Kapitel 51: Kontrolle

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Das Frühstück war riesig. Es gab wohl so ziemlich alles, was ich an essbaren Frühstücksleckereinen kannte und noch ein paar Dinge, die ich nicht kannte. Ich probierte so viel ich konnte und fühlte mich anschließend, als würde ich gleich platzen.

Wie auf Kommando pikste Luke mit dem Finger in meinem Bauch und lachte: "Wie viel kannst du denn essen? Bald muss ich dich durch die Gänge rollen!"

Entrüstet schlug ich ihm auf den Arm. "Du hast ja auch nicht gerade wenig gegessen!"

"Aber weniger als du", grinste er. "Und außerdem bin ich größer."

Bevor ich kontern konnte, mischte Lee Ann sich in unsere Diskussion ein. "Wir haben heute noch was vor, also wenn ihr fertig gegessen habt, wäre es cool, wenn wir loslegen könnten.

Sofort war ich vollkommen still. Endlich würde ich lernen, vernünftig mit meiner Gabe umzugehen.

Lee Ann warf ein paar Kissen auf den Boden und bedeutete mir, mich hinzusetzen.

An Luke gewandt, meinte sie: "Das wird jetzt ziemlich langweilig werden. Wir werden meditieren und den Geist schulen. Das alles wird von außen nicht sichtbar sein und du wirst ihr auch nicht helfen können. Wenn du möchtest, kannst du mit Leon, meinem Vertrauten, die Gegend ansehen, außerdem haben wir einen Fitnessraum und eine Sporthalle und geschulte Trainer, du kannst dich also auch sportlich betätigen.

Luke nickte, lehnte aber dankend ab. "Nein danke, ich möchte bei Clare bleiben. Zumindest beim ersten Mal."

Und da war es wieder, sein Misstrauen. Ich spürte es beinahe körperlich, dass er mich nicht alleine lassen wollte. Nicht mit ihr. Als ob mir etwas passieren würde.

"Dann musst du aber ganz leise sein", warnte Lee Ann ihn. "Selbst das leiseste Geräusch kann sie aus ihrer Konzentration werfen. Du darfst dich nicht mal bewegen." Ihre Worte unterstreichend fuchtelte sie mit dem Zeigefinger vor seinem Gesicht herum.

"Ich habs ja verstanden", grummelte Luke. "Ich setzte mich in eine Ecke, gebe keinen Ton von mir und wage es nicht, auch nur einen Finger zu rühren."

Wohlwollend nickte sie. "Genau so."

Ohne Luke noch eines Blickes zu würdigen, wandte sie sich mir zu. Sie setzte sich mir gegenüber auf ein flaches, kariertes Kissen.

"Setzt dich bequem hin", wies sie mich an, "und schließe die Augen."

Ihre Stimme wurde ganz weich und gleichmäßig. "Versuche, nichts zu denken, nichts zu fühlen."
Nichts denken, nichts denken, nichts denken, dachte ich und Augenblick merkte ich, dass ich auf diese Art ja schon wieder dachte. Ich versuchte, alle Gedanken von mir zu schieben, doch es klappte nicht. Verzweifelt bemühte ich mich, meinen Kopf zu leeren, doch sofort blieb ich wieder an einem Gedanken hängen. Wie sollte das denn auch gehen? Man konnte doh gar nicht Nichts denken. Immer wenn man dachte, nichts zu denken, dachte man ja schon.

Ich spürte Lee Anns Hände an meiner Schläfe. "Entspann dich", murmelte sie. "Lass alles treiben. Alles, was dir wichtig erscheint, lass es fallen."

Ich konzentrierte mich auf ihre kalten Finger an meiner Haut. Auf meinen Atem.

Ein, aus, ein aus.

Ein.

Aus.

Und plötzlich war es ganz einfach. Die Gedanken glitten durch meinen Kopf, ohne dass ich irgend einen wirklich zu fassen bekam. Sie trieben herum wie kleines, unbedeutendes Plankton.

Lee Ann merkte, dass ich es raus hatte. Ob an meinem Atem oder an meiner Haltung wusste ich nicht, aber es war mir auch egal. Alles war egal. Alle Gedanken oder Gefühle, die Neugier, die Aufregung, alles schwebte in mir, ohne mich wirklich zu berühren.

"Jetzt versuche, die Grenzen zu finden. Taste nach deinem Geist. Suche ihn!", flüsterte mir ins Ohr.

Ich hörte die Worte, ich nahm sie war, doch ich dachte nicht darüber nach. Ich tat einfach, was sie sagte. Ich durchforstete mein Bewusstsein nach dem Ende. Suchte die Grenzen, um all das richtig zu erfassen. Ich wollte sie finden.

Kaum hatte ich das gedacht, war es vorbei. Der Gedanke hatte mich hinauskatapultiert. Seufzend und enttäuscht öffnete ich die Augen.

"Es tut mir leid", entschuldigte ich mich. "Ich weiß nicht, was ich falsch gemacht habe. Ich wollte wirklich alles richtig machen!"

Sie lächelte mich verständnisvoll an. "Ich weiß, was du falsch gemacht hast. Du hast es gewollt, aber du darfst es nicht wollen. Diese Empfindung stört deine Kontrolle. Du darfst es nur tun. Was du willst, musst du davor entscheiden. Danach darfst du nur noch tun."

Ich stöhnte auf. Gott, war das kompliziert. "Nochmal?", fragte ich. Ich wollte es unbedingt noch einmal versuchen, doch ich fühlte mich müde.

"Nein", sie schüttelte den Kopf. "Du brauchst jetzt eine Pause. Wir machen morgen weiter."

"Morgen erst?", fragte ich traurig. Ich war geradezu süchtig nach diesem Gefühl zu schweben; Nichts und gleichzeitig Alles zu sein.

"Schau mal auf die Uhr", erinnerte sie mich. "Es ist schon ziemlich spät und du brauchst auch noch etwas Freizeit."

Gehorsam sah ich auf ihr Handy, das sie mir entgegen streckte. Und bekam einen Schreck.

"Sechtzehn Uhr!", stieß ich hervor. "Das kann doch gar nicht sein!"

TraummörderWo Geschichten leben. Entdecke jetzt