über lachten die Jungs und unterhielten sich über den größten Mist. Typisch eben.. Als wir endlich auf dem Parkplatz unserer High School hielten, gab ich noch ein einfaches, schnelles "Danke, für's Mitnehmen" von mir und stieg hastig aus dem Wagen. Die Jungs mussten von mir echt verwundert sein, denn so schnell konnten sie gar nichts erwidern. Im Prinzip war es mir allerdings egal, was sie von mir dachten. Erst recht bei Luke. Nick war mir eigentlich überhaupt nicht egal, denn er war jetzt mein Bruder. Umdrehen wollte ich mich trotzdem nicht noch mal, also ging ich schnell über den Schulhof und ins Gebäude.
Ich hielt Ausschau nach Chloes braunem Haarschopf, konnte sie aber nicht entdecken. Also entschloss ich mich einfach zu meinem Spint zu gehen, um meine Bücher für die nächste Stunde zu holen. Chloe würde ich spätenstens in Kunst sehen und ihr die Ohren volljammern, wie scheisse doch alles war.
Ich drehte die Zahlenkombi meines Spintes, aber schon bei der zweiten Zahl wurde ich unterbrochen, indem ich an meinem Arm gezogen wurde, weg von den Spinten. Meine Augen wanderten zu meinem Entführer und ich sah Luke, weshalb ich nochmals versuchte, stehen zu bleiben, doch er war zu stark und zog mich in einen kleinen, engen Materialraum. Luke schloss die Tür hinter uns. Doch anstatt Angst zu haben, wurde ich wütend. Was fiehl ihm ein? Er konnte mich doch nicht einfach gewaltsam hinter sich her ziehen, um mich dann in einen Materialraum zu sperren, zusammen mit sich selber.
Er drehte den Schlüssel im Schloss um und sah mich an. Seine Augen funkelten und glitzerten. Sofort wurde meine Wut auf ihn doch zu einem Hauch von Angst. Denn während ich in seine Augen sah, wusste ich, was er jetzt vorhatte. Und kaum, als ich den Gedanken zu Ende gedacht hatte, stürzte er auf mich zu. Ich konnte gar nicht so schnell reagieren, da packte er auch schon mein Gesicht zwischen seine Hände, stemmte mich gegen die Wand hinter mir und drückte seine weichen Lippen auf meine.
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One Wave
Teen FictionKylie Evans' Leben ist toll. Oder es war toll. Nachdem sie eigentlich alles richtig gemacht hat, will das Schicksal es ihr trotzdem nicht gönnen, ein unbeschwertes Leben zu führen. Verluste und neue Bekanntschaften machen dem schüchternen Mädchen da...