16. Feen-Eier
Die nächsten Tage verstrichen ereignislos, und mittlerweile war der Herbst deutlich zu spüren. Elenora, die mit ihrer fünften Klasse am Großen See stand, fröstelte leicht und zog ihren Mantel noch enger um sich. Das Thema der heutigen Stunde waren die doppelschwänzigen Wassermolche, von denen der Große See auch ein paar Exemplare beherbergte. Ihre Schüler sahen sie erwartungsvoll an, während sie begann zu erklären: „Wie wir bereits gelernt haben, ist der doppelschwänzige Wassermolch in der Hinsicht besonders, weil er – wie der Name schon sagt – zwei Schwänze besitzt. Das unterscheidet ihn von den anderen Arten in der Gattung der Wassermolche, in die er gruppiert ist. Allerdings hat der doppelschwänzige Wassermolch noch eine andere besondere Eigenschaft – kann sie mir jemand nennen?" Leises Gemurmel erklang in der Schülergruppe, bis schließlich ein paar Hände hochgingen. Elenora sah eine Ravenclaw-Schülerin an. „Ms. Palmer, bitte?" Das blonde Mädchen räusperte sich und sagte dann: „Er hat magische Fähigkeiten!" „Korrekt. Zwei Punkte für Ravenclaw." Das Mädchen grinste glücklich und Elenora fuhr mit ihrer Erklärung fort. „Seine Zauberkräfte machen den Wassermolch so interessant für uns. Ich werde jetzt versuchen, ein paar Molche mithilfe von Algen an die Wasseroberfläche zu locken, die mögen sie besonders gerne. Bitte, treten Sie ans Ufer und sehen Sie genau hin. Die hier lebenden Exemplare sind verhältnismäßig scheu." Die Professorin zog eine Handvoll Algen aus einem Beutel und ließ sie mithilfe ihres Zauberstabes knapp über der Wasseroberfläche schweben. Es dauerte nicht lange, da konnte man einen grünen Schatten im Wasser erkennen und auf einmal tauchte ein Wassermolchkopf aus den Wellen und schnappte nach den Algen. Durch die Schülermenge ging ein erstauntes Raunen, als der Molch erneut auftauchte, um die restlichen Algen zu erbeuten. Elenora wiederholte diesen Vorgang ein paar Mal, bis ihr Beutel leer war. „So, das wars für heute. Ich möchte bis zum Wochenende von jedem einen 400-Wörter-Aufsatz über den Wassermolch auf meinem Tisch liegen haben, Sie dürfen auch gerne die heutigen Beobachtungen miteinbeziehen. Die Stunde ist beendet." Murrend zogen ihre Schüler von dannen und machten sich an den Aufstieg zurück zum Schloss. Elenora folge ihnen und ging im Kopf schon die benötigten Materialen für ihre nächste Stunde durch. Jetzt war ihre vierte Klasse dran, bei der sie die Bowtruckles einführen wollte. Normalerweise waren die kleinen Waldwesen ziemlich harmlos, jedoch wollte sie nur für den Fall der Fälle ein paar „Bowtruckle-Leckereien" zur Hand haben, die die Zweiglinge ruhigstellen konnten. Zum Glück hatte sie jetzt etwas Freizeit und konnte in Ruhe alles vorbereiten. Zurück in ihrem Büro schritt Elenora hinüber zu einem Schrank, indem sie allerlei Nahrung und Leckerbissen für magische Geschöpfe aufbewahrte. Sie öffnete die dunklen Holztüren und zog eine Schachtel heraus, die mit der Aufschrift „Feen-Eier" versehen war. Das war die Lieblingsnahrung der Bowtruckles und sollten sie auf jeden Fall ruhigstellen, falls die kleinen Zweig-Wesen doch aggressiv werden sollten. Als sie den Deckel von der Schachtel nahm, musste Elenora jedoch enttäuscht feststellen, dass ihr Vorrat an Feen-Eiern gänzlich aufgebraucht war. Ratlos stemmte sie ihre Hände in die Seiten und dachte über eine Lösung nach. Sollte sie es riskieren, ganz ohne Vorbereitung in den Unterricht zu gehen? Nein, das war keine gute Idee, wie ein gewisser Gilderoy Lockhart vor Jahren einmal bewiesen hatte. Sie wollte die kleinen Wesen auch nicht verletzten oder sogar töten müssen, falls sie sich danebenbenahmen. Es blieb ihr also keine andere Wahl... sie würde wohl Severus nach etwas Nachschub fragen müssen. Als Tränkemeister hatte er sicherlich ein paar Eier vorrätig. Unwillig blieb Elenora an der Tür stehen, sie hatte zugegebenermaßen wenig Lust, mit dem Slytherin zu interagieren. Aber ihrer Schüler zuliebe musste sie da jetzt durch. Die junge Professorin trat aus ihrem Büro und begab sich zu den Kerkern, wo sie hoffte, Snape zu finden. Tatsächlich stieg ihr der süßliche Geruch eines Abschwelltranks in die Nase, als sie sich seinem Labor näherte. Unschlüssig blieb sie davor stehen und klopfte schließlich zaghaft an die dunkle Tür. Drinnen verstarb kurz jegliches Geräusch, dann näherten sich dumpfe Schritte der Tür und sie wurde geöffnet. Severus Snape erschien im Türrahmen und sah sie mit seinem typischen Snape-Pokerface an. „McGonagall?" „Äh... guten Abend, Severus. Ich – nun, ich habe ein kleines Problem und ich hatte gehofft, du könntest mir aushelfen..." „Was für ein Problem?" Eingeschüchtert von dem barschen Tonfall des Slytherin senkte Elenora ihren Blick auf den Boden und erklärte ihr Dilemma. „Feen-Eier.", wiederholte Snape und dachte kurz nach. „Ja, ich denke, ich habe noch welche in meinem Vorrat.", sagte er dann und schritt eilig den Gang entlang, sodass Elenora fast Mühe hatte, ihm zu folgen. Er will das hier wahrscheinlich genauso schnell rumhaben wie ich, stellte die junge Frau niedergeschlagen fest und wäre fast in den Tränkemeister hineingerannt, der abrupt vor einer kleinen Tür stehen blieb. „Einen Moment", murmelte Severus und verschwand im Inneren der Kammer, die bis zur Decke mit vollgestopften Regalen zugestellt war. Während er suchte, herrschte eine angespannte Stille zwischen den beiden, die Snape plötzlich durchbrach: „Es ist übrigens ein Brief für dich angekommen. Ich habe ihn von Polly in dein Büro bringen lassen." Elenora richtete sich auf. „Von Damien?" fragte sie gerade heraus, bei Snapes verständnislosem Gesichtsausdruck fügte sie hinzu: „...Durant?" Der Tränkemeister kniff jetzt die Augen zusammen und legte den Kopf etwas schief. „Doch nicht etwa der Herzensbrecher-Durant?" Sofort verschwand Elenoras Fröhlichkeit und wurde durch Verlegenheit ersetzt. „Ja...genau der. Wir sind wieder Freunde." Ein Schnauben entwich Snape und er stieg wieder von der Leiter. „Meinen Glückwunsch.", sagte er monoton und drückte ihr ein Glas mit ein paar schimmernden Eiern in die Hand. Elenora wiegte das Glas in ihrer Hand, dann sah sie zu Snape auf, dessen dunkle Augen sich tief in ihre Seele zu brennen schienen. „Danke, Severus. Ich werde sie dir natürlich ersetzten." „Nicht nötig.", erwiderte er und schloss die Tür zu seiner Vorratskammer. „Wenn du mich jetzt entschuldigen würdest, der Abschwelltrank wartet." „Natürlich." Mit wehendem Umhang machte sich Snape auf den Weg zurück in die Kerker und ließ Elenora stehen, die ihm noch kurz hinterher sah. Dann fiel ihr der Brief wieder ein und sie lief auf schnellstem Weg zurück zu ihrem Büro. Und tatsächlich, auf ihrem Schreibtisch lag ein abgestempelter Umschlag, den sie vorhin übersehen haben musste. Voller Vorfreude öffnete sie den Brief und begann zu lesen:
„Liebe Elenora,
zunächst einmal will ich mich entschuldigen, dass dieser Brief so spät kommt. Mein neuer Job nimmt mich ganz schön in die Mangel, anders kann man es nicht sagen. Was wohl trotzdem eine ziemlich lahme Ausrede ist, dir nicht früher zu schreiben, aber ich hoffe, du nimmst es mir nicht übel. Hoffentlich geht es dir gut und in Hogwarts läuft alles wie gewohnt. Auf der Feier hatte ich Gelegenheit, mich etwas umzuschauen, und ich muss sagen, das „neue" Hogwarts gefällt mir fast besser als das alte. Trotzdem hat meine Rückkehr dahin so einige Erinnerungen an unsere Schulzeit geweckt... weißt du noch, wie wir uns an Wochenenden immer nach draußen geschlichen haben, um mit den anderen die Sterne zu beobachten? Ich glaube, das ist meine Lieblingserinnerung an damals. Auf jeden Fall geht es mir trotz dem Arbeitsstress gut und ich gewöhne mich langsam an meine neue Residenz. Ich war schon so lange nicht mehr in London, dass ich fast vergessen habe, wie groß und laut diese Stadt ist... aber morgen bekomme ich zum Glück meinen ersten Außeneinsatz, der mich aufs Land rausführt. Das ist zwar streng geheim, aber ich bin mir sicher, dass diese Informationen bei dir sicher aufgehoben sind: Ich soll einen Mann beschatten, der verdächtigt wird, ein ehemaliger Todesser zu sein. Zuletzt wurde er in einer recht kleinen Stadt nahe der Küste gesehen, was die Beschattung etwas schwieriger machen wird, aber das bekomme ich schon irgendwie hin. Ziemlich aufregend für meinen ersten Auftrag, ich habe echt Glück mit den guten Beziehungen meines Onkels. Der Auftrag wird mich wohl mindestens bis zum Wochenende hin beschäftigen. Ich dachte mir, wenn ich wieder da bin, könnten wir uns noch einmal treffen? Das letzte Mal hat wirklich Spaß gemacht, und ich würde dich gerne wiedersehen. Sag mir Bescheid, ob du es einrichten kannst.
Damien
Elenora strich über die geschwungene Unterschrift auf dem rauen Papier und fühlte, wie ihr Herz schneller schlug, als sie die Worte „Ich würde dich gerne wiedersehen" erneut laß. Anscheinend würde diese Freundschaft diesmal wirklich halten, und dieser Gedanke machte die junge Frau sehr glücklich. Da der Brief wirklich später kam als gedacht, hatte sie befürchtet, Damien hätte es sich doch anders überlegt und der Kontakt würde erneut abbrechen. Mit einem Dauergrinsen auf dem Gesicht öffnete Elenora eine Schublade und legte den Brief zu den anderen, noch ungeöffneten Briefen von Damien aus den vergangenen Jahren. Vielleicht würde sie diese jetzt auch endlich mal lesen, wenn sie die Zeit dazu fand. Die junge Frau nahm sich vor, Damiens Brief nach dem Unterricht zu beantworten und dem erneuten Treffen zuzusagen. Ganz in Gedanken versunken wurde Elenora von dem Schulgong aufgeschreckt, der die nächste Stunde ankündigte. Schnell raffte sie die Pergamentrollen und die Feen-Eier zusammen und eilte dann zu ihrem Klassenzimmer, immer noch mit einem stillen Lächeln auf den Lippen.
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A Hogwarts Love Story
Fanfiction(ABGESCHLOSSEN) Nach dem Sieg über Voldemort wird Hogwarts wiederaufgebaut und eine neue Ära beginnt, doch was wird sie bringen? Dies ist eine Geschichte aus der Sicht der jungen Lehrerin Elenora, eine Geschichte über familiäre, freundschaftliche un...