39. Ein perfekter Weihnachtsmorgen

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Am Weihnachtsmorgen erwachte Elenora frisch ausgeschlafen im weichen Himmelbett, das in einem der vielen Räume des Herrenhauses stand. Tatsächlich hatte dieses Haus so viele Zimmer, dass jedes McGonagall-Familienmitglied eines für sich alleine haben könnte und trotzdem noch ein paar freistünden. Elenora gähnte einmal kurz, um den letzten Rest Müdigkeit zu vertreiben, dann setzte sie sich auf. Gestern war es ziemlich spät geworden, da die Familie bis in die tiefen Abendstunden noch beisammengesessen war, jedoch fühlte sich Elenora trotzdem fit für den heutigen Tag. Gut gelaunt streckte sich die junge Frau und wischte sich ein paar wirre Haarsträhnen aus dem Gesicht, dann erhob sie sich mit einem Schwung aus den weichen Kissen und tapste gemütlich zu ihrem Koffer, um sich ein warmes Oberteil herauszusuchen. Nur in diesem Haus erlaubte sie sich, auch mal in Kuschelpulli und Schlafanzughose zum Frühstück zu erscheinen, denn hier war sie niemandes Autoritätsperson. Leise trat sie aus ihrem Zimmer und flocht sich auf dem Weg nach unten einen lockeren Zopf, um ihre Mähne wenigstens halbwegs zu bändigen, denn leider sah sie morgens aus wie das Wappentier ihres Hogwarts-Hauses und stichelnde Kommentare von ihrem Cousin wollte sie um diese Uhrzeit noch nicht ertragen. Im Flur konnte sie schon das geschäftige Klappern von Töpfen und Pfannen aus der Küche hören und trat in das Wohnzimmer. Trotz ihres dicken Winterpullis durchzog sie ein Kälteschauer und Elenora legte kurzerhand ein paar Holzscheite in den Kamin, um sie dann mit einem Fingerschnipp zu entzünden. Beinahe sofort breitete sich die Wärme in dem Raum aus und Elenoras Blick streifte eines der schmalen Fenster. Draußen schneite es so dicke Schneeflocken, dass man kaum zwei Meter weit sehen konnte. Dieses Winterwetter zusammen mit dem prasselnden Kamin und dem Geruch nach Speck, Eiern und Scones schaffte eine gemütliche Atmosphäre, in der sich Elenora automatisch geborgen fühlte. Ein perfekter Start in den Weihnachtstag, dachte sie und lief hinüber zur Küche. Die Gryffindor steckte ihren Kopf durch die Tür und erblickte ihre Großmutter, die anscheinend alle Hände voll zu tun hatte. Erstaunt trat Elenora ein und beobachtete fasziniert die drei Pfannen auf dem großen Herd, die sowohl den Speck als auch die Scones von selber wendeten. Gleich daneben rührte ein Kochlöffel in einer großen Karaffe Kaffee, die über dem Feuer hing und weiter hinten bereitete sich Porridge in einer Schüssel von selbst zu. Beeindruckt trat Elenora zu ihrer Großmutter an die Theke, die sie mit einem breiten Lächeln begrüßte. „Guten Morgen, Liebes! Hast du gut geschlafen?" „Ja, bestens, danke. Eigentlich wollte ich dich fragen, ob du Hilfe beim Frühstückmachen brauchst, aber du scheinst ja bestens zurechtzukommen...", antwortete ihre Enkelin und deutete mit einem Kopfnicken zu dem wahren Kunstwerk an Hilfszaubern. Isobel lachte und zerschlug ein Ei in einer Schüssel. „Ich habe drei hungrige Männer zu versorgen gehabt, da muss man sich zu helfen wissen.", sagte sie und zwinkerte. Elenora lehnte sich an den Tresen. „Und was ist mit Minerva?" „Weißt du, deine Tante hatte noch nie großen Hunger... und anscheinend kommst du ganz nach ihr!" Isobel sah hinüber zu dem Familienfoto, welches Elenora auch in ihrem Büro hängen hatte. „Du musst wissen, dein Vater Robert war das größte Leckermaul von allen... er hat sogar seinen Vater übertroffen, und das musste schon etwas heißen.", erzählte Isobel und starrte noch einen Moment lang traurig lächelnd auf das Foto. Dann seufzte sie auf. „Ich wünschte, sie wären beide noch hier... dein Vater wäre so stolz auf dich." Elenora verzog die Lippen zu einem kurzen Lächeln und beobachtete ebenfalls gedankenverloren das Foto. Ihr Vater grinste ihr glücklich entgegen, genauso wie ihre Mutter. Elenora kämpfte gegen die tiefe Traurigkeit an, die sie seit dem Tod ihrer Eltern mit sich herumschleppte, und räusperte sich. „Kann ich schon irgendwas ins Esszimmer bringen?" Isobel deutete auf einen Teller, der voll mit Toastbroten beladen war. „Die sind schon fertig. Oh, und der Porridge auch!" Vorsichtig balancierte die junge Frau beide Teller auf ihren Händen quer durch das Wohnzimmer hindurch bis zum Esszimmer, in dem ein langer dunkelbrauner Esstisch stand. Behutsam stellte Elenora die Teller auf die Tischmitte und zuckte dann zusammen, als plötzlich ihr Cousin in der Tür stand. „Schon wach, Cousinchen? Die Lehrerin in dir kann auch nie ausschlafen, oder?", grinste Jacob und steckte einen Finger in den Porridge, um ihn dann genüsslich abzuschlecken. „Du bist doch auch schon wach... und Finger weg aus dem Porridge!", grummelte Elenora, worauf Jacob nur mit einem verschmitzten „Ja, Professor!" antwortete und dann aus dem Raum verschwand. Während Elenora mit dem Tischdecken fortfuhr, kamen nach und nach immer mehr McGonagalls die Treppe heruntergelaufen und versammelten sich um den Esstisch. Zum Schluss fehlte nur noch Isobel, die dann schließlich mit der Kaffee-Kanne ins Zimmer gelaufen kam. „Guten Morgen, meine Lieben! Ich hoffe ihr habt alle gut geschlafen?" „Ja, danke Mutter. Das Essen sieht herrlich aus.", erwiderte Malcolm und überblickte vorfreudig den reichlich gedeckten Tisch. Es fehlte wirklich an nichts, und das Familienoberhaupt hatte dafür gesorgt, dass es Essen aus allen drei Nationen gab. Elenora griff nach einer Schopfkelle und häufte Porridge auf ihrem Teller an, denn darin war ihre Großmutter wirklich eine wahre Meisterin. Schon bald war die ganze Familie mit Essen beschäftigt und das allgemeine Getratsche ging los. „Der Schnee fällt sehr dicht heute, man sieht ja fast gar nichts!", kommentierte Audra das Wettergeschehen vor dem Fenster. Minerva pflichtete ihrer Schwägerin nickend bei. „Solch ein Schneetreiben bekommen wir sogar in Hogwarts nur selten zu sehen." Mit vollem Mund konnte Elenora nichts anderes machen als nur zu Nicken. Ihr Blick fiel auf Jacob, der versuchte, Luanne zu füttern und dabei kläglich versagte. „Was hast du denn gegen Porridge, Luanne?", fragte er seine kleine Nichte verzweifelt, was Henry zum Lachen brachte. „Komm, ich zeig's dir. Luanne ist ziemlich wählerisch, aber mit etwas Überzeugungskraft isst sie dann meistens doch alles." Der Amerikaner nahm Jacob den Löffel ab und redete beruhigend auf seine Tochter ein, bis diese tatsächlich den Mund öffnete. Ungläubig beobachtete Jacob das Spektakel und raufte sich dann die Haare. „Wieso klappt das jetzt auf einmal?" „Hoffentlich setzt dich deine Schwester nie als Babysitter ein", spottete Elenora und grinste ihren Cousin süffisant an, der nur verärgert schnaufte. Elenora konzentrierte sich wieder auf ihren eigenen Porridge und genoss die gemütliche Atmosphäre des Familienfrühstücks. Weihnachten war wirklich die beste Zeit im Jahr, zumindest für die junge Gryffindor. Als alle das Frühstück beendet hatten, kündigte Isobel an, dass sie nun mit der Vorbereitung des Festessens beginnen würde und befahl den Männern im Haus, sich auf die Suche nach einem Weihnachtsbaum zu begeben. „Äxte hängen im Schuppen, und an eurer Stelle würde ich im Wald unten am Berg suchen...Malcolm kennt sich da aus, nicht wahr mein Lieber?" Mit diesen Worten verschwand Isobel in der Küche und Malcolm zog sich seinen Wintermantel über. „Na dann, auf geht's!" Als die Tür hinter den drei Männern zufiel, kam Minerva mit den letzten Tellern aus dem Esszimmer gelaufen und erklärte: „Ich glaube, ich werde Isobel in der Küche etwas zur Hand gehen. Auch wenn sie es nicht wahrhaben möchte, kann sie meine Hilfe gut gebrauchen." Die ehemalige Gryffindor lächelte leicht, als die Antwort „So alt bin ich nun auch wieder nicht!" aus der Küche zurückkam. „Sturheit liegt wohl einfach in unserer Familie", lachte Dorothea und setzte Luanne auf dem Sofa vor ihr ab, dann fragte sie an Elenora gewandt: „El, kannst du kurz auf Luanne aufpassen? Ich habe meiner Mutter versprochen, mit ihr die letzten Geschenke zu verpacken..." „Sicher doch!", antwortete Elenora hilfsbereit und ließ sich neben ihrer Nichte auf dem Sofa nieder. Das kleine Mädchen war ganz fasziniert von den kleinen Stoffwipfeln, die an den Kissenecken befestigt waren und schenkte ihrer Umgebung keine Aufmerksamkeit. Ihre hellblonden Haare standen in üppigen Locken von ihrem Kopf ab und sie griff mit ihren winzigen Händen nach dem Stoff. Liebevoll gab Elenora ihr einen Kuss auf die Stirn und sah ihr eine Zeit lang einfach nur beim Spielen zu, bis die Kleine plötzlich gähnte und sich mit einer Hand übers Gesicht wischte. Vorsichtig hob die junge Frau ihre Nichte hoch und setzte sie auf ihren Schoß, wo Luanne es sich gleich gemütlich machte und friedlich vor sich hin brabbelte. Ein paar Minuten später fielen ihr die Augen zu und sie schlief ein. Elenora strich Luanne sanft ein paar Locken aus dem Gesicht und wiegte sie sanft auf ihrem Schoß hin und her, als die Eingangstür aufschwang und den Blick auf Malcolm freigab, der die Spitze eines großen Tannenbaums auf der Schulter trug. „Achtung, Weihnachtsbaumlieferung!", rief er und Elenora brachte Luanne auf die andere Seite des Zimmers, damit die Männer mit der Tanne das Zimmer betreten konnten. Hinter dem ganzen Geäst kamen dann auch Jacob und Henry zum Vorschein, die zusammen den schweren Baumstumpf schleppten. Isobel steckte den Kopf aus der Küchentür und nickte zufrieden. „Das ging ja schnell. Ein sehr schönes Exemplar übrigens." Dory kam angelaufen und nahm ihrer Cousine Luanne ab, damit Elenora sich beim Aufstellen des gigantischen Baumes als Hilfestellung einsetzen konnte. Ihre Großmutter hatte Recht, das war wirklich ein schöner Weihnachtsbaum. Die Tannenzweige leuchteten in einem saftigen Dunkelgrün und umgaben den Baumstamm in gleichmäßiger Dichte. Ein raschelndes Geräusch kündigte Audra an, die mit einer Kiste voller Christbaumkugeln aus einem Nebenzimmer trat und fröhlich in die Runde rief: „Jetzt ist es Zeit zum Tannenbaumschmücken!" Die Sonne zog ihren Kreis am Himmel, und kurz nach Mittagszeit war der Weihnachtsbaum fertig geschmückt und glänzte in roten, grünen und weißen Farben. Da keiner nach dem deftigen Frühstück noch Hunger verspürte, wurde das Mittagessen vertagt und so saßen die McGonagalls jetzt zusammen vor dem Kamin und genossen den frischen Früchtetee, den Isobel aufgesetzt hatte. Elenora lehnte sich entspannt zurück und beobachtete, wie Malcolm mal wieder bei einer Partie Zaubererschach gegen Henry verlor. „Drachenmist!", rief er aus, als Henry seinen König schachmatt setzte und seinen Schwiegervater angrinste. „Die Schachspiel-Gene habe wohl ganz eindeutig ich geerbt, Malcolm", kommentierte Minerva trocken, während sie über den Rand ihrer Lesebrille zu ihrem Bruder schaute. Der stütze seine Arme auf dem Tisch ab und gab zurück: „Nicht jeder kann so ein Alleskönner wie du sein, Schwesterherz." Bevor Minerva etwas zurückfeuern konnte, schaltete sich Isobel ein: „Na na, Kinder. Seid nett zueinander, schließlich ist es Weihnachten." „Wir sind keine Kinder mehr, Mutter", sagte Minerva mit zusammengebissenen Zähnen, worauf Isobel sie nur anlächelte und ihre Schulter tätschelte. „Doch, meine Kinder. Und das bleibt ihr immer, egal wie alt ihr werdet." Als ihre Tante nur die Augen verdrehte, musste Elenora kichern. Die ehemalige Gryffindor war es offensichtlich nicht mehr gewohnt, jemand über ihr stehen zu haben. Auch zu Dumbledores Lebzeiten noch hatte Minerva ihm gegenüber nie ein Blatt vor den Mund genommen, obwohl er ihr Vorgesetzter gewesen war. Sie war einfach von Natur aus eine selbstbewusste und bestimmte Persönlichkeit, und machte damit sowohl ihrem Hogwarts-Haus als auch ihrem Familiennamen alle Ehre. Wenn Elenora so darüber nachdachte, gab es in ihrer Familie nicht eine Person, die nicht sturköpfig und selbstbewusst war. Sogar die kleine Luanne hing dieser Familieneigenschaft mit ihren Essgewohnheiten in nichts nach, und das, obwohl sie erst ein Jahr alt war. Eben diese erwachte gerade von ihrem Mittagsschlaf und begann sofort, unzufriedene Geräusche von sich zu geben. Dorothea seufzte und stand auf. „Da muss ich mich mal eben drum kümmern." Sie nahm ihre Tochter auf den Arm, stieg die Treppe hinauf und verschwand im Obergeschoss. Plötzlich gähnte auch Malcolm und erhob sich ebenfalls. „Ich glaube, ich mache auch noch ein kurzes Nickerchen, bevor die Bescherung anfängt..." „Du bist doch nicht schon etwa müde, alter Mann?", zog Audra ihn auf, worauf er nur antwortete: „Mir liegt das Frühstück immer noch im Magen, sowas macht schläfrig!" Als er seiner Tochter ins Obergeschoss gefolgt war, zogen sich nach und nach alle McGonagalls zurück, bis nur noch Minerva und Elenora im Wohnzimmer saßen. „Vielleicht ist das mit dem Mittagsschlaf wirklich keine so schlechte Idee", überlegte Minerva laut und brachte Elenora damit zum Grinsen. „Du wirst eben auch alt, Mina." „Ach, sag doch sowas nicht.", winkte ihre Tante ab und trank dann ihren Tee aus. „Mir ist jetzt irgendwie nach einem Spaziergang", meinte Elenora und warf einen prüfenden Blick aus dem Fenster, wo sich der Schneesturm glücklicherweise gelegt hatte. Minerva folgte ihrem Blick und gab hinzu: „Auch keine schlechte Idee. Na komm, lass uns ein bisschen frische Luft schnappen." 

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