Kapitel 48: Erklärung

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Ich streckte das Gesicht in den Wind, genoss es, wie er mit meinen Haaren spielte. Die Sonne schien mir warm auf die Haut und der Boden war gefühlte hundert Meter unter mir. Meine Hände kampfen sich um das Geländer.

Es war beinahe wie in meinem Traum. Der Turm, die Höhe, das Geländer, nur Luke fehlte und das verlangen, jemanden umzubringen.

Luke, mein Traumverwandter. Lee Ann hatte mir erklärt, was das bedeutete. Der Traumverwandte war der, von dessen Träumen sich das Unterbewusstsein nicht angegriffen fühlte. Deshalb hatte ich immer gut geschlafen, wenn Luke bei mir gewesen war: weil er unbewusst alle anderen, fremden Träume von mir ferngehalten hatte. Nur das eine Mal, als ich mich von ihm ausgenutzt gefühlt hatte, da hatte ich auch gegen ihn angekämpft.

Ich hatte Lee Ann um Auszeit gebeten. Ich brauchte Zeit, um mich zu sammeln, um das alles zu verarbeiten.

Lee Ann war nicht böse. Sie wollte mir helfen. Wollte mir das beibringen, was nur noch die Wenigsten lernten.

Ja, sie hatte mich gefangen genommen, und ja, die Männer die mich damals, vor scheinbar endloser Zeit in der Herberge gesucht hatten, waren ihre Handlanger gewesen, doch sie hatte mir versichert, dass das alles nur geschehen war, weil sie keine anderen Mittel und Wege gehabt hatte.

Ich überblickte das Anwesen. Es war riesig. Der Turm, ein Hof und mehrere Gebäude umfasste es.

Ich sollte hier bleiben, hatte sie gesagt. Und sie hatte mir ihr Versprechen gegeben, dass ich jeder Zeit gehen durfte, wenn ich wollte. Und wenn ich meine Ausbildung fertig wäre, würde ich tun können, was mir gefiel.

Und warum? Sie hatte mir ihre Motive erklärt. Sie selbst konnte nicht träumen. Sie war das zweite Kind ihrer Mutter. Ihr älterer Bruder hatte das Gen geerbt, doch er war im Alter von 13 Jahren gestorben. Zum gleichen Zeitpunkt wie ihre Mutter. Ihr Vater hatte herausfinden wollen, was ihren Tod verursacht hatte. Niemand konnte die Todesursache feststellen, seine letzte Hoffnung war die Macht der Träumer, doch Lee Ann hatte diese Macht nicht. Nun war auch ihr Vater gestorben, doch sie sah in mir den Schlüssel zur Lösung des Rätsels.

Und ich wollte ihr helfen! Ich mochte sie und sie tat mir leid, wo sie doch ihre ganze Familie verloren hatte. Meine Entscheidung stand eigentlich schon fest: Ich würde mich von ihr ausbilden lassen und ihr mit all meiner Kraft zur Seite stehen. Aber ich musste noch mit Luke darüber sprechen.

Hinter mir quitschte die Tür, die auf die Plattform hinaus führte. Im nächsten Moment lag ich in Lukes Armen.

"Was ist hier los?", fragte er flüsternd in mein Ohr.

"Es ist alles gut", murmelte ich und schmiegte mich in seine warmen, starken Arme.

Mißtrauisch sah er mich an.

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