18. Ausbruch

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18. Ausbruch

In der nächsten Woche trudelten regelmäßig Briefe von Damien ein und Elenora bemühte sich, alle möglichst schnell zu beantworten. Schon nach einiger Zeit fiel ihr auf, dass sie den Slytherin vermisste und sich immer häufiger wünschte, er würde endlich wieder von seinem aktuellen Einsatz zurückkehren. Da dieser allerdings etwas komplizierter war als der Letzte, beschäftige er Damien schon ganze vier Wochen. Mittlerweile war der erste Schnee gefallen und die Abende länger geworden, denn der Winter stand vor der Haustür. Vor allem hier, in den schottischen Highlands, fiel der Schnee verhältnismäßig früh und die Kälte war deutlich zu spüren, weshalb die Schlossbewohner das warme Gebäude nur noch selten ohne Wintermantel verließen. Was auch bedeutete, dass die Zeit des Freiluftunterrichts fürs Erste vorüber war. Elenora saß gerade an dem Pult ihres Klassenzimmers und schrieb an einem Antwortbrief für Damien. Sie tunkte ihre weiße Feder in ein kleines Tintenglas und las sich das schon Geschriebene noch einmal durch:

Lieber Damien,

ich hoffe, ihr konntet den Schwarzmagier schnappen, der euch so viele Probleme bereitet hat, damit du endlich zurück nach London kannst und wir uns wieder treffen können. Ich hätte nie gedacht, dass ich das jemals wieder zu dir sage, aber ich vermisse dich. Hier in Hogwarts ist letzte Woche der erste Schnee gefallen und die Kälte hat uns alle – wie jedes Jahr – früher erwischt als erwartet. Von Charlie habe ich gehört, dass es auch in Transsilvanien schon geschneit hat. Ich soll dir seine Grüße ausrichten. Er denkt wohl, du bist immer noch in Hogwarts und leistest mir Gesellschaft... du solltest ihn wohl langsam über deinen neuen Teilzeitjob aufklären. Wenn du zurückkommst, lade ich dich nach Hogsmeade ein. Ich war mit den Viertklässlern dieses Jahr schon einmal dort und es ist so wunderschön geschmückt wie jedes Jahr. Du wirst sehen, es hat sich nichts geändert seit unserer Jugend!

Elenora überlegte kurz, dann hob sie ihre Feder aus dem Tintenglas und setzte sie wieder auf dem Papier ab, um weiterzuschreiben:

Ich habe Fleur und Bill versprochen, sie in den Weihnachtsferien zu besuchen. Wenn du noch nichts vorhast und dir freinehmen kannst, könnte ich sie fragen, ob ich dich mitbringen darf! Charlie wird wahrscheinlich auch kommen, das wäre eine perfekte Gelegenheit, mal wieder etwas zusammen zu unternehmen, wie in alten Zeiten! In der Hoffnung, dass es dir gut geht, liebe Grüße,

Elenora

Die Feder kratzte über das Papier, als Elenora den Brief schwungvoll unterschrieb. Dann packte sie das Briefpapier in einen Umschlag und verschloss ihn. Die junge Frau schnappte sich ihren Mantel und steckte den Brief ein, dann machte sie sich auf den Weg zur Eulerei. Ihre eigene Eule war vor Jahren an Altersschwäche gestorben und eine Katze hatte Minerva abgelehnt. Ihre Tante konnte andere Katzen in ihrer Umgebung nicht leiden, weshalb sie Mrs. Norris auch nicht ausstehen konnte. Das war wohl so eine Animagus-Sache. Elenora grinste bei dem Gedanken daran, wie Minerva sich einmal fürchterlich aufgeregt hatte, weil sich eine der Gryffindor-Haustierkatzen in ihr Büro geschlichen hatte. Ihre Nichte hatte sich totgelacht und auch Severus hatte ein Lachen nicht zurückhalten können. Severus. Bei der Erinnerung an die alten Zeiten sank Elenoras Stimmung wieder und sie stieg schweigend die verschneiten Treppen zum Eulenturm hinauf. Sie vermisste das familiäre Verhältnis zwischen ihnen sehr und dachte oft an das Ereignis im Krankenflügel. Auch Monate später verstand sie nicht, warum der Slytherin sie so abgewehrt hatte, nachdem sie ihre Gefühle aussprach. Hatte er den nie etwas Ähnliches empfunden? Offensichtlich nicht, sonst wäre er jetzt nicht so abweisend, dachte sie verbittert und betrat die Eulerei. Ein paar der anwesenden Eulen drehten die Köpfe und sahen sie neugierig an. Die junge Frau trat zu einem kleinen Kauz hin und strich ihr mit dem Finger über den Kopf, woraufhin der kleine Vogel fröhlich schuhute. Als Elenora ihr den Brief in den Schnabel geklemmt hatte, erhob sich die Eule und flog aus dem Fenster des Turms hinaus in die Abendröte. Die Gryffindor sah ihr hinterher und beobachtete, wie sie immer kleiner wurde und schließlich als Punkt am Horizont verschwand. Jetzt wurde es sehr schnell dunkel, weshalb Elenora auf dem Rückweg dankbar für die Fackeln war, die die Außenmauer von Hogwarts beleuchteten. Innen stieß sie auf den Strom von Schülern, die zum Abendessen liefen und ließ sich von ihm mitziehen. Der Geruch von Brathähnchen und Nudelauflauf füllte die Luft und Elenoras Magen grummelte verräterisch. Am Lehrertisch unterhielten sich Severus und Minerva über ihren leeren Platz hinweg, verstummten jedoch abrupt, als sie sich näherte. Innerlich seufzend setzte sich die Gryffindor und lud sich eine Schopfkelle voll Nudeln auf ihren Teller. Während sie aß, ließ sie sich von Minerva in ein Gespräch über das letzte anstehende Quidditch-Spiel der Saison verwickeln, zudem sogar Severus hin und wieder einen Kommentar abgab. Die Atmosphäre zwischen den dreien wäre fast wieder normal, wären da nicht die unsichtbare Kluft zwischen Severus und Elenora und die Tatsache, dass die beiden Schulleiter hinter ihrem Rücken über sie redeten. Das machte Elenora auf einmal wütend und sie starrte ihren Teller an. Ihre beiden engsten Vertrauten distanzierten sich von ihr und es fühlte sich für Elenora beinahe an wie Verrat. Severus und Minerva ignorierten ihre Stille und redeten über sie hinweg immer noch über dieses belanglose Quidditch-Spiel, um die unangenehmen Themen zu umgehen. In Elenora kochte es, und irgendwann platzte ihr der Kragen. „SCHLUSS DAMIT!", rief sie etwas lauter als beabsichtigt, sodass sich einige Köpfe zu ihr umdrehten. Minerva und Severus waren sofort verstummt. Die junge Gryffindor sah beide nacheinander böse an. „Schluss damit! Ihr beiden redet hinter meinem Rücken über mich und weicht den unangenehmen Themen wie der peitschenden Weide aus! Habt ihr eine Ahnung, wie sich das anfühlt? Wie ICH mich fühle?" Die Wut in Elenora kochte immer weiter hoch und sie hatte Mühe, ihre Stimme bedeckt zu halten. „Ihr wollt es vielleicht nicht wahrhaben, aber ihr seid meine engsten Vertrauten hier. Auch du, Severus, aber das schien dich ja wenig zu beindrucken", fügte sie verbittert hinzu und merkte, wie ihr die Tränen kamen. Sie blinzelte schnell, sie wollte jetzt keine Schwäche zeigen, sonst würden die beiden sie nur als emotionales Kind abstempeln. Gefasst fuhr sie fort: „Mein ganzes Leben war ich ein Einzelkämpfer, bis Bea kam. Aber jetzt ist sie tot und ich steckte in einer wirklich komplizierten Phase, und was macht ihr? Tuschelt leise über irgendwas, bis ich dazukomme. Was ich jetzt brauche ist UNTERSTÜTZUNG, und keine Verräter! Aber es ist schon in Ordnung, ich bekomme das – wie immer – auch alleine hin!" Elenoras Stimme brach und sie sprang auf. Den Schmerz in ihrem Brustkorb ignorierend, rauschte sie aus der Großen Halle und aus dem Schloss hinaus auf das verschneite Gelände. Der Schnee fiel leise und hatte die weite Grasfläche des Schlossgeländes in ein kaltes Weiß getaucht. Elenora rannte blind den Hang hinunter zum Großen See, wo sie schließlich keuchend stehen blieb. Jetzt konnte sie die Tränen nicht mehr zurückhalten und fühlte, wie sie heiß über ihre kalten Wangen liefen. Ihr schneller Atem bildete kleine Dampfwölkchen in der Luft und die Kälte kroch der jungen Hexe unter die Haut, aber das war ihr in diesem Moment egal. Die erschrockenen Gesichter ihrer Kollegen und Schüler als sie aus der Halle rannte spielten sich in ihrem Kopf immer und immer wieder ab, und der verletzte Gesichtsausdruck ihrer Tante schien sich in ihre Seele zu brennen, genauso wie Severus schwarze Augen, deren Emotion sie nicht entnehmen konnte. Sie bereute ihren Ausbruch bereits, doch jetzt war es schon zu spät. Vermutlich hatte sie es sich nun endgültig mit Severus verscherzt, und auch ihre Tante würde ihr bestimmt nicht mehr wohlgesonnen begegnen, nachdem ihre Nichte sie eine Verräterin genannt hatte. Elenora überkam eine plötzliche Erkenntnis so kalt als hätte ihr jemand einen Eimer Eiswasser über dem Kopf ausgeschüttet: Jetzt war sie allein. Bea war tot, Minerva und Severus hassten sie, Charlie war weit weg in Rumänien und Damien... Damien war irgendwo an der englischen Küste und spionierte einem gefährlichen Schwarzmagier hinterher. Du wolltest eine Einzelkämpferin sein, nun, bitteschön, sagte eine verbitterte Stimme in ihrem Kopf woraufhin Elenora zu Boden sank und sich an einen kalten Felsen lehnte. Ihre Tränen flossen immer schneller und bald war Elenoras Sicht völlig verschwommen. Ihr ganzer Körper fühlte sich taub an von der Kälte und dem Schmerz und sie atmete zitternd aus. Sie wusste nicht, wie lange sie dort saß und einfach nur in die Leere starrte, ihrem eigenen Wimmern und den leisen Wellen des Sees lauschend. Plötzlich wehte der Wind eine etwas größere Welle ans Ufer, die an den Felsen zersprang und Elenora nass spritzte. Die eiskalten Wassertropfen fühlten sich fast an wie kleine Nadeln, die in ihre Haut eindrangen und die junge Frau keuchte erschrocken auf. Plötzlich realisierte sie, wie eiskalt ihr war und dass ihre Finger und Zehen schon ganz taub waren. Taumelnd erhob sie sich und schlang die Hände fest um den dünnen Stoff ihrer Lehrerrobe. Zitternd tastete sie nach ihrem Zauberstab, doch sie musste feststellen, dass dieser wohl noch auf dem Pult ihres Klassenzimmers lag. Betäubt von dem kalten Wind kniff Elenora die Augen zusammen und konzentrierte sich auf die hellen Fackeln der Schlossmauer in der Ferne, dann lief sie langsam los. Der Boden war an manchen Stellen schon gefroren, sodass die Gryffindor mehrmals fast hingefallen wäre. Als sie am Hang angekommen war, schüttelte sie einmal ihre tauben Glieder und machte sich dann an den Aufstieg. Das Schloss kam ihr so unendlich weit weg vor und Elenora musste ihre gesamte Konzentration darauf verwenden, nicht auf ein vereistes Stück Boden zu treten. Warum war sie überhaupt nach draußen gerannt, wo sie doch ganz genau wusste wie kalt schottische Winternächte waren? In der Dunkelheit fiel es ihr immer schwerer das Eis auszumachen, sodass sie einen glatten Stein übersah und ausrutschte. Sie fiel zu Boden und landete auf ihrem Brustkorb, und sogleich fuhr ihr ein stechender Schmerz durch die Glieder. Wieder kamen ihr die Tränen, doch sie zwang sich aufzustehen und die letzten Meter zum Schloss zurückzulegen. Als sie die sicheren Schlossmauern erreichte, stieß sie die Seitentür auf und stolperte in den Gang. Keuchend bleib sie stehen und hielt sich die schmerzende Seite. Elenora betete, dass ihrer fast verheilten Rippe nichts passiert war, denn es tat höllisch weh. In der Hoffnung, dass sie weder ein Lehrer noch ein Schüler so sah, schlich sie sich zu ihren Gemächern und wankte in ihr Schlafzimmer. Dort ließ sie sich in ihre Kissen sinken und biss die Zähne zusammen, um den Schmerz auszublenden. Nachdem sich ihr Atem wieder beruhigt hatte, schnippte die Professorin mit den Fingern und ließ ihre Flasche Feuerwhiskey aus dem Glasschrank zu ihr fliegen. In solchen Momenten war sie wirklich froh, etwas zauberstablose Magie zu beherrschen. Sie riss den Stöpsel von der Flasche und nahm einen tiefen Schluck von dem roten Gebräu, das ihr dermaßen im Rachen brannte, dass sie ihre Schmerzen für einen Moment vergaß. Ich entwickle mich noch zum Alkoholiker, dachte die junge Frau trocken und zog vorsichtig ihr Oberteil aus. Dann stand sie auf und machte ein paar Schritte auf ihren Wandspiegel zu. Bei ihrem Anblick nahm sie erschrocken eine Hand vor den Mund: Ihre Rippen waren blaugrün verfärbt und bei jeder Berührung zuckte Elenora voller Schmerz zusammen. Oh nein. Sie begutachtete sich noch eine Weile im Spiegel, unschlüssig über ihr weiteres Vorgehen. Einerseits hatte sie Poppy versprochen, sofort zu ihr zu gehen, sollte etwas passieren, andererseits war es mitten in der Nacht und sie hatte wenig Lust zu erklären, wie es zu dem Sturz gekommen war. Wenn es morgen früh noch immer so schlimm aussieht, gehe ich gleich zu Poppy, versprach sie sich selbst und zog ihr Nachthemd an. Das Gesicht zu einer schmerzlichen Grimasse verzogen, legte sie sich zurück in ihr Bett und versuchte sich von ihrer pochenden Seite abzulenken. Müde und erschöpft von den Ereignissen des Tages schloss sie irgendwann endlich die Augen und wurde vom Schlaf übermannt. 


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Ach ja, wurde auch mal wieder Zeit für ein emotionaleres Kapitel... bei dem unsere liebe Protagonistin natürlich auch wieder auf die Nase fällt, wie sollte es denn auch anders sein XD

Danke für die Abstimmungen und Kommentare! <3

A Hogwarts Love StoryWo Geschichten leben. Entdecke jetzt