Kapitel 55: Sorgen

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Völlig ausgepowert kam Luke an der Tür zum Übungsraum an, wo ich auf ihn gewartet hatte. Seit eineinhalb Wochen trainierte er nun in der Sporthalle, während ich meine träumerischen Fähigkeiten verbesserte.

"Puh, bin ich kaputt", seufzte er und gab mir einen Kuss.

Das war allerdings ein Problem. Nach seinem Training war er immer sportlich ausgelastet und wollte etwas für den Kopf tun, ich hingegen, da ich ja den ganzen Tag volle Konzentration brauchte, hätte mich lieber etwas bewegt. Aber Lee Ann sagte, es sei notwendig, dass er lernte, mich zu verteidigen, wenn ich in meiner Meditation nichts um mich herum mitbekam. Irgendwann, beteuerte sie, würden wir in eine Situation geraten, wo das über unser Leben oder unseren Tod entscheiden konnte. Und wenn ich sah, wie glücklich und gelöst Luke jedesmal war, wenn er wieder etwas Neues gelernt hatte, dann gönnte ich es ihm. Ich wusste, er hatte sich so etwas schon lange gewünscht.

"Hast du was Neues gelernt?", fragte ich und lächelte leicht.

"Ja", er grinste frech. Wenn er das tat, bedeutete das nichts Gutes. "Ich zeige es dir nacher."

Da hatte ich den Salat. Jetzt war ich zum Versuchskaninchen geworden. Nicht, dass es nicht Spaß gemacht hätte, wenn Luke seine Arme um mich schlang, um seine neuen Techniken zu zeigen, würde es nur nicht immer damit enden, dass ich auf dem Boden lag und er triumphierend über mir stand.

Im Zimmer angekommen musste ich noch ganze dreizehn Minuten warten, bis er geduscht und sich umgezogen hatte. Dann dirigierte er mich auf das Bett und stellte sich mir gegenüber.

Ich versuchte, einen festen Stand zu finden, wo er mich nicht einfach umwerfen konnte. Ganz genau beobachtete ich jede seiner Bewegungen, spähte nach Anzeichen dafür, was er gleich tun würde. Doch ganz lange Zeit passierte gar nichts. Luke beobachtete mich einfach ganz genau und seine Ruhe machte mich nur noch nervöser. Es war wie bei einem Raubtier, dass seine Beute begutachtet und dabei genau weiß, dass es ihm nichts, aber auch gar nichts entgegen zu setzen hat.

Dann schoss sein Arm plötzlich vor. Ich weiß nicht, was genau er tat, aber kurz darauf lag ich auf dem Boden und er über mir, die Ellbogen auf meinen Brustkorb gedrückt, die Hand auf meinen Hals gelegt und ich war mir sicher, wenn ich sein Feind wäre, hätte ich nicht mehr lange zu leben.

Einige stille Minuten war ich wie erstarrt, dann brach Luke das Schweigen mit einem genüsslichen Blick: "Ich könnte jetzt mit dir machen, was ich will."

"Von wegen." Ich strengte mich an um mich unter ihm hervorzuwinden, aber Luke drückte mich lachend fester in die Kissen. Quälend langsam beugte er sich zu mir herunter, zögerte kurz, dann berührten seine Lippen meine, nicht zu einem dieser kurzen Begrüßungsküsse, sondern zu einem richtigen, intensiven Kuss. Ein Kuss, der mich alles vergessen ließ. Luke gab meine Arme frei und ich schlang sie um ihn, zog ihn noch näher zu mir, und er ließ es zu, grub seine Hände in meine Haare.

Viel zu früh löste er sich von mir und schob mich von sich weg neben sich. Seine Hand blieb in meinen Haaren und er sah mir fest in die Augen.

"Ich mache mir Sorgen", sagte er leise.

Fragend sah ich ihn an.

"Du verlierst dich", murmelte er. "Merkst du das nicht? Früher hast du jedes Lied im Radio mitgesungen, du hast jeder noch so kleinen Fliege auf deinem Weg deine Aufmerksamkeit geschenkt und du hast immer selbst nachgedacht, was du für richtig hältst und dann auch nur das gemacht. Und jetzt tust du einfach das, was sie dir sagt und bist so in deiner Konzentration gefangen, dass du nicht mehr selbst überlegst!"

Das war hart. Ich fühlte mich angegriffen, aber das wollte ich nicht zeigen. "Wie soll ich denn auch? Ich darf nicht denken, wenn ich träume, da ist kein Platz dafür. Da ist nur Platz um zu handeln", verteidigte ich mich.

"Aber dann ist es falsch! Weißt du nicht, was da alles passieren kann, wie leicht du manipuliert werden kannst?"

Ich biss mir auf die Lippen. "Es geht nun mal nicht anders, wenn ich es kontrollieren will", murmelte ich trotzig.

Mit der Hand, die immer noch in meinem Haar ruhte, drückte er mich an sich. "Tut mir leid, das sollte kein Vorwurf an dich sein. Ich habe nur das Gefühl, dass das so nicht richtig ist."

Überrascht sah ich auf. "Du traust ihr immer noch nicht. Nach all den Möglichkeiten, die Lee Ann uns bietet, glaubst du immernoch nicht, dass sie ehrlich ist."

Doch Luke schüttelte leicht den Kopf. "Ich glaube nicht, dass sie es nicht gut meint, aber sie hat auch keine Erfahrung damit. Vielleicht solltest du mal eine Pause machen, es ruhiger angehen."

TraummörderWo Geschichten leben. Entdecke jetzt