Ein warmer Wind wehte Elenora durch die Haare, die gerade durch den Innenhof nahe der Gewächshäuser von Hogwarts spazierte. Entspannt sah die junge Frau zu, wie sich ein paar lachende Erstklässler gegenseitig durch den Hof jagten und eine Gruppe Slytherins zusammen über einem Haufen Pergamentrollen brütete. Elenora schloss die Augen, atmete die Frühlingsluft tief ein und lauschte einen Moment lang nur den Geräuschen um sich herum. Die Wasserfontänen des großen Springbrunnens übertönten das sich entfernende Kinderlachen, Wind pfiff leise durch die zum Hof offenen Gänge und in der Luft lag eine bunte Mischung aus gedämpften Stimmen und Vogelgezwitscher. Elenora konnte sich kein besseres Zuhause auf dieser Welt vorstellen als Hogwarts. Dieser Ort war so voller Erinnerungen an ihre Kindheit, und es kam ihr vor als würde sie diese Mauern besser kennen als das Haus ihrer Großmutter. Sie ließ ihren Blick über die hohen Steinmauern und glänzenden Gläser wandern, und auf einmal überkam sie eine seltsame Wehmüdigkeit. Zum ersten Mal seit langem dachte sie wieder an Beatrice, und wenn sie sich fest konzentrierte, konnte sie immer noch die Stimme ihrer Freundin hören, die sie zum Wettfliegen um die Quidditch-Tore herausforderte. Der altbekannte Anflug von Trauer überkam die junge Frau wieder einmal und sie seufzte schwer. Natürlich hatte sie jetzt neue Freunde wie beispielsweise Aria, aber die Lücke, die Beatrice hinterlassen hatte, konnte wohl niemand wieder schließen. Die Gryffindor setze sich auf eine der steinernen Bänke und blickte gedankenverloren ins Leere, bis sie eine bekannte Stimme neben sich vernahm. „Alles in Ordnung, Professor?" Schnell drehte Elenora den Kopf und setzte sich aufrechter hin, als sie Aaron ó Racghnail erblickte. „Hm? Oh, es ist nichts." „Sicher? Sie sahen gerade ziemlich traurig aus." „Ich...möchte nicht darüber reden." „In Ordnung, ich werde Sie zu nichts zwingen." Der rothaarige Professor musterte sie kurz nachdenklich, dann fragte er: „Wie wäre es, wenn Sie mich ins Gewächshaus begleiten? Ich muss mich dort um ein paar Pflanzen kümmern und würde mich über etwas Hilfe freuen." Elenora sah unsicher zu ihrem Kollegen auf, dann erwiderte sie: „Wissen Sie, ich habe eigentlich kein Händchen für Pflanzen..." „Das macht nichts, ich zeige Ihnen genau, was Sie machen müssen. Außerdem sind Pflanzen eine gute Ablenkung.", meinte der Hufflepuff nur und lächelte. Elenora überlegte noch einen kurzen Augenblick, dann ließ sie sich etwas widerwillig von ihrem Kollegen zu den Gewächshäusern führen. Aaron öffnete die Tür zu einem der gläsernen Häuser und sofort schlug Elenora eine geballte Ladung warmer Luft entgegen. Der Professor für Pflege magischer Geschöpfe schien sich hier drin bereits bestens auszukennen und entnahm einer herumstehenden Kiste zwei Paar lederner Handschuhe. „Professor Sprout hat mich gebeten, ein paar Pflanzen zu pflegen, die in ihrer heutigen Unterrichtsstunde wohl etwas zu kurz gekommen sind.", erklärte er und lächelte leicht. Elenora sah sich vorsichtig um und fühlte sich auf einmal ziemlich unsicher. In ihrer Schulzeit hätte sie lieber einen Schwarm Kobolde bekämpft als sich freiwillig in ein Gewächshaus zu stellen, und wie es aussah hatte sich das immer noch nicht geändert. Aaron bemerkte ihre Unsicherheit und gab ihr ein Handzeichen, ihm zu folgen. „Keine Sorge, wir müssen nur ein paar zitternde Ginsterbüsche kürzen. Um die fangzähnigen Geranien kümmere ich mich später." Während Elenora Aaron zu den hinteren Pflanzenbänken folgte, versuchte sie vergeblich, sich an tief vergrabenes Schulwissen über die besagten Ginsterbüsche zu erinnern. Der junge Mann blieb vor einer hölzernen Kiste stehen, die mit einem Zettel versehen war, auf dem „Schneiden + Gießen" zu entziffern war. Aaron hob die Kiste mit einem Ruck auf die schmale Werkbank vor ihm und entnahm ihr zwei Töpfe. Die beiden buschartigen Pflanzen zuckten unruhig, und ihre Zweige schlängelten sich in einer Tour hin und her. Aaron reichte seiner Kollegin eine Buschschere und deutete auf eine der Pflanzen. „Alles, was wir tun müssen, ist, die verwachsenen Zweige abzuschneiden. Am Anfang kommt einem das vielleicht etwas schwierig vor, aber vertrauen Sie mir, nach vier bis fünf Ästen haben Sie den Bogen raus. Am besten Sie packen den Busch so am Stumpf", der Heiler umklammerte mit einer Hand die Pflanze, „dann haben Sie es mit der anderen Hand etwas leichter." Nervös packte Elenora die Pflanze am Stumpf, genau wie Aaron es ihr gezeigt hatte, und versuchte dann, mit der Gartenschere einen der abgestorbenen Zweige zu erwischen. Es war in der Tat keine einfache Aufgabe, und als Elenora ihren Kollegen beobachtete, wie er mit Leichtigkeit seine Pflanze stutze, fühlte sie sich auf einmal wie ein unbeholfener Erstklässler. Du bist eine McGonagall, du gibst nicht so schnell auf, machte sie sich selbst Mut und lenkte ihre ganze Konzentration auf die unruhige Pflanze. Und tatsächlich, nach ein paar Schnittversuchen hatte sie die Bewegungsmuster des Busches durchschaut und konnte an Tempo zulegen. Schweigend arbeiteten sich die beiden Professoren durch die gesamte Kiste der zitternden Ginsterbüsche, bis Aaron den einzigen abstehenden Ast der letzten Pflanze entfernte und den Topf zurück auf die Werkbank stellte. „Na also, das haben Sie doch hervorragend gemacht!" „Es war tatsächlich so wie Sie gesagt haben, man muss nur den Bewegungsablauf herausgekommen, dann ist es eigentlich gar nicht so schwer... auch wenn es bei Ihnen viel einfacher ausgesehen hat. So schnell und sauber." Aaron lachte leise. „Nun ja, nach einem Studium der Kräuterkunde sind solche Qualifikationen schon hilfreich. Ich wette, Sie dagegen könnten auf einen Schlag einen ganzen Haufen Dementoren vertreiben, Elenora." „Nun, ein oder zwei auf jeden Fall", lächelte jetzt auch Elenora und sah den Professor aufmerksam an. „Wir müssen die Büsche noch gießen, richtig?" „Richtig. Aber ich mache das lieber auf Muggel-Art, als mit Zauberei, deshalb..." Der Rothaarige hielt der Gryffindor eine kleine Gießkanne hin, die sie mit einem gemurmelten „Aguamenti" auffüllte. Während Elenora den ersten Topf wieder in die Hand nahm und vorsichtig Wasser hineinlaufen ließ, hörte sie Aaron neben sich fragen: „Ich hoffe, die Ablenkung hat funktioniert." „Das hat sie, in der Tat.", murmelte Elenora, ohne den Blick von ihrer Pflanze zu wenden. Sie schaffte es nicht, den Hufflepuff anzusehen, konnte jedoch seine Seitenblicke spüren. „Wissen Sie, jedes Mal, wenn ich niedergeschlagen bin oder einfach meine Ruhe haben möchte, gehe ich in meinen Garten." „Tatsächlich?" „Ja, es ist für mich ein Ort, an dem ich mit meinen Gedanken und Gefühlen alleine sein kann. Pflanzen fällen keine Urteile über uns und orientieren sich auch nicht an der Stimmung von Menschen. Sie blühen und gedeihen, wenn man sie pflegt, auch in schlechten Zeiten." Schweigsam starrte Elenora auf die sich bewegenden Zweige ihres Busches, bis sie den Topf absetze und nach einem Neuen griff. „Ich...gehe gerne spazieren. Man fühlt sich frei, und manchmal kommt es mir so vor, als ob der Wind all meine Probleme davontragen könnte." „Ein schöner Gedanke." Aaron räusperte sich und stellte für einen Moment seine Gießkanne ab. „Sie können sich gerne aussprechen, wenn Sie das brauchen. Was im Gewächshaus passiert, kann auch im Gewächshaus bleiben. Natürlich ist das nur ein Angebot..., wenn Sie es lieber für sich behalten wollen, kann ich das verstehen." Jetzt sah Elenora doch auf und starrte den Hufflepuff für einige Herzschläge lang unsicher an. Sie war sich nicht sicher, ob sie dem neuen Professor schon vertrauen konnte. Andererseits war er so offen und herzlich zu ihr gewesen...konnte sie es wirklich wagen, ihre Gefühle offenzulegen? „Ich vermisse meine Freundin", sprudelte es plötzlich aus ihr heraus, und sofort zuckte sie verschreckt zusammen. Aaron sagte nichts und sah sie nur ruhig an, bis Elenora ihre innere Hürde überwand und anfing, von Beatrice zu erzählen. Von ihrer gemeinsamen Schulzeit, ihrer fast schwesternhaften Beziehung und von ihrem Tod während der Schlacht von Hogwarts. Elenora war überrascht, wie ruhig und sicher sie mittlerweile darüber reden konnte, ohne auch nur eine einzige Träne zu vergießen. „...Nach ihrer Beerdigung habe ich Beas Familie nur noch ein einziges Mal gesehen, und seitdem war ich auch nur noch einmal an ihrem Grab. Es fällt mir immer noch schwer zu akzeptierten, dass sie für immer fort ist.", beendete Elenora ihre Erklärung und atmete tief aus. Aaron hatte während der gesamten Erzählung kein Wort gesagt und sie nur aufmerksam angesehen, und auch jetzt schien er sich seine nächsten Worte wohl zu überlegen. „Ich bin sicher, dass Sie das schon tausendmal gehört haben und vermutlich sind das nicht einmal die richtigen Worte nach einem so schweren Verlust, aber es tut mir aufrichtig leid. Ihren Erzählungen zufolge war sie eine großartige Person.", sagte er dann langsam und sah die junge Frau aus seinen grünen Augen verständnisvoll an. Elenora nickte zustimmend: „Ja, das war sie. Sie ist als Heldin gestorben, wie so viele andere auch. Vermutlich haben Sie schon davon gehört, aber meine Eltern sind ebenfalls Opfer von Todesser-Angriffen geworden. Das ist der Grund, warum ich seit meiner Kindheit bei meiner Tante lebe." Elenora hob die nächste Pflanze hoch, um sie zu bewässern. Aaron wurde etwas weiß um die Nase und legte geschockt den Kopf etwas schief. „Oh...Ich...Nein, davon wusste ich nichts. Das ist ja furchtbar." Elenora zuckte mit den Schultern. „Ich hatte zu keinem meiner Elternteile eine besonders enge Bindung, da das schon früh in meiner Kindheit passiert ist. Minerva - ich meinte, Professor McGonagall - war für mich seitdem meine Ersatzmutter. Ich erinnere mich fast nicht an die Zeit bei meinen Eltern." Die junge Frau wusste nicht, warum sie ihrem Kollegen das alles erzählte, aber im Moment fühlte es sich einfach richtig an. Aaron hatte so etwas Vertrauenserregendes an sich, dass es ihr nicht schwerfiel, ihre Vergangenheit mit ihm zu teilen. Vermutlich würde sie es später aber trotzdem bereuen. Der Professor schaute bedrückt zu Boden. „Ich kann mir nicht vorstellen, wie schwer es für Sie gewesen sein muss." „Man...gewöhnt sich daran", erwiderte Elenora mit einem traurigen Lächeln. Um von dem tristen Thema abzulenken, fragte sie den rothaarigen Mann: „Was ist mit Ihrer Familie? Haben Sie Geschwister?" Aaron strich sich über die Haare, bevor er antwortete: „Ja, einen jüngeren Halbbruder, Raphael. Meine Familie kommt ursprünglich aus Irland, aber meine Mutter und ich sind nach meinem vierzehnten Geburtstag nach England gezogen." „Oh, wir haben also einen echten Iren im Kollegium! Dann repräsentieren wir ja endlich ganz Großbritannien!", witzelte Elenora und Aaron musste grinsen. „Ja, meine Familie besteht zu neunzig Prozent aus reinblütigen Iren. Allerdings...bin ich nicht besonders stolz auf meinen Stammbaum.", gab Aaron zu kratze sich am Hinterkopf. „Oh, wieso das?" Aarons Gesichtszüge wurden etwas härter und er wandte sich hochkonzentriert seinem letzten Ginsterbusch zu. „Die Familie meines Vaters besteht, wie so viele reinblütige Adelsfamilien Irlands, aus arroganten Dickköpfen, und leider ist mein Vater keine Ausnahme. Die Ehe mit meiner Mutter war natürlich arrangiert, und sie hat ihn immer gehasst. Allerdings musste sie warten, bis beide meine Großväter gestorben waren, damit sie sich endlich scheiden lassen konnte. Sonst hätte es für sie das Aus bedeutet." Elenora verfluchte sich dafür, nachgebohrt zu haben, denn offensichtlich war das ein wunder Punkt für den irischen Professor. Aaron schien ganz in Gedanken verloren zu sein und fuhr fort: „Nach unserem Umzug hat meine Mutter einen neuen Lebensgefährten gefunden und mein Halbbruder kam kurz danach zur Welt, allerdings versucht mein Vater immer noch andauernd, mich zurück nach Irland zu bekommen, was bis jetzt zum Glück gescheitert ist." Einige Sekunden lang starrte der junge Mann noch seine Pflanze an, dann schüttelte er kurz den Kopf und setzte wieder ein Lächeln auf. „Aber ich möchte Sie damit nicht weiter behelligen. Vielen Dank, dass Sie mir bei der Arbeit geholfen haben; ich hoffe, es hat Ihnen auch ein klein wenig Spaß gemacht.", sagte er und zog seine Handschuhe aus. Elenora nickte mit dem Kopf. „Ja, das hat es! Und Aaron..." Der Professor hob den Kopf. „Danke, dass Sie mir zugehört haben." „Selbstverständlich. Meine Gewächshaustüren stehen immer für Sie offen, Elenora!", antwortete der Hufflepuff und hielt ihr die gläserne Tür auf. Verlegen neigte die junge Gryffindor den Kopf und schritt voran zurück zum Hauptgebäude. „Oh, wie es aussieht kommen wir gerade rechtzeitig zum Abendessen", kommentierte Elenora mit einem Blick auf die große Turmuhr, worauf Aaron mit einem „Sehr gut, ich verhungere!" antwortete. So liefen die beiden Kollegen zusammen in Richtung der Großen Halle und unterhielten sich auf dem Weg nur über belanglose Dinge, so als hätte das Gewächshaus-Gespräch nie stattgefunden.
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A Hogwarts Love Story
Fanfiction(ABGESCHLOSSEN) Nach dem Sieg über Voldemort wird Hogwarts wiederaufgebaut und eine neue Ära beginnt, doch was wird sie bringen? Dies ist eine Geschichte aus der Sicht der jungen Lehrerin Elenora, eine Geschichte über familiäre, freundschaftliche un...