Kapitel 23: Die Schiene gleitet fort und fort

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Wir ergatterten einen freien Viererplatz, auf dem wir uns breit machten. Luke schob die kleineren Taschen in die Gepäckablage über unseren Sitzen. Da aber die großen Koffer und Reisetaschen nicht in die Ablage passten, belegten wir auch noch den Zweierplatz auf der anderen Seite des Gangs mit unseren Sachen. Dann machten wir es uns gemütlich. Ich schnappte mir den Fensterplatz der vorwärts fuhr, was auch gut war, sonst hätte ich nämlich irgendwann kotzen müssen.

Wir hatten spontan einen Zug ausgewählt, der möglichst weit weg fuhr und ziemlich leer war. Außer uns saß nur eine alte Frau in dem Abteil ganz auf der anderen Seite an der Tür, sonst war es wie ausgefegt.

Jess saß neben mir und packte die Obstdose aus dem Handgepäck. Wir reichten sie immer im Kreis und jeder nahm immer etwas heraus, bis wir alles aufgegessen hatten.

Dann packte Luke einen Bogen mit Stadt-Land-Fluss- Papieren aus und reichte uns jeweils einen. Er verteilte die Stifte und wir begannen, die Kategorien festzulegen.

"Stadt, Land, Gewässer", schlug Jess sehr geistreich vor.

"Okay, das können wir ja Mal so lassen. Dann Beruf", beschloss ich.

"Wie wär es noch mit Film oder Buch?"

Ich lächelte Luke an. "Okay, dann haben wir schon fünf Kategorien. Was noch?"

Jess wuschelte sich nachdenklich durch die Haare. "Irgendwas cooles. Wie wär es mit...hmmm...ausländisches Wort? Also englisch oder französisch oder so?"

Ich nickte zustimmend.

"A", sagte Luke.

"Stopp" sagte Jess.

"P", sagte Luke.

"Oh Gott", stöhnte ich.

In Geographie war ich schon immer schecht gewesen. Zum Glück fiel mir gerade noch Pforzheim als Stadt ein. Sogar auf ein Land kam ich. Portugal. Aber ein Gewässer?

" Gilt die Pfütze als Gewässer?"

Mein Vorschlag wurde einstimmig abgelehnt, also ließ ich diese Spalte erstmal frei. Als Beruf dachte ich immer nur an Prolet, auch wenn das sicher kein Beruf war. Ich schrieb es trotzdem in die Lücke. Etwas künstlerische Freiheit musste sein. Mein Film/Buch war Planet der Affen. Jetzt fehlte nur noh das ausländische Wort.

" Zehn, neun, acht...", Luke war schon fertig.

Pain, schrieb ich in die letzte Lücke. Der Schmerz. Mein eigener Schmerz fiel mir ein. Die letzte Nacht, als ich zitternd und dem kotzen nahe aufgewacht war und beinahe aufgegeben hatte. Als mir alles egal gewesen war und ich am liebsten einfach nichts mehr gemacht hätte außer zu sterben wie meine Opfer. Ich hatte mich so schmutzig, so schuldig gefühlt. Doch dann hatte Luke mich  angerufen und meine Lebensgeister wieder geweckt, hatte mir Mut gegeben. Ich fügte noch ein t an mein Wort an. Paint. Farbe. Das war viel besser.

"Null. Fertig", sagte Luke in diesem Moment.

***********

Ich öffnete die Augen. Mein Blick fiel auf Luke mir gegenüber, der tief und fest schlief. Ich hatte ein wenig in meinen Tagträumen gehangen, während Luke und Jess eingeschlafen waren. Jess hatte wie ich die Schuhe ausgezogen und ihre Füße lagen nun neben meinen auf dem Sitz neben Luke. Lukes Hand war im Schlaf auf mein Knie gerutscht und dort lag sie immernoch.

Ich sah nach draußen. Der Zug ratterte über die Gleise. Immer weiter zog die Landschaft vorbei. Es dämmerte schon. Laut Uhr würde der Zug in einer knappen Stunde in seinen Endbahnhof einlaufen. Dort wollten wir nach einer Jugendherberge zum Übernachten suchen und dann morgen weiterfahren. Doch noch fuhr der Zug unaufhaltsam weiter und weiter.

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