5. Albträume

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5. Albträume

Es war still in Hogwarts. Oder besser gesagt in den Teilen der Schule, die noch übriggeblieben waren. Der beißende Geruch von Rauch und Asche hing schwer in der Luft und vereinzelt brannten noch kleine Feuer in den Ruinen des Schlosses. Elenora streifte an den Totenbetten der Opfer der vergangenen Schlacht vorbei, ängstlich, jeden Moment das Gesicht ihrer Tante oder das von Severus zu entdecken. Warum sie Severus nicht tot sehen wollte, war ihr selbst ein Rätsel. Er hatte sie schließlich alle verraten und Dumbledore kaltblütig getötet. Trotzdem war da immer noch etwas in ihr, das stehts an das Gute in ihm geglaubt hatte. Vielleicht lag es daran, dass sie Snape früher als eine Art Mentor gesehen hatte. Dieser letzte Rest Sympathie war nach der finalen Schlacht jedoch fast erloschen, als sie die vielen Opfer sah. Da erblickte sie Minerva, die auf sie zugestürmt kam. „Elenora! Merlin sei Dank", rief ihre Tante und schloss sie fest in die Arme. Elenora schluchzte, denn ihr fiel ein Stein vom Herzen und sie umarmte Minerva fest. „So viele Opfer", flüsterte sie leise und sah ihre Tante an, die plötzlich um Jahre gealtert sein schien. „Ich weiß...und das sind noch nicht einmal alle...wir... wir brauchen einen Suchtrupp.", murmelte Minerva. Elenora legte ihr eine Hand auf die Schulter. „Ich gehe voraus. Schick Freiwillige hinterher, wenn du welche findest." Mit diesen Worten drehte sie sich um und eilte aus der Halle, froh, der erdrückenden Stimmung dort zu entkommen. Zwar hatten sie die Schlacht gewonnen und Voldemort besiegt, jedoch hatten sie dafür teuer bezahlt. An der Tür zur großen Halle stieß sie beinahe mit Harry Potter zusammen, der gerade den Saal betrat. „Oh, Harry!" Sie strich ihm kurz über den Arm. „Geht es dir gut?" Der junge Potter nickte abwesend, er starrte auf ein Reagenzfläschchen in seiner Hand. Dann sah er hoch. „Professor... ich muss Ihnen etwas erzählen. Nein, eigentlich müssen es alle hören." Er hob die Stimme und bat um Aufmerksamkeit, und augenblicklich wurde es totenstill in der großen Halle. Harry räusperte sich, sichtlich unentschlossen wie er anfangen sollte. Dann holte er tief Luft und begann: „Es gibt etwas, dass ihr alle wissen solltet. Es geht um Severus Snape." Unruhe breitete sich im Saal aus, man hörte Schnauben und verächtliches Geflüster. Ein Räuspern von Minerva brachte die Menge allerdings wieder zum Schweigen. Harry hielt das Fläschchen hoch und fuhr fort: „In dieser Flasche befand sich die Wahrheit über den Mann, den wir letztes Jahr begonnen haben zu hassen. Manche tun das auch schon länger, mich eingeschlossen. Aber er wurde heute von Voldemort kaltblütig ermordet, und im Sterben bat er mich, seine Erinnerungen aufzusammeln und sie mir anzusehen. Er war nicht das, was er vorzugeben schien. Wie Albus Dumbledore immer gesagt hat, war er immer auf unserer Seite, bis zu seinem Tod." Elenoras Herz sank tiefer, als sie es je für möglich gehalten hatte, während sie Harrys Erzählungen lauschte. Wie Dumbledore Severus aufgetragen hatte, ihn zu töten. Wie er jahrelang sein Leben aufs Spiel gesetzt hatte, um dem Widerstand Informationen zu liefern. Und jetzt war er für sie alle gestorben. Eine Träne rollte Elenoras Wange hinunter. Sie hatte es gewusst. Sie hatte es immer gewusst. Er war kein böser Mensch gewesen. Trotz seiner immerschlechten Laune, seinen Sticheleien und seiner pessimistischen Art hatte er ein gutes Herz gehabt. Und sie hatte ihm noch nicht einmal sagen können, wie sehr sie ihre fast familiäre Beziehung geschätzt hatte. Harry hatte seine Ansprache beendet und sah nun in verdutzte und schuldige Gesichter. Elenora tippte ihm auf die Schulter. „Harry...wo?", fragte sie leise und im Versuch, ihre Tränen zu unterdrücken. „Beim Bootshaus." Elenora machte auf dem Absatz kehrt und lief schnellen Schrittes aus dem Gebäude. Immer schneller rannte sie auf die Anlegestelle der Boote zu, an dem die Erstklässler jedes Jahr ankamen. Sie stolperte die Treppen hinunter und riss die Tür des kleinen Häuschens auf, und da lag er: Severus Snape. Beim Anblick seines leblosen Körpers in all dem Blut konnte Elenora sich nicht mehr zurückhalten und fing an zu weinen. Sie fiel neben ihm auf den Boden und betrachtete durch einen Tränenschleier hindurch das Gesicht des Tränkemeisters. Manche Wunden bluteten immer noch, verzweifelt drückte sie mit ihren Händen darauf, als ob das irgendetwas bewirken würde. Eine weitere Weinattacke überkam sie, und sie legte ihren Kopf auf Severus Brust. Während sie ihre Tränen fließen ließ, wurde ihr so einiges klar, was sie in den letzten zwei Jahren nicht verstanden hatte. Warum er sich in seiner Zeit als Schulleiter nie hatte blicken lassen. Er hatte es vermutlich einfach nicht über sich gebracht, Minerva oder irgendeinem anderen Lehrer in die Augen zu blicken. Oder er hatte Angst, dass er sich verraten könnte. Trotzdem hatte er seine Schüler oft vor den Carrows beschützt, indem er die Beiden anderweitig beschäftigt hatte. Sie hatte es damals nur als einen kläglichen Versuch gesehen, seinen Namen beim Kollegium wieder reinzuwaschen. Sie schloss die Augen, um ihm im Stillen dafür zu danken. So lag sie noch eine Weile da, bis ihr plötzlich etwas auffiel: Ein langsames, gleichmäßiges Pochen. Verwirrt runzelte sie die Stirn, dann erstarrte sie. Das war kein Pochen, das war ein Klopfen. Ein Herzklopfen. Erstaunt sah sie Severus an und drücke dann noch einmal ganz fest ihr Ohr an seine Brust. Tatsächlich, sein Herz schlug! Zwar langsam und sehr schwach, aber es schlug! Adrenalin schoss in Elenoras Adern und sie ging hektisch alle Zaubersprüche im Kopf durch, die ihn transportfähig machen würden. Während sie einen Heilzauber nach dem anderen murmelte, um die noch offenen Wunden notdürftig zu verschließen, suchte sie mit den Augen nach etwas, das als Trage dienen könnte. Sie fand eine alte Holzplanke, breit genug, um Severus hoffentlich ohne viel Blutverlust in die große Halle transportieren zu können. Vorsichtig hievte sie ihn auf die Planke und sagte dann: „Vingardium Leviosa." Die Planke erhob sich in die Luft und Elenora dirigierte den Schwerverletzten so die Stufen hinauf zum zertrümmerten Vorhof des Schlosses. Ein paar Mal wäre sie selbst fast hingefallen, während sie Trümmerbrocken überwand, ohne die Konzentration von Severus zu nehmen. Als sie sich ihrem Ziel näherte, wichen die Leute zurück, als sie den ehemaligen Schulleiter erkannten. Minerva kam angeeilt und schlug die Hand vor den Mund, als sie die tiefen Wunden ihres Kollegen und Freundes sah. "Oh, Severus...", flüsterte sie traurig. „Er lebt! Mina, er lebt noch!", rief Elenora aufgeregt und wies die Leute an, Platz zu machen. „WAS? Bist du dir sicher?" Minerva sah ehrlich schockiert aus und rannte an ihrer Seite in Richtung des Krankenlagers. „Ja! Sein - MACHT PLATZ! - Sein Herz schlägt noch!", erwiderte Elenora und wedelte mit ihrer freien Hand Menschen aus dem Weg. Die Verwandlungslehrerin schrie fast, als sie die große Halle erreicht hatten. „POPPY! Poppy, komm schnell!" Die Heilerin kam sofort angerannt und machte große Augen, als sie sah, wer da auf der Trage lag. Während sie sich an die Arbeit machte, versammelten sich immer mehr Menschen um den Kriegshelden. Einige unendlich lange Minuten vergingen, während die Umherstehenden Poppy dabei zusahen, wie sie versuchte, den Blutfluss ihres Kollegen zu stoppen. Endlich kamen die erlösenden Worte von Madame Pomfrey: „Es war knapp, aber er ist stabil." Minerva umarmte ihre Freundin und Elenora atmete erleichtert auf. Severus war gerettet.

Das Schellen der Wanduhr riss Elenora aus ihrem Schlaf. Müde und etwas gerendert rieb sie sich die Augen, das war mittlerweile der dritte Flashback in dieser Woche. Seid sie von der Anhörung der Malfoys in zwei Tagen wusste, hatte sie einen unruhigen und albtraumreichen Schlaf. Zuletzt hatte sie das nach der öffentlich gehaltenen Verurteilung von Voldemorts schlimmsten Anhängern gehabt, der sie vor Ort beigewohnt hatte. Anscheinend löste alles, was irgendwie mit der Vergangenheit zu tun hatte, endlose Flashbacks und Albträume bei ihr aus. Sie machte sich fertig und schlurfte regelrecht in die große Halle, wo sie sich ohne ein Wort neben Severus niederfallen ließ. Sie brachte es gerade nicht über sich, mit ihm zu reden, aber ein Seitenblick auf ihren Kollegen verriet ihr, dass er mindestens genauso grauenvoll geschlafen hatte wie sie und wohl auch nicht zum Reden aufgelegt war. Dafür aber Minerva McGonagall, die mit einem fröhlichen „Guten Morgen!" an ihnen vorbeirauschte. Als weder Severus noch Elenora reagierten, kam sie zu ihnen zurück und sah sie besorgt an. „Du meine Güte, wie seht ihr denn aus?" Als wieder keine Reaktion erfolgte, fragte sie etwas leiser: „Ist es wegen der Anhörung?" Elenora nickte kurz, in der Hoffnung, ihre Tante damit zufrieden zu stellen. Diese jedoch verschränkte die Arme. „Vielleicht war es doch keine so gute Idee, euch dahin zu schicken..." „Minerva. Du hast weder mich noch deine Nichte zu irgendetwas gezwungen. Es war unsere Entscheidung.", kam es da von Severus und Elenora nickte zustimmend. Endlich gab sich Minerva mit der Antwort zufrieden und verließ die beiden mit einem letzten sorgenvollen Blick. Elenora, die ohnehin keinen Hunger verspürte, stand auf und verschwand durch eine Seitentür in der Wand hinter dem Lehrertisch. Der Gang war eigentlich nur für Notfälle gedacht und deshalb ziemlich eingestaubt, was Elenora aber liebend gern in Kauf nahm, wenn ihr dafür weitere sorgenvolle Blicke und Kommentare erspart blieben. Über diesen Umweg gelangte sie wenig später beim Lehrezimmer an, wo sie ihre Sachen zusammensuchte und sich auf zu ihrem Klassenzimmer machte. In zwei Tagen ist alles vorüber, dachte sie bei sich und betrat den geräumigen Raum. Schweigend verteilte sie die korrigierten Aufsätze ihrer Sechstklässler auf deren Bänke und begann, eine Tafelanschrift für die erste Stunde des Tages zu verfassen. Während sie die allgemeinen Eigenschaften eines Drachen notierte, kam ihr immer wieder Draco Malfoys Gesicht in den Sinn. Sie hoffte sehr, dass sie ihn vor dem schrecklichen Schicksal in Askaban bewahren konnte, und sie war sich sicher, dass Severus das gleiche für Lucius hoffte. Narzissa war ja sowieso schon so gut wie gerettet, da Harry Potter für sie aussagen würde. Schülergeschnatter ihrer eintretenden sechsten Klasse zwang sie dazu, sich wieder auf ihre Aufgabe zu konzentrieren. Für Grübeleien über Draco und seine Familie hatte sie im Warteraum des Anhörungssaales noch genug Zeit. 

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