28. Misteln und Schwarztee

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Das Heulen des Windes vor den Fenstern ließ Elenora aus ihrem kurzen Schlaf aufschrecken. Ein Blick auf die Uhr verriet ihr, dass sie sogar einige Stunden geschlafen hatte; die Erschöpfung hatte sie letztendlich doch eingeholt. Allerdings fühlte sich die junge Frau auch jetzt kein bisschen besser. Sie beschloss kurzerhand, das Abendessen ausfallen zu lassen und sich lieber hier in ihrem Zimmer anderweitig zu beschäftigen. Also hob sie ihren Zauberstab und dirigierte ein Buch aus dem Regal quer durch das Zimmer zu sich, von dem sie sich etwas Ablenkung erhoffte. Doch schon nach den ersten Paar Seiten fühlte sie einen seltsamen Druck auf ihren Schläfen und ihr war, als ob die Wände ihres Zimmers immer näher auf sie zukamen. Energisch schlug die Gryffindor das Buch wieder zu und schnellte hoch, denn sie hatte das plötzliche Bedürfnis dieser Enge zu entfliehen. So trat sie aus ihrer Tür und begab sich in die Richtung des Westflügels, weit weg von den Kerkern. Sie streifte durch die Gänge der Schule und wanderte immer höher hinauf, bis sie schließlich vor einem großen Fenster im obersten Stockwerk stehen blieb. Von hier aus konnte man das gesamte Schulgelände überblicken und der Sonnenuntergang ließ den Schnee in einem leichten Rot-Ton glühen. Zum ersten Mal fiel der jungen Professorin auf, wie friedlich es in Hogwarts sein konnte. Auch nach all den Jahren des Krieges war das Schloss nach wie vor eine Zuflucht und Ruhestätte, und für viele auch ein Zuhause, sie selbst eingeschlossen. Ein paar Thestrale zogen gemütlich ihre Runden über dem verbotenen Wald und aus Hagrids Schornstein zogen ein paar Rauchwolken in die kalte Abendluft. Elenora starrte für eine gefühlte Ewigkeit einfach nur aus dem Fenster, bis sie plötzlich Schritte hörte, die wenige Meter entfernt plötzlich abrupt stehen blieben. Elenora wagte es nicht, sich umzudrehen; sie konnte sich dennoch denken, wer da hinter ihr stand. Nach einigen todstillen Sekunden drehte sie schließlich doch den Kopf und blickte direkt in Snapes schwarze Augen. Doch zu Elenoras Überraschung war sein Blick nicht abweisend oder kalt, ganz im Gegenteil, seine Augen funkelten verräterisch, so als ob er Mühe hatte, seine Emotionen im Zaum zu halten. „Was machst du hier oben?", kam es schließlich leise von Elenora, die die Stille nicht mehr ertrug. „Dasselbe könnte ich dich fragen", erwiderte der Tränkemeister und verschränkte die Arme. Elenora biss sich auf die Lippe und sah zu Boden. „Ich...denke nach." Wieder breitete sich Stille zwischen den beiden Professoren aus. Wie eine dunkle Wolke hing das Geschehnis des Nachmittags über ihnen und Elenora fühlte sich, als ob sie jeden Moment von ihren Schuldgefühlen erdrückt werden würde. „Severus...", fing Elenora an, doch ihre Stimme brach und sie drehte sich weg, um ihre Tränen vor dem Slytherin zu verbergen. Snape rührte sich nicht von der Stelle und wartete offensichtlich darauf, dass sie fortfuhr. Mit bebenden Lippen sah Elenora jetzt wieder zum Fenster heraus und versuchte vergeblich, sich zusammenzureißen. Schließlich schaffte sie es, ein gestammeltes „Es tut mir leid" über die Lippen zu bringen. Doch das brach auf einmal ihre inneren Schranken und die Worte sprudelten jetzt nur so aus ihr heraus. „Ich habe das heute Mittag nicht so gemeint, ich – ich war einfach nur so verletzt und enttäuscht von Damien und das habe ich dann unabsichtlich an dir ausgelassen... dabei wolltest du mir nur helfen... es tut mir so leid, Severus." Elenoras Stimme zitterte und sie starrte immer noch stoisch aus dem Fenster, unfähig, ihren Kollegen anzusehen. Severus schwieg einfach nur und Elenora realisierte, dass ihre Entschuldigung zu spät kam, wie sie gestern vorausgesagt hatte. Das Engegefühl in ihrer Brust tauchte wieder auf und veranlasste die junge Frau dazu, an Severus vorbei zu rauschen. Plötzlich streckte dieser jedoch eine Hand aus und hielt sie fest. „Warte...bitte." Verwirrt trat Elenora wieder einen Schritt zurück und sah Snape ängstlich an. In dem Gesicht des Slytherin waren wie immer keine Emotionen abzulesen, doch seine Augen verrieten der Gryffindor, dass in seinem Inneren ein ähnlicher Sturm wie in ihr selbst wütete. „Ich kann dich verstehen. Ich kann verstehen, warum du heute so reagiert hast." Diese Worte kamen bei Elenora zwar an, jedoch konnte sie sie nicht verstehen. „Ich verstehe nicht..." „Bitte, lass mich erklären." Der Slytherin rang offensichtlich mit Worten, doch dann schaffte er es endlich, fortzufahren. „Ich kann dich verstehen, denn ich habe es nicht anders verdient. Das war meine gerechte Strafe für die Sache im Krankenflügel damals." Elenoras Augen wurden groß, doch sie sagte nichts und ließ Severus weiterreden. „Du hast damals nichts falsch gemacht, ich wusste schlicht und ergreifend einfach nicht, was ich sagen sollte. Als du dich mir offenbart hast, da habe ich...Panik bekommen." Es war Snape anzusehen, wie viel Überwindung ihn diese Worte gekostet hatten. Er sah zu Boden und fuhr etwas leiser fort: „Ich konnte einfach nicht glauben, dass du immer noch etwas für mich übrighattest. Nicht, nachdem was ich getan habe..." Er stockte kurz, doch fing sich sofort wieder. „Ich habe Albus getötet und euch alle ein Jahr lang leiden lassen, und dann erzählst du mir, dass ich für dich immer noch zur Familie gehöre." Jetzt hob er den Kopf und Elenora blickte in ein verzweifeltes, reumütiges Gesicht. Severus' Dämme schienen endlich zu brechen und er schüttelte den Kopf. „Minerva und du, ihr musstest so viel ertragen während meiner Zeit als Schulleiter, und doch empfangt ihr beide mich immer noch mit offenen Armen... das ist doch nicht richtig!" Seine Schultern sackten herunter, doch Elenora trat vorsichtig an ihn heran und fasste ihren Kollegen am Arm. „Doch, weil du uns alle gerettet hast.", sagte sie dann sanft und begegnete Severus' schmerzendem Blick. „Du hast dein halbes Leben geopfert, um Lilly Potters Sohn und uns alle zu beschützen. Natürlich bist du für uns alle noch ein Freund, sogar ein Held." Severus Augen wurden ganz glasig und er senkte wieder den Blick. Elenora kniff die Lippen zusammen, ihr brannte ein weiteres Wort auf der Zunge, doch sie hatte erneut Angst vor den Konsequenzen. Jetzt oder nie, dachte sie dann schließlich und öffnete den Mund, um noch etwas anzufügen. „Für jemanden – für jemanden bist du sogar wie ein Vater." Severus' Kopf schnellte hoch und in seinen Augen spiegelten sich Elenoras Ängste wider. Nein, ich habe das Gespräch schon wieder zerstört-, dachte Elenora und ihr rollte eine weitere Träne über die Wange. Da wurde sie plötzlich von zwei überraschend starken Armen an sich gezogen und erst einen Herzschlag später realisierte Elenora, dass sie gerade von Severus umarmt wurde. Er roch nach frischen Misteln und Schwarztee und seine Haare kitzelten Elenoras Wangen. Sie vergrub ihre Hände in Severus' Umhang und ließ ihren Tränen freien Lauf. Jedoch waren es keine Tränen der Trauer, sondern die der Erleichterung. Severus' Stimme war nur gedämpft zu hören, aber seine Worte klangen laut wie ein Donnerhall durch Elenoras Kopf: „Du bist für mich auch das geworden, was andere eine Tochter nennen, Elenora.", murmelte der Tränkemeister und strich ihr kurz über den Kopf. Elenora konnte buchstäblich fühlen, wie ihr erkaltetes Herz innerhalb von Sekunden auftaute und sie fühlte sich plötzlich unendlich leicht. Der Bann war endlich gebrochen. Ein glücklicher Seufzer entwich ihr und die beiden lösten sich aus der Umarmung. Sie lächelte Severus an, der ihr ein paar letzte Tränen von der Backe wischte. Eine Weile lang sahen sich die beiden nur stumm an und Elenora wusste genau, dass Severus genauso erleichtert war wie sie. „Du hast ja keine Ahnung, wie schwer das für mich war, dich so am Boden zerstört zu sehen... aber ich habe es einfach nicht über mich gebracht, es dir eher zu sagen", flüsterte Severus. Elenora lächelte und strich ihm beruhigend über die Schulter. „Ich verstehe es, Severus. Wirklich." Zum ersten Mal seit Langem schlich sich ein kleines Lächeln auf das Gesicht des Slytherin und er antwortete: „Dafür bin ich sehr dankbar." Elenora schüttelte ihre verkrampften Hände aus. „Ich bin so froh, dass wir uns endlich ausgesprochen haben... du hast mir in letzter Zeit wirklich gefehlt.", murmelte die junge Frau und Severus neigte den Kopf. „Ich habe mir die ganze Zeit gewünscht, dir helfen zu können, vor allem, als dieser Mistkerl dich betrogen hat. Oh, wie gerne ich ihm heute ein paar Flüche hinterhergeworfen hätte, aber leider sind wir hier immer noch in einer Schule", grummelte der Slytherin und Elenora musste lachen. „Glaub mir, ich hatte auch meine Mühen, mich zurückzuhalten...", erwiderte sie dann und ließ ihren Blick kurz hinaus zu der Brücke schweifen, wo ihr Exfreund heute im Nebel verschwunden war. Severus folgte ihrem Blick, dann richtete er sich auf und räusperte sich. „Mir steht gerade nicht der Sinn nach Abendessen, aber was hältst du von einem Tee?" Elenora grinste glücklich. „Dagegen habe ich nichts einzuwenden." Und so machten sich die beiden Professoren, nach fast drei Monaten des Schweigens, gemeinsam auf zu Severus Räumen.  

A Hogwarts Love StoryWo Geschichten leben. Entdecke jetzt