44. Ein ungewöhnlicher Neuzugang

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Elenora lief schnellen Schrittes, beinahe rennend, den Gang zur großen Halle entlang. Sie war für das Frühstück spät dran, denn die Professorin hatte heute um eine halbe Stunde verschlafen. Als sie die Tür erreicht hatte, war sie bereits ein bisschen außer Puste. Möglichst unauffällig versuchte sie, sich durch den Türspalt zu zwängen und am Slytherin-Tisch vorbei zum Lehrertisch zu gelangen, was ihr mehr oder weniger gelang. Die Schüler achteten nicht besonders auf sie, einzig Minerva warf ihr einen verwunderten Blick zu. Eilig erreichte die junge Frau ihren Sitzplatz und ließ sich auf ihren Stuhl fallen. Ihr Sitznachbar Severus sagte nichts, doch sein belustigter Blick sprach Bände. Elenora ignorierte ihn, nahm sich ein Croissant aus dem Brotkorb und biss hinein. Der Slytherin hütete sich, einen Kommentar abzugeben, und das war der jungen Frau auch mehr als nur recht. Drei Tage waren seit Minervas überraschender Ankündigung vergangen, und seitdem war Elenoras Leben ein einziges Chaos. Sie hatte kaum eine ruhige Minute mehr und arbeitete immer bis spät in die Nacht, was auch ihre Verspätung heute erklärte. Die Gryffindor begann gerade, sich zu entspannen und das Essen richtig zu genießen, als sie eine Tür auf der anderen Seite des Lehrertisches aufgehen hörte. Sie drehte den Kopf und konnte nur eine Gestalt sehen, die aus der Tür hinaus in den Schatten trat. Das muss der neue Professor sein, dachte Elenora und zog verwirrt die Augenbrauen zusammen. Warum war er schon hier? Seine Ankunft war doch erst für nächste Woche geplant. Minerva hatte die Gestalt auch bemerkt und nickte dem Unbekannten freundlich zu. Dann erhob sie sich und klatschte in die Hände, um die Aufmerksamkeit der Schülerschaft zu erlangen. „Liebe Schüler, ich habe noch eine kleine Überraschung für Sie: Wir haben einen neuen Mitbewohner, der soeben angekommen ist. Genauer gesagt", verkündete sie und trat hinter das Rednerpult „ist es ein neuer Lehrer: Professor ó Racghnail!" Sie winkte die Gestalt nach vorne ans Rednerpult, die mit einem höflichen Applaus begrüßt wurde. Elenora reckte den Hals, um ihren neuen Kollegen zu begutachten. Aus der Ecke trat ein hochgewachsener, breit gebauter Mann, der nicht viel älter als sie selbst zu sein schien. Er trug ein dunkelgrünes Jackett und einen langen schwarzen Reisemantel. Seine roten, schulterlangen Haare waren in einem ordentlichen Zopf gebunden und er lächelte die Schüler freundlich an. Minerva fuhr fort: „Wie ich schon angekündigt habe, findet nächste Woche der Fachwechsel von Professor McGonagall statt, und Professor ó Racghnail wird somit fortan im Fach Pflege magischer Geschöpfe unterrichten. Professor McGonagall wird dann natürlich Professor Rodin als Lehrer für Verteidigung gegen die dunklen Künste ersetzten." Elenora setzte sich etwas aufrechter hin, als ihr Name fiel. Zwar hatte Minerva natürlich schon angekündigt, dass Elenora schon ab nächster Woche das Fach wechseln würde, aber sie hatte ihren Nachfolger noch mit keinem Wort erwähnt. Der Mann sah auch gar nicht aus wie ein Professor, so breit gebaut wie er war. Tatsächlich überragte er Minerva um fast einen Kopf und Elenora war sich nicht sicher, ob er mit seinen breiten Schultern durch die engen Türrahmen des Kerkers passen würde. Und überhaupt, wieso hatte ihr die Schulleiterin seine verfrühte Ankunft verheimlicht? Ein Blick in die Gesichter der anderen Professoren sagte ihr allerdings, dass diese wohl ebenso im Dunkeln gelassen worden waren. In Gedanken versunken bekam sie nur am Rande mit, wie ihre Tante die Rede beendete und ó Racghnail zu seinem Platz führte. Severus stupste seine Kollegin an und murmelte: „Dir hat sie auch nichts von der früheren Anreise gesagt oder?" Elenora schüttelte den Kopf und starrte die Schulleiterin vorwurfsvoll an, als diese sich wieder setzte. Als Minerva in die Gesichter ihres Kollegen und ihrer Nichte blickte, musste sie lachen. „Jetzt schaut mich nicht so an, ich wollte es für alle zur Überraschung machen." Snape verdrehte die Augen. „Du wirst langsam wie Albus, Minerva. Geheimniskrämerei war genau sein Ding." „Severus!" „Ist doch wahr." Elenora überließ die beiden ihrer Zankerei und widmete sich wieder ihrem Frühstück, nicht ohne ab und zu einen verstohlenen Blick in Richtung des Neuankömmlings zu werfen. Dieser hatte sich neben Aria Eastwood niedergelassen und war schon von ihrer Freundin in ein Gespräch verwickelt worden. Während Elenora ihn beobachtete, hörte sie ihre Tante erst, als sie von ihr leicht angestoßen wurde. „Elenora, Liebes, wärst du so freundlich unseren Neuzugang nach dem Essen auf sein Zimmer zu bringen? Er bekommt das alte Zimmer von Professor Slughorn. Oh, und vielleicht kümmerst du dich in den ersten Wochen ein bisschen um ihn, bis er sich eingewöhnt hat." „Wozu hast du einen stellvertretenden Schulleiter?", stichelte die Angesprochene und deutete auf Severus, der sie genervt ansah. „Severus hat gleich Unterricht und hat auch so schon genug zu tun. Sieh es als deine Strafe für dein heutiges Zuspätkommen an", meinte ihre Tante augenzwinkernd und erhob sich zusammen mit den anderen Lehrern vom Tisch. Unter Severus Gelächter erhob sich auch Elenora schnaubend und trat hinüber zu dem Neuen. Das letzte, worauf sie jetzt Lust hatte, war, den Babysitter für ihren neuen Kollegen zu spielen. Als dieser sie bemerkte, drehte er sich zu ihr und lächelte sie freundlich an, was seine Größe nicht unbedingt weniger unheimlich machte. Elenora räusperte sich und lächelte höflich zurück. „Professor ó Racghnail, ich heiße Sie ganz herzlich in Hogwarts willkommen. Mein Name ist Elenora McGonagall." Der Mann nickte interessiert und erwiderte: „Es ist mir eine Freude, Sie kennenzulernen, Professor." Er reichte ihr die Hand und Elenora schüttelte sie kurz, dann fuhr sie fort: „Ich begleite Sie zu Ihrem Zimmer. Wenn Sie mir bitte folgen würden?" Ohne auf ihn zu warten, machte sie auf dem Absatz kehrt und schritt erhobenen Hauptes aus der Halle heraus. Professor ó Racghnail beeilte sich, um mit ihr Schritt zu halten und Elenora legte heimlich noch einen Zahn zu. Ich habe wirklich besseres zu tun, als Zimmermädchen zu spielen, ärgerte sie sich in Gedanken und bog in den Korridor vor ihr ein. Ó Racghnail holte zu ihr auf und warf einen Blick auf die Schulmauern. „Hat sich viel verändert, seit ich das letzte Mal hier war.", gab er von sich und Elenora hob die Augenbrauen. „Sie waren schon einmal hier?" „Ja, ich bin hier zur Schule gegangen." Jetzt hatte er doch das Interesse der Gryffindor geweckt und sie drehte ihrem Begleiter den Kopf zu. „Welches Haus, wenn ich fragen darf?" „Hufflepuff." Elenora musste sich sehr zurückhalten, um nicht loszuprusten. Der junge Mann neigte fragend den Kopf, als er das bemerkte. Schnell räusperte sich Elenora und setzte ihr Pokerface wieder auf. „Entschuldigung, es ist nur... nun ja, bei Ihrer Statur hatte ich etwas erwartet." Ó Racghnail lachte leise und kratze sich am Kopf. „Ja, das habe ich schon öfter gehört. Ich schätze, Sie gehörten Gryffindor an?" Elenora nickte anerkennend und erwiderte: „Gut erkannt. Was hat mich verraten?" „Ihr Nachname.", lächelte der Professor und fügte hinzu: „Sie sind doch verwandt mit der Schulleiterin, hab' ich recht?" „Ja, ich bin ihre Nichte.", pflichtete Elenora ihm bei und blieb vor einer dunklen Holztür stehen. „Da wären wir." Sie hob ihren Zauberstab und deutete auf die Tür, die dann von selber aufschwang. Da das Zimmer einmal dem ehemaligen Slytherin Horace Slughorn gehört hatte, war es noch recht spartanisch eingerichtet. Die schweren Vorhänge verdeckten die großen Fenster und der Kamin war mit einer dicken Staubschicht überzogen. Elenora rieb sich die Hände und erklärte: „Ich schicke gleich nachher die Hauselfen vorbei, damit sie sich um das Zimmer kümmern. Es steht Ihnen frei, alles so einzurichten, wie es Ihnen beliebt, solange Sie keine Löcher in die Wände reißen. Da Sie ein ehemaliger Schüler sind, gehe ich davon aus, dass Sie die Essens- und Unterrichtszeiten kennen, sowie alle wichtigen Bereiche des Schlosses. Sollten Sie irgendwelche Fragen haben, finden Sie mich zumeist entweder im Lehrerzimmer oder in meinen Gemächern auf der Nordseite des Schlosses." Aaron ó Racghnail nickte und sah sich in dem Zimmer um, dann lächelte er Elenora dankend an. „Vielen Dank, Professor McGonagall." „Keine Ursache. Man sieht sich." Mit einem höflichen Nicken verließ sie das Zimmer und wischte sich draußen ein paar Staubkörner von ihrer Robe. Eine Aufgabe weniger auf meiner Liste, dachte sie und machte sich auf in Richtung ihrer eigenen Gemächer. Sie wusste selbst nicht, warum sie dem Neuankömmling so reserviert gegenübertrat. Vielleicht war es die Tatsache, dass Minerva sie zu seinem Aufpasser ernannt hatte, oder sein dämliches Dauergrinsen, was, wenn man so darüber nachdachte, doch sehr gut zu einem Hufflepuff passte. Kopfschüttelnd vertrieb Elenora den Gedanken an den Professor aus ihrem Kopf und ging in Gedanken ihre lange Liste an übriggebliebenen Aufgaben im Kopf durch, die heute noch anstanden. Sie würde die nächsten Wochen noch genug Zeit haben, sich mit ó Racghnail auseinanderzusetzen, aber im Moment hatte sie Wichtigeres zu tun.

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