57. Irrwichte und andere Gefahren

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„Sie sind dran, Ms. Bakers! Jetzt konzentrieren Sie sich auf die Kiste und halten Sie Ihren Zauberstab bereit!" Die Drittklässlerin streckte ihre Zauberstabhand aus und versuchte, ein Zittern zu verbergen. Rose Bakers, eine kleine Hufflepuff-Schülerin, stand unsicher vor der großen schwarzen Kiste in Elenoras Klassenzimmer, die vor einigen Wochen noch der Professorin selbst so große Angst gemacht hatte. Elenora hielt den Blick fest auf ihre Schülerin gerichtet, während sie die Riegel der Kiste zurückschob. „Achtung, ich lasse den Irrwicht frei in drei, zwei, eins..." Der Kistendeckel klappte zurück und der altbekannte dunkle Rauch schoss daraus hervor. Ängstlich wich ein Teil der Schüler zurück, während sich die umherwabernde Rauchwolke auf das Ziel vor ihr fokussierte und sich schließlich in ein gähnend schwarzes Loch verwandelte, aus dem gruselige Geräusche ertönten. Die Augen der Hufflepuff waren vor Angst geweitet und Elenora rüstete sich im Inneren für einen Eingriff. „Ihr Zauberstab, Bakers, benutzen Sie ihn!", rief Elenora der Drittklässlerin zu, doch Rose Bakers rührte sich nicht vom Fleck und starrte nur auf das schwarze Loch, das von Sekunde zu Sekunde größer wurde. Komm schon, bitte... du schaffst das! feuerte Elenora ihre Schülerin stumm an und beobachtete die Situation mit angespannter Miene. Bei allen anderen Schülern hatte der Riddikulus-Gegenzauber erstaunlich gut funktioniert, und die Gryffindor hatte sich schon gefreut, ihren Schülern den Anblick von Elenoras größter Angst zu ersparen. Leider sah es aber jetzt so aus, als ob sie sich zu früh gefreut hatte, und so machte Elenora einen Schritt auf die Kiste zu. Da löste sich Rose Bakers plötzlich aus ihrer Starrte und warf dem Irrwicht ein fast geschrienes „Riddikulus!" entgegen. Das schwarze Loch verwandelte sich augenblicklich in eine Frisbee-Scheibe, die polternd zu Boden fiel. Die Klasse fing an zu jubeln und mehrere Schüler klopften der Hufflepuff lobend auf die Schulter. Glücklich sagte Elenora: „Sehr gut, Ms. Bakers! Tatsächlich haben Sie alle sich gut geschlagen, dafür haben Sie meine Anerkennung! Zur Belohnung entlasse ich Sie heute ohne Hausaufgaben aus der Stunde." Der Jubel wurde schlagartig lauter und die dritte Klasse packte munter plaudernd ihre Sachen und verließen stürmisch das Klassenzimmer. Kopfschüttelnd sah die Gryffindor ihrer Klasse hinterher, suchte dann ebenfalls ihre Unterlagen zusammen und lief aus dem Raum den Korridor entlang zum hinteren Innenhof des Schlosses. Die warme Sonne schien an diesem Spätfrühlingstag auf Hogwarts hinab und veranlasste den Großteil der Schulfamilie, sich auf dem Außengelände und in den Höfen der Schule zusammenzufinden. Gemütlich schlenderte Elenora die breite Treppe vor sich herunter und setzte dann ihren Weg im Untergeschoss fort. Unterwegs begegnete sie Minerva, die sie zu sich winkte und rief: „Elenora, gut dass ich dich treffe! Erinnerst du dich an die Karten zur Quidditch-Liga, die ich dir zu Weihachten geschenkt habe?" „Ja natürlich, ich wollte doch mit dir hingehen!" „Stell dir vor, ich konnte Severus überreden, uns zu begleiten." „Wie bei Merlins Bart hast du das geschafft?", fragte Elenora baff und entlockte ihrer Tante damit ein Lachen. „Oh, weißt du, die Vater-Tochter-Nummer zieht bei ihm eigentlich immer ziemlich gut!", verriet sie dann und zwinkerte schelmisch. Elenora grinste verlegen und drückte der ehemaligen Gryffindor einen Kuss auf die Backe. „Danke, Tante Mina." „Nichts für ungut. Ich muss weiter, wir sehen uns später!", meinte Minerva nur und rauschte davon. Immer noch mit einem Lächeln auf den Lippen setzte die junge Professorin ihren Weg in Richtung des Innenhofes fort und bog um die Ecke in dessen Säulengang. Aus der Ferne konnte sie Aaron sehen, der gerade ebenfalls seinen Freiluft-Unterricht beendete. „Ich hoffe, dass sie sich die wichtigsten Eigenschaften der Doxy notiert haben, denn nächste Woche werde ich einen von Ihnen darüber abfragen.", erklärte der Hufflepuff und strich sich eine lose Haarsträhne aus dem Gesicht. Elenoras Augen folgten dem großen Iren, der nun einige Pergamente einsammelte und sich den abschließenden Fragen seiner Klasse widmete. Seit ihrer Unterhaltung auf dem Steeg waren ein paar Tage vergangen, aber der Professor für Pflege magischer Geschöpfe ging der jungen Frau einfach nicht mehr aus dem Kopf. „So, das war's für heute. Ich wünsche Ihnen allen noch eine schöne Woche." „Danke, Professor!" „Ebenfalls, Professor ó Racghnail!" Bewundernd beobachtete Elenora Aarons Schüler, die sich mit fröhlichen Mienen bei ihrem Lehrer verabschiedeten. Der Mann hat wirklich ein Händchen für Kinder, dachte die Gryffindor bei sich und lehnte sich an eine Säule. Verstohlen starrte Elenora auf die roten Haare des Iren, und beobachtete, wie sich seine mächtigen Armmuskeln unter seiner Lehrerobe bewegten. Er ist attraktiv, keine Frage. Und erst sein Lächeln... Als Elenora bemerkte, was für Gefühle sich da in ihrem Inneren zusammenbrauten, verfiel sie beinahe in eine Schockstarre. Nein. Unmöglich. Der Blick der jungen Frau wurde starr und sie hielt unterbewusst die Luft an. Ihr inneres Alarmsystem schellte unaufhörlich und ein Panikgefühl machte sich in ihr breit. Im Moment war Elenoras einziger Gedanke, dass sie so schnell wie möglich aus der Sichtweite ihres Kollegen entfliehen musste. Eilig raffte sie ihre Robe und stolzierten schnellen Schritts in Richtung ihrer Gemächer. „Nein, nein, nein!", murmelte die Gryffindor unbewusst vor sich hin. Zum ersten Mal seit Damien hatte sie wieder Schmetterlinge im Bauch, aber während dieses Gefühl bei anderen Glück und Wohlwollen auslöste, versetzte es Elenora in reinste Panik. Sie konnte und wollte sich nicht neu verlieben, nicht jetzt, wo ihr Leben zum ersten Mal seit langem wieder reibungslos verlief. Wie im Flug rauschte sie durch die Tür ihrer Gemächer und knallte diese hinter sich zu. Schnell atmend ließ sie ihre Unterlagen auf ihren Tisch fallen und lief dann unruhig auf dem dunklen Parkett auf und ab. „Nein, es kann nicht sein. Es darf nicht sein! Er darf auf keinen Fall etwas merken...", grübelte Elenora leise vor sich hin, während sie fieberhaft nach einer Lösung suchte. Doch im Moment war sie einfach zu aufgewühlt, als dass sie sich einen vernünftigen Plan überlegen könnte, weshalb sie beschloss, ihrem Kollegen die nächsten Tage so gut es ging aus dem Weg zu gehen. Das hat doch bei Minerva auch eine Zeit lang funktioniert, und bei Severus sogar über Wochen. Langsam beruhigte sich Elenoras Herzschlag wieder und sie schüttelte den Kopf, um in ihren Gedanken wieder Klarheit zu schaffen. Entschlossen setzte sie sich an ihren Schreibtisch und fing an, sich ihrem Berg an täglichen Korrekturarbeiten zu widmen. Tatsächlich schaffte es die junge Frau, den Iren fürs Erste aus ihrem Kopf zu verbannen und sich voll und ganz auf ihre Arbeit zu konzentrieren. Erst am späten Abend, als sich Elenora bettfertig machte, schlich sich wieder das Bild von einem lächelnden Aaron vor ihr inneres Auge. Aber vielleicht wird es mit ihm anders als mit Damien? regte sich eine hoffungsvolle Stimme in der jungen Frau. „Oh nein, komm bloß nicht auf dumme Gedanken! Du hast dir selbst ein Versprechen gegeben! Arbeit und Familie gehen vor!", schalt Elenora ihr Spiegelbild, während sie ihre langen Haare zu einem Zopf flocht. Energisch stampfte sie zu ihrem Schlafzimmer und ließ sich auf ihr Bett fallen. Mit einem Mal überkam sie eine fürchterliche Müdigkeit, denn der Tag war wieder einmal viel zu ereignisreich gewesen, zumindest für Elenoras Geschmack. Bevor sie weiter über ihr Dilemma mit Aaron nachdenken konnte, war die junge Frau auch schon eingeschlafen.

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