10. Kollegen

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10. Kollegen

Am nächsten Morgen erwachte Elenora aus einem traumlosen, fast ohnmächtigen Schlaf. Poppy hatte ihr gestern Abend einen Traumlostrank verabreicht, damit sie eine erholsame Nacht hatte. Diese kam eben durch die Tür des Nebenraumes mit einem Frühstückstablett herein, welches sie auf Elenoras Tisch abstellte. „Guten Morgen. Lass es dir schmecken", begrüßte sie die Heilerin und zwinkerte ihrer Patientin zu. Elenora verspürte jedoch keinen Hunger, weshalb sie das Essen nicht anrührte. Zu schwer lag ihr das gestrige Gespräch im Magen, welches so einen katastrophalen Ausgang gehabt hatte. Teilnahmslos starrte sie die gegenüberliegende Wand an, sie war wirklich nicht in der Stimmung für Smalltalk. Madame Pomfrey bemerkte ihre geknickte Miene und kehrte zu ihrem Bett zurück. „Liebes... irgendetwas bedrückt dich, habe ich Recht? Hat es mit Severus stürmischen Abgang gestern Abend zu tun?", fragte sie sanft. Elenora war wieder den Tränen nahe. „Ich... ich glaube ich habe einen schrecklichen Fehler gemacht", flüsterte sie. Poppy setzte sich auf ihre Bettkante und strich ihr liebevoll über den Arm. „Ich weiß zwar nicht, was zwischen euch vorgefallen ist, aber eines weiß ich aus Erfahrung: Severus ist ein introvertierter Mensch. Er kann nicht gut mit Gefühlen und Zuneigung umgehen. Gib ihm Zeit. Vielleicht ist noch nicht alles verloren.", sagte sie sanft und reichte ihr den Tee vom Frühstückstablett. „Wenn du nichts essen möchtest, trink wenigstens deinen Tee. Sonst muss ich dich vielleicht doch länger als eine Woche hierbehalten." Aufmunternd lächelte Poppy sie an, dann stand sie auf und verließ den Krankenflügel, um Elenora etwas Zeit allein zu geben. Die nippte an ihrem Tee und sah aus dem Fenster hinunter auf die Weiten des Schulgeländes. Vielleicht hatte Poppy Recht und es war wirklich noch nicht alles verloren. Sie musste nur eine Möglichkeit finden, die alte Freundschaft zwischen ihnen wiederherzustellen. Das aber erschien Elenora wie eine unlösbare Aufgabe, wenn sie an den kalten, abweisenden Ton in Severus Stimme dachte. Vielleicht war es auch besser, wenn sie einfach wieder auf kollegialer Ebene mit ihm umging. Das würde ihr zwar sehr schwerfallen, aber es war vermutlich das Beste. Frustriert seufzte Elenora auf und kuschelte sich wieder in die weiche Bettdecke.

Das Wochenende verging schneller als gedacht und bald konnte Elenora die Sehnsucht nach einem normalen Schulalltag nicht mehr abschalten. Zwar bekam sie immer wieder Besuch von Minerva, Pomona und auch ein paar Schülern, aber da jetzt die Schulwoche wieder angefangen hatte, waren die meisten Schlossbewohner beschäftigt. Severus hatte sich seit dem unangenehmen Zwischenfall kein einziges Mal mehr blicken lassen, was Elenora zwar traurig stimmte, ihr aber auch Zeit gab, sich auf die neue Beziehungssituation zwischen ihnen vorzubereiten. Wenn man sechs Jahre lang eine freundschaftliche, fast familiäre Beziehung zu jemandem geführt hatte, war es schwer, wieder auf die Kollegialebene zurückzukehren, fand Elenora. Aber sie würde das schon schaffen, da war sie sich sicher. Gerade saß eine ihrer Schülerinnen bei ihr und bekam freiwilligen Nachhilfeunterricht von Elenora, die froh über diese Abwechslung war. Da öffneten sich die Türen und Minerva kam zusammen mit Rolanda Hooch und einer Gruppe Quidditch-Spieler in den Raum gestürzt. „Legen Sie ihn dahin, Madame Pomfrey sollte jeden Moment erscheinen.", kommandierte Minerva und deutete auf ein leeres Krankenbett. Die Gruppe teilte sich und zum Vorschein kam der Schüler Thomas Thackerby, der von zwei seiner Quidditch-Kollegen gestützt wurde. Sein rechtes Knie stand in einem seltsamen Winkel ab und er hatte sein Gesicht zu einer schmerzverzerrten Grimasse verzogen. Elenora sah ihren Schüler mitleidig an und fragte Madame Hooch: „Was ist passiert? Das sieht ja gar nicht gut aus." Die Quidditch-Schiedsrichterin verschränkte die Arme und seufzte. „Thackerby ist mit einem der Ravenclaws kollidiert und direkt in einen Turm reingerast. Dabei hat er sich wohl das Knie ausgerenkt. Und das Spiel hat Gryffindor auch noch verloren.", erklärte sie und sah kopfschüttelnd zu der Mannschaft, die Madame Pomfrey beobachtete, wie sie den verletzten Jungen versorgte. „Gryffindors?" Alle Köpfe drehten sich zu Elenora, die sich mühsam aufsetzte. „Ich konnte zwar heute nicht dabei sein, aber ich bin mir sicher, dass ihr hervorragend gespielt habt. Lasst euch von dieser Niederlage nicht runterziehen. Und, Thackerby?" Sie neigte den Kopf, um zu dem verletzten Schüler zu sprechen. „Mein Beileid zu Ihrer Verletzung. Aber Madame Pomfrey bekommt das wieder hin, da bin ich mir sicher." sagte sie aufmunternd. Thackerby lächelte kraftlos. „Danke, Professor." Dann trat Minerva durch die Menge. „So, euer Mitschüler braucht jetzt Ruhe und Schlaf, also verlassen Sie bitte alle den Krankenflügel. Laut Madame Pomfrey wird er morgen bereits wieder laufen können!", verkündete sie und scheuchte ihr ehemaliges Haus aus dem Raum. Elenora sagte zu ihrer Nachhilfeschülerin gewandt: „Vielleicht wäre es besser, wenn Sie jetzt auch gehen, Ms. Berkins." Das Mädchen nickte und sammelte ihre Pergamentrollen ein, dann verschwand sie ebenfalls aus dem Raum. Kaum war die Tür zugefallen, öffnete sie sich wieder und Severus Snape trat mit einem Trank in der Hand ein. „Poppy, ich- " Er brach ab, als er Elenoras Blick traf, die schnell wegsah. „Professor Snape." Nach einer kurzen Pause erwiderte er ihren steifen Gruß: „McGonagall." Der Tränkemeister stellte den Trank auf den Tisch von Thackerby, dann machte er ohne ein weiteres Wort kehrt und verließ den Raum wieder. Elenora atmete aus und legte sich zurück in ihre Kissen. Dieser formelle Gruß hatte sie einiges an Überwindung gekostet, aber sie hatte die erste Hürde geschafft. Gedankenverloren starrte sie die Decke an und fragte sich, wie es nach ihrer Genesung wohl weitergehen würde. Während der Gedankensturm in ihrem Kopf weiter wütete, überkam sie die Müdigkeit und die junge Frau döste ein.

Die Woche der Bettruhe für Elenora war fast vorüber und es war an der Zeit, dass sie wieder alltagstauglich wurde. Der erste Schritt dazu war das sichere Laufen, was sie heute zum ersten Mal ausprobieren würde. Als Absicherung standen Poppy und Minerva an ihrem Bett, um sie im Notfall aufzufangen. Elenora hatte die Beine über den Bettrand geschwungen und konnte fühlen, wie ihre Füße anfingen zu kribbeln. „Los geht's.", machte sie sich selbst Mut und drückte sich vom Bettrand ab. Als sie fast stand, zuckte ein brennender Schmerz durch ihre gebrochenen Rippen und sie knickte ein. Minerva war sofort da um sie aufzurichten, und schließlich konnte sie, auf ihre Tante gestützt, stehen. „Sehr gut! Dann versuche jetzt mal, bis zu mir zu laufen.", sagte Poppy und stellte sich einige Meter weit weg. Die junge Gryffindor holte tief Luft, löste sich von ihrer Tante und machte ein paar wackelige Schritte auf die Heilerin zu. Die beiden Frauen beobachteten jeden ihrer Schritte, während Elenora sich den letzten Meter zu Poppy bewegte. „Großartig! Das machst du sehr gut", lobte diese sie und gab ihr eine Krücke, die an der Wand gelehnt hatte. „Ich möchte, dass du dich erstmal damit fortbewegst, bis du sicher genug auf den Beinen bist. Und dass du mir den Krankenflügel nicht verlässt!", sagte sie in strengem Ton. Resigniert nickte ihre Patientin und lief ein paar Proberunden mit der Gehhilfe. Sie konnte es jetzt schon kaum erwarten, diese wieder loszuwerden. Über die nächsten Tage aber wurde sie immer sicherer und konnte sich nach kurzer Zeit schon frei bewegen, wenn auch leicht humpelnd. Am Tag ihrer Entlassung war Elenora schon früh wach und brachte zusammen mit Poppy ihre Sachen zurück in ihre Gemächer. Als sie das letzte Buch verstaut hatte, richtete sich Madame Pomfrey noch einmal an sie und drückte ihr ein paar Phiolen in die Hand. „Hier. Jeweils eine vor dem Frühstück und eine vor dem Abendessen, die werden deinen Heilprozess noch unterstützten. Wenn sich irgendetwas komisch anfühlt oder anschwillt, komm bitte gleich zu mir, in Ordnung?" Elenora nickte brav und wurde dann von Poppy zum Frühstück geschickt, was soeben begonnen hatte. Auf dem Weg dahin versuchte Elenora, ihr Humpeln irgendwie zu verstecken, was aber auf die Dauer einfach zu schmerzhaft war. Langsam bewegte sie sich schließlich auf die große Halle zu, den leicht pochenden Schmerz in ihrem Brustkorb ignorierend. Als sie den Eingang erreicht hatte, richtete sie sich so gut es ging auf und öffnete die Türen. Innen wurde es plötzlich leise, die Schüler tuschelten nur noch gedämpft miteinander. Elenora schritt voran, bemüht, sich ihr Humpeln nicht anmerken zu lassen. Alle Blicke lagen auf ihr und es brauchte eine gefühlte Ewigkeit, bis sie den Lehrertisch erreicht hatte und sich mit einem unterdrückten Stöhnen auf ihrem Platz niederließ. Minerva räusperte sich. „Nun, wie Sie alle sehen können, dürfen wir heute wieder Professor McGonagall begrüßen, die ab heute wieder unterrichten wird!" Ein höfliches Klatschen ging durch die Menge und Elenora neigte dankend den Kopf. Dann wandten sich alle ihrem Essen zu und in der Halle war schnell wieder der übliche Lautstärkepegel erreicht. Etwas entspannter fing auch Elenora an, das Essen zu genießen und beobachtete dabei die Schülermenge. Sie entdeckte Thackerby, der mittlerweile seinen Gips los war und sich angeregt mit seinen Freunden unterhielt. Elenora fasste sich an die Seite und wünschte sich, sie könnte ihren Verband auch endlich ablegen. Leider würde sie ihn noch mindestens zwei Wochen tragen müssen, damit ihre Rippen wirklich gut verheilen konnten. Elenora biss herzhaft in ein Croissant und begutachtete die Verzierungen ihres Glases, um nicht mit ihrem Sitznachbarn sprechen zu müssen. Snape nippte ab und zu an seinem schwarzen Tee und beachtete sie nicht weiter, was ihr nur recht war. Sie hatte keine Ahnung, wie sie ein Gespräch mit ihm anfangen sollte, also beließ sie es dabei und stand gleichzeitig mit Pomona auf. Erhobenen Hauptes verließ sie den Lehrertisch und wurde auf dem Weg nach draußen von Professor Sprout in ein angeregtes Gespräch über Freiluft-Unterricht verwickelt. 

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