Part 43

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Die restliche Zeit verbrachten wir schweigend auf der Couch. Währenddessen schrieb ich mit Diamond und setzte ein leichtes, gezwungenes Lächeln auf meinen Lippen. Ich hätte wissen müssen, dass es meiner Mutter nicht gut geht und das sie etwas bedrückt, aber nein, natürlich wieder nur um mich. Wie immer. Andauernd stehe ich im Mittelpunkt, unbewusst. Ich wollte gar nicht im Mittelpunkt stehen. Ich mochte es überhaupt nicht, wenn ich ehrlich bin. Noch nie in meinem bisherigen Leben, wollte ich gerne im Mittelpunkt stehen. Ich fühlte mich unwohl und beobachtet, doch heute und die letzten Tage war ich es. Ich habe es nicht einmal bemerkt.

Doch jetzt, wenn ich länger darüber nachdenke, wird mir klar, wie viel Aufmerksamkeit ich in letzter Zeit bekommen habe. Habe ich meine Eltern gefragt, wie es ihnen geht? Habe ich überhaupt nach ihren Wohlbefinden gefragt, seitdem ich in England bin? Natürlich konnte ich mich nicht daran erinnern.

Langsam schaute ich zu meinen Eltern, die aneinander gekuschelt gegenüber von mir auf der Couch saßen. Der Arm von meinem Vater lag seelenruhig auf ihre Schulter und mit seiner Hand strich er über ihre Wange. Wie süß, dachte ich und lächelte. Die glasigen Augen meiner Mutter waren auf den Fernsehbildschirm gerichtet. Ab und zu klappten ihre Augen für wenige Sekunden zusammen und öffneten sich wieder.

"Wollen wir etwas gemeinsamen spielen? Das haben wir doch lange nicht mehr gemacht. Nur wir drei und nebenbei bestellen wir uns noch eine Familienpizza." unterbrach ich die Stille. Mein Vater begann an zu Lächeln und zwinkerte mir dankend  zu. Auch meine Mutter stimmte nach langem überlegen ein.

"Was wollen wir denn spielen?" fragte meine Mutter.

"Mensch ärgere Dich nicht?" schlug mein Vater schnell vor. Meine Mutter begann leise an zu kichern und mein  Gesichtsausdruck veränderte sich schlagartig. Als ich früher noch ein kleines Kind war, habe ich mit einer Schwere das Spielbrett in kleine Stücke geschnitten und habe versuchte, diese zu essen. Doch zum Glück kamen rechtzeitig meine Eltern. Damals hatte ich mich beleidigt und heulend in das Badezimmer eingesperrt. Auch ich fing an zu lachen.

"Was möchtet ihr auf die Pizza und gibt es hier noch das leckere Pizzaresturant?"

"Das was wir immer genommen haben. Die Hälfte mit verschiedenen Käsen und die andere Hälfte kannst du einen Schinken haben. Bist du dir sicher dass du etwas bestellen möchtest? Wir haben doch erst gegessen." beteiligte sich meine Mutter.

"Na und? Ich habe aber Hunger und wenn ich Hunger meine, dann habe ich auch Hunger." kicherte ich. Daraufhin verdrehte meine Mutter die Augen. Anschließend schnappte ich mir das Telefon und suchte im Telefonbuch nach der Nummer des Restaurants. Schließlich gab ich die Bestellung ab und setzte mich zurück zu meinen Eltern, die bereits alles vorbereitet hatten.

"Wer die höchste Zahl hat, beginnt." informierte uns mein Vater. Nachdem meine Mutter eine "vier" und mein Vater eine "fünf" gewürfelt hatten, kam ich mit meinem Wurf und würfelte nur eine schlappe "zwei" und während des Spiels, veränderte es sich auch nicht. So kam es, dass ich keine einzige Runde gewonnen hatte. Während des Spiels, versuchten mein Vater und ich, so gut wie möglich Mom aufzuheitern und nicht die ganze Zeit über an ihrer verstorbenen Mutter zu denken, was soweit sehr gut klappte. So hart es auch klingt, aber  das Trauern macht sie auch nicht wieder lebendig. Ich liebe dich, Oma!

"Nur weil ihr alle gegen mich wart." beschwerte ich mich. Wie ein kleines Kind verschränkte ich meine Arme vor die Brust und erhöhte meinen Blick.

Ehe mein Vater etwas erwidern könnte, klingelte es an der Tür und für einen kurzen Moment zuckte ich zusammen. Scheiße!

"Perrie, sag bloß nicht das du vergessen hast zu sagen, dass er klopfen soll? kam es von meiner Mutter.

"Doch, doch, dass  kann ich vergessen haben. Ich schau gleich, ob Zayn noch schläft, doch als erstes, hole ich uns die Pizza, bevor sie der Pizzabote auffrisst." Erneut fing ich an zu grinsen, schnappte mir das Geld von der Kommode und rannte zur Haustür. Ich habe nach nie in einem Pyjama die Haustür geöffnet. Es gibt immer ein erstes Mal. Leider.

Ich begrüßte höflich den Booten und drückte ihn das Geld in die Hand. Nachdem ich sagte, dass der Rest für ihn ist, riss ich förmlich die Pizza aus einer Hand und schloss die Tür. Wie sehr ich mir wünsche, den Geruch einer Pizza zu kennen. Nachdem ich in die Küche gerannt war und dort die Pizza auf den Esstisch gelegt habe, ging ich nach oben in mein Zimmer und öffnete leise die Zimmertür. Ich musste das Licht im Zimmer nicht anschalten, da das Licht im Flur genügte, dass ich Zayn seelenruhig auf mein Bett liegen sah. Ich lächelte und schloss wieder die Tür. Danach aß ich gemeinsam mit meinen Eltern die Pizza auf und wünschte ihnen eine gute Nacht. Als ich es mir auf der Couch gemütlich gemacht hatte, war ich auch schon so müde, dass ich sofort einschlief.

-

Durch das laute zuschlagen einer Tür wurde ich unsanft aus meinen Schlaf geweckt. Da das Wohnzimmer bereits ziemlich hell war, konnte ich daraus schließen, dass wir es bereits ziemlich spät haben und ein Blick auf meinem Smartphone verriet mir, dass es kurz nach Zehn war. Ich gähnte laut und streckte mich.

"Hast du Brötchen geholt?" kam es plötzlich von meiner Mutter, die bereits angezogen im Türrahmen stand. Ich zog eine Augenbraue in die Höhe und schüttelte meinen Kopf.

"Nein, ich bin gerade erst wach geworden. Du?" fragte ich sie. Als Antwort schüttelte sie ihren Kopf.

"Dein Vater liegt auch noch im Bett, aber irgendwer ist gerade rausgegangen. Die Haustür ist nicht mehr abgeschlossen."

"Wer sollte denn sonst- Zayn!" rief ich am Ende meines Satzes. Ich schlug die Decke von meinem Körper und rannte so schnell wie möglich in mein Zimmer. Es war leer und sehr ordentlich hinterlassen.

"Zayn?" rief ich, aber ich bekam keine Antwort. Ebenfalls durchsuchte ich die anderen Zimmer, doch es war keine Spur von dem Autisten. Als ich schließlich wieder verzweifelt in das Wohnzimmer gehen wollte, fiel mir ein kleiner Brief auf, der auf der Kommode im Flur ruhte. Sofort rannte ich zu ihm. Nein!

Bin auf den Weg nach Bradford. Du bist nun das Problem los, dein Problem. 

Vor Schreck ließ ich den Zettel fallen und ein stechender Schmerz bildete sich in meinem Brustkorb. Was schreibt er da?

"Mom, fährt eine Bahn in den nächsten Minuten zum Hauptbahnhof?" schrie ich vom Flur aus. Schnell zog ich mir meine Schuhe und eine dicke Jacke über.

"Ja, in sieben Minuten kommt eine Bahn, warum?"

"Ich habe keine  Zeit zum erklären." schrie ich nur noch. Ich hob den Zettel wieder auf und öffnete die Haustür. Anschließend schlug ich sie wieder zu und rannte los. Während des rennen, wurden meine Augen immer glasiger und das lag nicht an dem kühlen Wind, der mir immer wieder gegen das  Gesicht blähst. Wie kam Zayn darauf, dass er mein Problem sei? Ich beschleunigte mein Tempo und bog in den vielen verschiedenen Straßen ein, die zur Bahnstation führten. Ich schaffe das! Perrie du schaffst das!

Als die kleine Station auch schon vom weiten erkennen war, beschleunigte ich noch mehr mein Tempo, obwohl ich nicht mehr konnte. Doch wie es natürlich passieren musste, krachte ich mit jemand zusammen und fiel zu Boden. Ich stützte mich mit meinen Händen und Knie ab, die sofort anfingen zu schmerzen.

"Ist alles in Ordnung-"

"Ja, es ist alles gut, es tut mir leid. Mein Fehler." unterbrach ich die Person. Ich rappelte mich auf und setzte meinen Sprint fort. Es stand bereits die Bahn am Gleis und die Türen waren ebenfalls geöffnet.

"Zayn!" schrie ich. Tatsächlich erkannte ich vom weiten einen jungen, tätowierten Mann, der gerade in die Bahn einstieg. Es war Zayn!

"Zayn." rief ich erneut. Zayn, der mit seinen Rücken zu mir stand, drehte sich langsam um und starrte in meine Richtung.

"Warte, bitte." Ein erleichtertes Lächeln bildete sich auf meinen Lippen, als Zayn ein leichtes Nicken von sich gab und  gerade einen Schritt nach vorne treten wollte, doch ehe er die Bahn verlassen konnte, hatten sich bereits die Türen  geschlossen. Als auch ich endlich an der Tür angekommen war, drückte ich wie eine verrückte auf den Knopf, doch die Tür bewegte sich nicht. Nein, nein, nein! Auch Zayn versuchte die Tür zu öffnen, doch vergeblich. Ich legte meine Hand in der Höhe wie Zayn Hand, auf die Scheibe ab. Meine blauen Augen trafen Zayns braune Augen, die rot und ein wenig angeschwollen waren. Sie starrten starr in meine und als er seine Lippen zu irgendetwas formte, fuhr die Bahn bereits los. Ich ließ meine Hand von der Scheibe nicht ab und rannte neben dem Gleis her, doch dann verließ mich die Kraft und ich fiel zu Boden.

Ich hatte ihn verloren.

AUTISM | ZerrieWo Geschichten leben. Entdecke jetzt