Kapitel 63: Fenster

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Lee Ann kam wenige Minuten später in das Zimmer geeilt, ein Thermometer in der Hand, das sie mir ungefragt in den Mund stopfte. Ich wollte es gleich wieder ausspucken, aber sie hielt es fest. "Klappe halten", tadelt sie mich und ich war zu erschöpft, um mich zu wehren.
Kurz darauf piepte das Thermometer und sie zog es wieder aus meinem Mund. "39.5", seufzte sie. "Du bleibst im Bett und erholst dich. Du kannst ja ein bisschen üben, wenn dir danach ist." Das mit dem Üben hatte nach einem beiläufigen Satz geklungen, aber in ihren Augen glitzerte etwas verdächtig und ich begriff, dass sie erwartete dass ich üben würde.
Sie sagte noch irgendwas Belangloses, dem ich aber nicht richtig zuhörte, und ging dann. In letzter Zeit ging sie sehr oft weg und war kaum noch bei uns. Ich vermisste sie irgendwie. Sie war mir über die vielen Trainingsstunden vertraut geworden, sie war mir eine Freundin geworden, doch nun hatte sie so viel zu tun, dass ich sie nicht mehr viel zu Gesicht bekam.
Mein Blick wanderte zu dem Fenster seitlich von dem Bett. Es zog mich zu sich, ich wäre gern hingegangen und hätte ein wenig herausgeschaut, aber meine Beine waren zu schwer. Bevor ich mich aufraffen konnte, versank ich wieder in einer bizarren Welt aus Träumen.
Die nächsten Stunden waren ein Wechselspiel aus wachen Momenten und flimmerten Traumfantasien. Jedes Mal wenn ich aufwachte, war das Fieber um ein bisschen gestiegen, nicht viel, aber doch stetig. Manchmal versuchte ich, während dem einschlafen ein bisschen zu meditieren und meine Träume zu lenken, aber meine Konzentration war nicht stark genug und meine Gedanken zu wirr und ungreifbar.
Luke blieb die ganze Zeit neben mir auf dem Bett sitzen, falls er mal aufstand, bekam ich es jedenfalls nicht mit.
Und immer wieder huschte mein Blick zu dem Fenster. Es kam mit vor wie etwas Verbotenes, aber Wunderbares, Erstrebenswertes und dabei unendlich weit entfernt. Ich wusste nicht warum.
Ich weiß nicht wann, aber irgendwann kamen auch Jess und Julian in das Zimmer. Ich konnte sie nicht abhalten, aber ich beachtete sie auch nicht wirklich.
Es wurde dunkel und es wurde wieder hell, ohne dass sich an meinem Zustand etwas änderte.
Und das Fieber stieg und stieg.
Gegen Mittag, als Lee Ann wieder kam, war ich gerade einigermaßen wach und so bekam ich den aktuellen Stand mit.
42°C.
Aus Lukes Miene wich nicht mehr die besorgte Falte zwischen den Augenbrauen und er wischte mir unaufhörlich mit einem feuchten Tuch über die Stirn.
Ab einem gewissen Punkt fühlte ich mich eigentlich wieder ganz gut.
Das Thermometer sagte etwas anderes.
Wieder Träume.
Das Fenster.
Licht.
Das Fenster.
Dunkelheit.
Das Fenster.
Jess Stimme.
"Clare, ich war eifersüchtig." Was sollte das? Träumte ich schon wieder? "Schon kurz nachdem wir los gefahren sind, also von Zuhause, da war ich neidisch auf dich. Luke ist so toll und attraktiv und nett und ihr wart so gut befreundet. Ich wollte das auch, dieses Glück. Ich wollte Luke."
War Luke im Raum? Warscheinlich nicht. Sonst würde sie mir das wohl kaum erzählen.
"Nachachdem ihr in der Jugendherberge abgehauen seid, da sind die Typen von Lee Ann gekommen. Ich hatte erst Angst. Sie haben so gefährlich gewirkt. Aber sie waren total nett, Lee Ann hat uns hier aufgenommen, uns alles gezeigt. Natürlich wollte sie wissen, wo du bist und ich hätte es ihr auch gesagt, weil ich eben eifersüchtig und sauer auf dich war, aber ich wusste es nicht. Sie hat uns trotzdem nicht weggeschickt. Irgendwie haben wir dann hier die Zeit vergessen. Wir waren immer drüben im anderen Haus. Wir haben nicht mitbekommen, dass ihr hier seid. Ehrlich.
Ich wollte nur, dass du das weißt, dass du es verstehst, damit du mich nicht hasst, falls du... naja... falls das Fieber nicht sinkt und du stirbst."
Ich hörte sie schlucken.
Irgendwas stimmte nicht.
Jess hatte mich hier vergessen. Ich hatte meine Eltern vergessen. Und Loren. Wie konnte man einfach Menschen vergessen, in einen hinteren Winkel des Gedächtnisses schieben, die man doch liebt? Und warum hatte Lee Ann Jess und Julian überhaupt hier behalten? Warum, wenn sie es mir nicht einmal gesagt hatte? Anscheinend nicht, um mich fröhlich zu stimmen oder mit Gutes zu tun.
Mein verwirrter Blick glitt zum Fenster.

Puh, das war jetzt mal ein langes Kapitel. Hoffentlich nicht zu langweilig?
Ich muss mich entschuldigen, dass es wieder so lange gedauert hat und ihr so lange warten musstet. Ich hoffe, ihr verzeiht mir. Ich hatte viel zu tun und dann hatte ich auch noch Probleme mit meiner linken Hand und dem Handgelenk (und ich bin Linkshänder), weil ich zu viel Klavier gespielt habe...
Jetzt halte ich mich aber ran, das nächste Kapitel kommt bald ;-*

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