Wie von der Tarantel gestochen fuhr ich hoch. Der arme Luke, der saß ja jetzt schon an die vier Stunden herum und durfte sich nicht rühren. Doch wo war er überhaupt? Hätte er nicht sofort was sagen müssen, als ich aus meiner Trance erwacht war?
Noch während ich das dachte, sah ich ihn auch schon. Er lag seelenruhig auf dem Sofa und schlief.
"Er ist nach ungefähr zwei Stunden eingeschlafen", murmelte Lee Ann. Schnell drückte sie mir einen kalten, kantigen Gegenstand in die Hand. "Ich muss los." Sie umarmte mich noch einmal kurz, ein flüchtiges "bis morgen", dann war sie verschwunden.
Langsam öffnete ich die Hand. Darin lag ein Schlüssel. Ich hob ihn vor meine Augen und betrachtete ihn genauer. Die Zacken bildeten ein kompliziertes Muster, am "Griff" war ein kleines G eingeritzt. G für Generalschlüssel?
Ich beschloss, es einfach auszuprobieren. Doch zuerst musste ich Luke wecken.
Vorsichtig beugte ich mich über ihn. "Luke? Aufwachen!"
Ganz kurz flatterten seine Augenlider, irgendein unverständliches Gemurmel kam über seine Lippen, dann schlief er wieder. Verständnislos schüttelte ich den Kopf. Wie konnte man nur um die Uhrzeit schon so tief schlafen?
Ich ließ meinen Blick durch das Zimmer streifen auf der Suche nach etwas, das mir helfen könnte. Er blieb an den Bücherreihen hängen. Im Märchen wurden die Schlafenden wachgeküsst. Ob das im echten Leben auch funktionierte?
Ohne groß darüber nachzudenken, beugte ich mich über Luke, legte meine Lippen ganz sanft auf seine. Erst kam gar keine Reaktion. Enttäuscht wollte ich aufgeben, da spürte ich plötzlich seine Hand im Nacken. Triumphierend lächelte ich, während er endlich den Kuss erwiederte.
Luke schlang den freien Arm um meine Hüfte und zog mich ganz dicht zu sich. Er presste mich so dicht an seinen Körper, dass ich seinen Herzschlag durch die Stoffe unserer T-Shirts spüren konnte. Es pochte genauso wild wie meines. Seine Muskeln spannten sich, als er mich herumrollte.
Doch für solche Spielereien war zumindest dieses Sofa nicht geschaffen. Gerade in dem Moment, als Luke in meine Richtung nach vorn kippen musste, um dann, jedenfalls theoretisch, mit den Ellbogen neben meinem Gesicht zu landen, hörte das Sofa einfach auf. Noch bevor ich mitbekam, was passiert war, rutschte alles um mich herum ab und Millisekunden später schlug ich auf dem Boden auf. Zum Glück hatte Luke besser reagiert als ich. Statt einfach zu fallen, streckte er blitzschnell die Arme zur Seite aus und fing sein Gewicht ab, bevor es auf mich prallte.
Verdutzt sah ich in sein Gesicht, bis ich verarbeitet hatte, was wir grad dämliches hinbekommen hatten. Dann zuckte es schon in meinen Mundwinkeln und ehe ich es verhindern konnte, brach ich in einen unheilbaren Lachflash aus.
Luke starrte mich noch ein paar Augenblicke verdattert an, dann rollte er sich neben mich.
Mit Lachtränen in den Augen stand ich auf und zog ihn ebenfalls hoch.
"Komm", sagte ich, "wir sehen uns jetzt mal das Haus an", und klimperte mit dem Schlüssel vor seinen Augen herum.
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Traummörder
Teen FictionJede Nacht träumt Clare, dass sie jemanden umbringt. Als sie schießlich im Traum ein Kind ermordet, stürzt sie in sich zusammen. Unverhofft erhält sie Hilfe von Luke, von dem sie nichts weiß außer seinem Vornamen. Auf den Hinweis eines mysteriösen B...