14. Herzenssache

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14. Herzenssache

Ein sanfter Abendwind fegte über den Vorhof des Schlosses und Elenora fröstelte leicht. „Ist dir kalt?", fragte Charlie und sah sie fragend an. „Nein, es geht schon. Ich habe nur nicht die optimale Kleiderwahl für einen kühlen Herbstabend getroffen", erwiderte Elenora grinsend und betrachtete die Abendröte. Als sie vorhin zum Luftholen in den Vorhof getreten war, hatte sie Charlie, Bill und Fleur getroffen, die sich abseits vom Trubel unterhielten und sie auch zu sich an den Tisch eingeladen hatten. Froh über diese Abwechslung hatte Elenora das Angebot angenommen und jetzt stand sie schon eine ganze Weile bei den Weasleys und tauschte alte Geschichten über ihre Schulzeit aus. Der Alkohol lockerte allen vier die Zunge und schon bald war das erneute Zusammentreffen mit Damien in den Hintergrund geraten. Bill und Fleur erzählten von ihrem neuen Zuhause in der ländlichen Umgebung von London, und Charlie gab ein paar lustige Geschichten von seiner Arbeit zum Besten. Alle vier lachten viel und Elenora fühlte, wie ihr ganz warm ums Herz wurde. Charlie gab ihr wieder das Gefühl, dass sie seit Beatrices Tod so schmerzlich vermisste: Zugehörigkeit. Zwar verstand sie sich gut mit den meisten Lehrern in Hogwarts, aber niemand hier war in ihrem Alter und war meistens sowieso schon in eine feste Freundesgruppe eingebunden. Wieder mit Gleichaltrigen reden zu können tat der jungen Hexe gut. Sie nahm sich fest vor, den vier in Zukunft mehr Briefe zu schreiben und den Kontakt nicht wieder zu verlieren. Sonst würde es vermutlich irgendwann so enden wie mit Damien. Sie seufzte entspannt und beobachtete, wie die Sonne sich dem Horizont zuneigte. Das Fest würde vermutlich bald ein Ende finden, und dann würde wieder einigermaßen Ruhe in die Schlossmauern einkehren. In diesem Moment schaute Aurora Sinistra aus dem Seiteneingang des Schlossgebäudes und winkte Elenora zu sich. „Es ist Zeit! Die Feier wird gleich offiziell beendet!", rief sie und verschwand wieder im Inneren. Elenora stellte ihr Glas ab und blickte etwas wehleidig in die Runde. „Ich muss gehen. Aber vielen Dank, dass ihr heute hier wart, es hat eine Menge Spaß gemacht!" Fleur nickte. „Das hat es! Du musst uns unbedingt einmal besuchen kommen, wenn du es einrichten kannst!", sagte sie in ihrem leicht französischen Akzent und lächelte ihr Gegenüber an. „Sehr gerne! Auf Wiedersehen!" Elenora umarmte Charlie noch einmal, dann schritt sie quer über den Hof zur Schule zurück. In der Großen Halle beendete Minerva gerade ihre Dankesrede und wünschte allen Gästen eine gute Heimkehr, wonach sich der Pulk langsam in Richtung des Ausgangs begab. Nachdem sich die Große Halle endgültig geleert hatte, begann Elenora zusammen mit ein paar Hauselfen die Aufräumarbeiten anzugehen. Stillschweigend führte die junge Professorin ein paar Sauberkeitszauber durch und ließ am Ende die vier großen Tische wieder auf ihre alten Plätze zurückschweben. Sobald das geschafft war, setzte sie ihre Arbeit im Innenhof fort. Als Elenora am Denkmal vorbeilief, fiel ihr auf, dass dort jetzt ein paar Kerzen und Blumen lagen. Ein paar Gäste hatten wohl die Gelegenheit genutzt, ihren Tribut an die gefallenen Helden der letzten Schlacht zu zahlen. Langsam schritt sie auf die Steintafel zu und betrachtete die Rosen und weißen Lilien, an die auch einige Spruchbänder gebunden waren: „Ruhe in Frieden, Tonks" „Wir vermissen dich, Lavender" „R.I.P Sarah M.". Elenoras Blick fiel auf einen weiteren Blumenkranz, um den ein weißes Band gewickelt war: „Für immer in unseren Herzen. Ruhe in Frieden, Remus." Das Herz der jungen Frau wurde schwer bei dem Gedanken an den ehemaligen Lehrer und Freund. Remus Lupin wurde von dem Todesser Antonin Dolohow ermordet, seine Frau von Bellatrix Lestrange. Die beiden hatten alles für die Rebellion gegeben, vor allem Lupin. Auch wenn er ein Werwolf gewesen war, hatte sie ihn sehr ins Herz geschlossen und war über seinen Tod äußerst erschüttert. Sie fuhr mit dem Zeigefinger über seinen Namen auf der Tafel und schloss für einen Moment die Augen. Vor ihrem inneren Auge zogen Erinnerungen vorbei an gemeinsames Biertrinken mit dem Orden oder die kleinen Fältchen um seine Augen, wenn er lachte. Wie er ihr einmal einen besonders wirksamen Abwehrzauber gezeigt hatte oder als er sie vor den Todessern im Vorhof gerettet hatte, während sie Beas Tod betrauerte. Elenora öffnete ihre Augen wieder und stand noch ein paar Augenblicke andächtig da, dann zündete ein paar erloschene Kerzen wieder an und machte sich auf den Weg zu ihrem Schlafgemach.

Am nächsten Morgen verlief das Frühstück ungewöhnlich ruhig. Ein paar der Lehrkräfte sahen ziemlich verkatert oder müde aus und auch die Schüler waren nicht in bester Verfassung. Die Feier hatte zwar Spaß gemacht, hatte aber an den Kräften von allen Schlossbewohnern gezehrt und so fühlte sich heute Morgen niemand wirklich in der Lage, dem üblichen Klatsch und Tratsch nachzugehen. Minerva sah am schlimmsten von allen aus; sie stocherte unbeteiligt in ihrem Müsli herum und wischte sich ab und zu über die müden Augen. Nur Severus war ungewöhnlich munter, was Elenora einen schelmischen Kommentar entlockte: „Du siehst ja richtig munter aus, Snape." „Ich bin einfach froh, dass dieses Fest und der ganze Trubel vorbei sind", kam es schnippisch zurück. Elenora verdrehte die Augen und raffte sich dann auf, um sich auf ihren Unterricht vorzubereiten. Wie sie aber später merkte, war heute niemand wirklich bei der Sache; die meisten Schüler hatten Mühe die Augen offenzuhalten und auch sie driftete ständig ab. Weshalb sie sehr froh war, als es zum Mittagessen läutete und ihre vierte Klasse aus dem Raum schlurfte. Da sie allerdings keinen wirklichen Hunger verspürte, beschloss sie, sich für eine Weile nach draußen zu setzten und etwas zu lesen. Mit einem Buch in der Hand begab sie sich also zum Großen See und setzte sich dort an das Ufer. Die Gryffindor schlug das Buch auf und lenkte ihre Konzentration auf die gedruckten Zeilen. Nach einer Weile merkte sie aber, dass ihre Gedanken ganz wo anders waren: Nämlich bei dem gestrigen Fest und seinen Vorkommnissen, speziell bei einem jungen Mann und dessen Angebot. Elenora schlug das Buch zu und lehnte sich an den Stein hinter ihr. Zwar hatte sie gestern schon beschlossen, Damiens Einladung auszuschlagen, aber sie konnte nicht anders, als wieder darüber nachzudenken. Was wäre, wenn er sich wirklich geändert hatte? Zum besseren? Vielleicht sollte sie dieses Treffen doch akzeptieren? Sie schüttelte den Kopf über diese Gedanken. Nein, sie hatte vor vielen Jahren erkannt, was für ein Mensch ihr Ex-Freund wirklich war, und sie wollte nicht schon wieder verletzt werden. In ihrem letzten Schuljahr hatte sie Damien mit einer anderen Slytherin-Schülerin gesehen, und als sie dem auf den Grund gegangen war, stellte sich heraus, dass er sich schon seit zwei Wochen heimlich mit ihr traf. Er hatte zwar alles versucht, diesen „Fehltritt", wie er es nannte, wiedergutzumachen, aber Elenora war auf nichts angesprungen. Damiens Betrug hatte sie tief getroffen, sodass sie die ersten Wochen gar nicht mehr mit ihm sprach. Erst nach einiger Zeit konnten sie sich wieder annähern und zum Ende des Jahres hin war die Beziehung zwischen ihnen sogar fast wieder neutral. Aber eben nur fast. Die Gryffindor konnte den Schmerz dieses Beziehungsendes einfach nicht vergessen, und sie hatte ihre Lektion gelernt. Seitdem hatte sie jegliche romantische Beziehung verweigert, und damit war sie eigentlich ganz zufrieden. Es gab im Leben sowieso Wichtigeres als einen Partner zu finden und außerdem war sie überzeugt, dass Damien sich kaum geändert haben konnte. Aber was, wenn doch? Nachdenklich starrte Elenora auf die Weiten des Sees hinaus und fühlte sich hin und her gerissen. Sie wollte dem Slytherin ja wirklich glauben, dass er sich gebessert hatte, aber sie hatte auch Angst vor einer erneuten Enttäuschung. Es gibt nur einen Weg, das herauszufinden, überzeugte sie sich schließlich selbst und fasste den endgültigen Entschluss: Sie würde Damien noch eine letzte Chance geben. Ihr Herz hatte bei dieser Entscheidung einfach die Oberhand gewonnen. Rasch stand Elenora auf und lief schnellen Schrittes zurück zum Schloss. Jetzt hatte sie auf einmal doch Appetit bekommen. 

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