45. Charterhouse, Somerset

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Der nächste Tag verstrich mit rasender Geschwindigkeit, während Elenora ihr Klassenzimmer ausräumte, zwei Doppelstunden unterrichtete und sich Professor Rodins alte Aufzeichnungen zu dem vergangenen Halbjahr ansah. Der ältere Herr hatte eine überraschend schöne Handschrift, die gut leserlich war, was Elenora die Arbeit deutlich einfacher machte. Ihr Schreibtisch war geradezu überflutet mit Notizbüchern und haufenweise Pergamentrollen, die ihr der Professor freundlicherweise überlassen hatte. Elenora hatte seit Unterrichtschluss den heutigen Nachmittag damit verbracht, sich wichtige und nützliche Dinge herauszuschreiben, um ein erstes Unterrichtskonzept für ihre neuen Klassen zu entwerfen. In diesem Halbjahr hatte sie auch jüngere Klassen, was sie von Pflege magischer Geschöpfe gar nicht gewohnt war, da man das erst ab dem dritten Schuljahr als Wahlfach belegen konnte. Eine willkommene Abwechslung, dachte die junge Frau und legte ein zerknittertes Papier auf den Stapel der schon bearbeiteten Werke. Plötzlich klopfte es an der Tür und sie schreckte auf, dann rief sie laut „Herein!" und die Tür schwang auf. Hinein trat Severus, der kurz das Chaos auf ihrem Tisch beäugte und sie dann fragend ansah. „Du hast doch nicht vergessen, dass wir in einer halben Stunde zu den Malfoys aufbrechen?" Elenora wurde kreidebleich im Gesicht und sie murmelte „Drachenmist!" Sie hatte völlig vergessen, dass die Hauseinweihung der Malfoys schon heute Abend anstand. Snape schnaubte amüsiert und verzog die Lippen zu einem: „Anscheinend ja doch." „Oh Severus, das tut mir leid! Ich war so in Arbeit vertieft-" „Kein Grund zur Sorge, Elenora. Du hast ja noch Zeit.", beruhigte sie der Slytherin und trat an ihren Tisch heran. „Geh dich fertigmachen, das hier kann warten.", fügte er dann hinzu und deutete mit einer wagen Handbewegung auf die Papierflut. Schnell stand Elenora von ihrem Stuhl auf und hechtete zu ihrem Kleiderschrank, aus dem sie die erstbesten Klamotten zog und dann im Bad verschwand. Eine Viertelstunde später kam die junge Frau fertig angezogen und geschminkt wieder zum Vorschein. Snape blätterte interessiert in einem der ledernen Notizbücher Rodins, sah dann aber auf und nickte anerkennend. „Das ging schnell." Elenora grinste schief, während sie ihren Rock glattstrich und nebenbei in einen Schuh schlüpfte. „Du hast Glück, dass ich multitasking-fähig bin. Können wir?" Der Tränkemeister schnaubte nur, lies das Buch auf den Tisch fallen und öffnete dann mit einer galanten Handbewegung die Tür. „Nach dir." Die beiden Professoren verließen das Schulhaus und begaben sich zur Appariergrenze. Auf dem Weg nach unten fiel Elenora auf, dass Severus wieder seine gewohnt schnelle Gangart angenommen hatte. Interessiert sah sie zu ihm auf und fragte: „Du hinkst gar nicht mehr, ist die Heilung abgeschlossen?" Severus nickte knapp und richtete sich noch ein wenig mehr auf. „Poppy hat mich als vollständig genesen erklärt." „Also hast du auch keine Schmerzen mehr?" „Hmm...gelegentlich noch. Aber das ist unbedeutend.", erklärte der Slytherin und blieb stehen, als sie die Appariergrenze überquert hatten. Zusammen berührten sie den dort umherstehenden Portschlüssel, und in der letzten Sekunde vor dem Port wurde Elenora bewusst, dass sie nicht einmal wusste, wohin die Reise heute ging. Bevor sie diesen Gedanken jedoch zu Ende formulieren konnte, stand sie auch schon auf einem steinigen Feldweg, der in einem Waldstück mündete. Inmitten der dunklen Tannenbäume befand sich ein altes, aber schönes Landhaus, das anscheinend erst kürzlich renoviert worden war. Elenora sah sich um und betrachtete die Villa eingehend. „Definitiv ein ruhiger Platz für einen Landsitz. Wo genau sind wir?" Severus klopfte sich etwas Staub von seiner schwarzen Robe, dann erwiderte er: „Charterhouse, Somerset." „Das ist...ja fast am Meer!", kommentierte Elenora laut und hob überrascht die Augenbrauen. Severus überlegte kurz und fügte dann hinzu: „Nun, 15 Meilen um genau zu sein." Während die beiden auf den Landsitz der Blacks zuschritten, beäugte Elenora das Haus ein wenig genauer. Wenn man sich die spitzen Türmchen dazu dachte und von der Tatsache absah, dass dieses Haus umgeben von Bäumen war, hatte es große Ähnlichkeit mit dem Herrensitz der McGonagalls. Somerset war die Nachbargrafschaft von Wiltshire, wo das Malfoy-Manor lag, also waren die Malfoys hier auch nicht zu weit weg von Zuhause. Trotzdem fiel es Elenora schwer, sich vorzustellen, dass Lucius hier draußen glücklich war. Soweit Elenora ihn kannte, war er eben immer schon ein Mensch des Mittelpunkts und der Aufmerksamkeit gewesen, aber hier draußen waren er und seine Frau fast völlig abgeschnitten von jedwehiger Zivilisation. Die neu glänzenden Eisentore öffneten sich automatisch für Snape, die er schnellen Schrittes passierte und dann energisch an die dunkle Haustür klopfte. Sekunden später öffnete sich die Haustür und zu beider Überraschung war es kein Hauself, sondern Narzissa, die jetzt im Türrahmen erschien. „Severus! Willkommen." Die blonde Frau umarmte den Slytherin und zog dann auch Elenora kurz in ihre Arme, was Elenora schüchtern erwiderte. „Elenora, wie schön, dass du auch gekommen bist." „Danke für die Einladung!" Elenora schloss die Haustür und hörte Snape fragen: „Wo ist denn euer Hauself...Thelonius? Sonst macht er doch immer den Empfang." „Er...ist in Wiltshire geblieben. Als Aufpasser.", erklärte Narzissa und lächelte kurz, als sie Snapes hochgezogene Augenbrauen sah. „Severus, alter Freund!", kam es da plötzlich aus dem hinteren Teil des Flurs, und Lucius Malfoy kam mit offenen Armen auf seinen besten Freund zugelaufen. „Lucius." Die beiden schüttelten sich die Hände und Lucius klopfte Severus auf den Rücken. „Wie ich sehe, bist du wieder bei voller Gesundheit?" „Dasselbe gilt für dich, Malfoy." Es stimmte, Lucius sah in der Tat sehr erholt aus. Nach dem Krieg waren alle drei Malfoys nur ein Schatten ihrer selbst gewesen, und selbst beim Hogwarts-Fest hatte man noch deutlich die Spuren der Strapazen sehen können. Jetzt allerdings strahlte das Ehepaar die alte Erhabenheit aus, die ihnen vor dem Krieg so viel Achtung beschaffen hatte. Der ehemalige Todesser drehte sich jetzt zu Elenora, die ihn schüchtern anlächelte. „Elenora." Lucius schüttelte auch ihr die Hand und setzte ein breites Lächeln auf. „Es ist mir eine Freude, dich wiederzusehen." „Ebenso, Lucius.", antwortete die junge Frau geschmeichelt und ließ sich von ihren Gastgebern ins Wohnzimmer geleiten, in dem schon ein wärmendes Feuer loderte. Die Inneneinrichtung dieses Zimmers erinnerte Elenora stark an die der alten Malfoy-Residenz, wo sie vor so vielen Jahren zu Besuch gewesen war. Die vier Erwachsenen ließen sich auf den samtbezogenen Sofas nieder und Lucius dirigierte eine Flasche Champagner über vier Sektgläser, die auf einem Beistelltisch standen. Snapes Blick wanderte durch den Raum und er lehnte sich zurück. „Ihr habt es euch schön eingerichtet. Erinnert sehr an das alte Wohnzimmer." „Ja, wir haben ein paar der alten Möbel mitgenommen, aber wir haben auch vieles neu gestaltet." „Ein ausgeglichener Mix aus Altem und Neuem.", fügte Lucius zu der Erklärung seiner Frau zu und die beiden tauschten ein flüchtiges Lächeln aus. Leise grinsend beobachtete Elenora diese liebevolle Geste. Das Ehepaar schien wirklich glücklich zu sein, zumindest äußerlich, und das erwärmte das Herz der jungen Gryffindor. Nach all den Mühen, die die beiden erbracht hatten, um wieder von der Gesellschaft akzeptiert zu werden, hatten sie ein wenig Zufriedenheit reichlich verdient. Severus fing ein leichtes Gespräch über die aktuelle Politik an und so langsam entspannte sich die Atmosphäre. Die Gesprächsthemen wechselten vom Ministerium über den Tagespropheten bis hin zu Hogwarts. Elenora kuschelte sich in ihren weichen Sessel und hörte Severus zu, der von den neuesten Entwicklungen in der Schulplanung erzählte. Lucius hob sein Glas an die Lippen und nickte dann Elenora zu. „Wie läuft eigentlich die Arbeit?" Seufzend begann die junge Frau zu berichten: „Oh, es war noch nie so stressig wie jetzt... ich erlebe demnächst meinen Fächerwechsel zu Verteidigung gegen die dunklen Künste, der jetzt schon nächste Woche stattfindet anstatt zum Jahreswechsel!" „Ihr müsst wissen, Professor Rodin, ihr Vorgänger, wurde krankheitsbedingt schon früher in die Rente entlassen. Deshalb der kurzfristige Fächerwechsel.", fügte Severus erklärend hinzu. Lucius kniff nachdenklich die Augen zusammen und erwiderte: „Nun, ich gratulierte trotzdem zum neuen Fach! Wenn ich mich recht erinnere, war das sowieso deine Spezialisierung, nicht wahr?" spekulierte er und grinste amüsiert, als Elenora leicht errötete. Die Erinnerung an ihren allerersten Besuch bei den Malfoys kam ihr ins Gedächtnis und sie nahm einen Schluck Champagner, um ihre Verlegenheit zu verbergen. Narzissa fragte dann interessiert: „Wer wird denn dein Nachfolger werden? Im Fach Pflege der magischen Geschöpfe, meine ich?" „Ein gewisser Aaron ó Racghnail. Ein ehemaliger Hogwarts-Schüler, den unsere Schulleiterin gleich nach seiner Heiler-Ausbildung für einen Lehrerposten aufgegriffen hat. Ursprünglich war er als Nachfolger für Professor Sprout gedacht, aber sie bestand darauf, noch ein paar Jahre zu arbeiten, bevor sie in die Rente geht. Jetzt übernimmt er also erstmal diesen freien Lehrerposten und hilft nebenbei im Krankenflügel aus.", erzählte Severus und wurde sogleich perplex von Elenora angestarrt. „Das habt ihr mir gar nicht erzählt!", rief sie entrüstet aus. „Wieso auch? Schließlich ist es für dich nicht von Belang. Wenn du einmal Schulleiterin wirst, dreht sich dein Leben nur noch um solche Angelegenheiten, glaub mir.", konterte Snape süffisant und goss sich ein zweites Glas ein. Unzufrieden schnaubte die Gryffindor und die drei Slytherins mussten lachen. Um schnell das Thema zu wechseln, fragte Elenora an die Malfoys gerichtet: „Wie gefällt es euch hier, im neuen Haus?" Narzissa warf ihrem Mann einen kurzen Blick zu und sagte dann mit einem leichten Lächeln: „Es ist ein wenig anders als in Wiltshire, aber... wir kommen zurecht." Lucius schürte mit einer Handbewegung das Feuer und pflichtete seiner Frau mit einem kurzen Nicken bei. Für einige Sekunden breitete sich eine unangenehme Stille aus, dann klopfte es plötzlich an der Tür. 

A Hogwarts Love StoryWo Geschichten leben. Entdecke jetzt