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„Mal?", fragte ich am nächsten Montag und lehnte mich mit verschränkten Armen gegen das Regal mit dem Fischfutter. Er war gerade dabei, einen toten Fisch aus einem der Becken zu angeln.

„Was ist? Bist du fertig mit dem Einschlichten des Hundefutters?"

„Machst du Witze? Ich hab noch nicht mal angefangen." Ich schüttelte den Kopf. „Nein, ich wollte dich was fragen."

„Du kriegst keine Gehaltserhöhung", seufzte Mal und sah hochkonzentriert aus, während er den Fisch mit dem Netz fangen wollte. „Nicht für die Arbeit, die du hier ablieferst."

„Danach wollte ich nicht fragen." Erwiderte ich, weil mir klar war, dass ich für das ständige Zuspätkommen und meine Trägheit bei der Arbeit nicht über die neunhundert Dollar im Monat kommen würde. „Aber... du bist doch ein guter Mensch, oder? Dir gehen deine Mitmenschen nicht völlig am Arsch vorbei."

Er warf mir einen belustigten Blick zu. „Du meinst, so wie dir?"

„Genau. Deshalb wollte ich deine Meinung zu etwas hören."

Mal war sich offenbar nicht sicher, ob ich ihn auf den Arm nehmen wollte, als er sich wieder zu den Fischbecken drehte. „Okay... zu was?"

„Da ist dieses Mädchen-"

„Ich habs mir anders überlegt", unterbrach er mich und holte das Netz mit dem Fischleichnam heraus. Ich verdrehte die Augen.

„Sie heißt Alaina, sie war letztens mit dem weißen Hasen hier."

„Okay? Was ist mit ihr?"

„Sie hat früher in meiner Wohnung gewohnt und hatte offenbar einen Stalker, dessen Post ich jetzt bekomme. Dabei waren schon: Briefe, ein aufgeschlitzter, lila Stoffhase und selbige Briefe in einem Müllsack, die ich weggeworfen habe. Und zwar auf meinem Küchentisch. Der Stalker hat ein Kärtchen beigelegt und will, dass ich ihr diese Briefe bringe. Was würdest du tun?"

Mal blinzelte mich an. „Du weißt, dass ich dich für das Trinken bei der Arbeit feuern kann, ja?" Er schüttelte den Fisch aus dem Netz in ein kleines Pastiksäckchen.

„Ich bin nicht betrunken, das ist mein völliger Ernst."

Müde schüttelte er den Kopf. „Geh das Hundefutter einschlichten. Ich hab für sowas keine Zeit."

Tja. Ich hatte es versucht. Ich hatte heute Morgen beschlossen, es dem Schicksal zu überlassen und die erste Person um Rat zu fragen, der ich begegnen würde. Aber der Hausmeister, der gerade die Treppen mit einem Mopp gewischt hatte, hatte mir nur den Vogel gezeigt, also hatte ich dem Ganzen noch eine Chance geben wollen. Nur wollte Mal mir offenbar auch keine ordentliche Antwort geben, also... würde ich Alaina in Ruhe lassen, so wie Rey es mir geraten hatte. Vielleicht würde ich die Briefe verbrennen, dann konnte der Stalker nicht von mir verlangen, sie Alaina zu bringen, richtig?

Den Tag verbrachte ich mit Einschlichtarbeiten und damit, dass ich diversen Kunden sagte und zeigte wo was in welchem Regal stand.

Als ich nach der Arbeit nach Hause fuhr, entdeckte ich den unübersehbaren blauen Meerjungfrauenzopf an dem schönsten Mädchen der Welt, als Juliana die Straße entlangging. Mein Auto rollte zu der roten Ampel vor und ich konnte Juliana dabei beobachten, wie sie ein Geschäft mit gläserner Frontscheibe betrat.

Die Autos hinter mir hupten, weil es mittlerweile grün war, und ich wusste, dass ich mehr und mehr zu einem Irren konvertierte, als ich meinen Wagen in der nächsten Seitenstraße parkte und zu dem Laden zurückmarschierte, den Juliana betreten hatte.

Kein Laden, wie mir auffiel. Eine Arztpraxis. Ich überflog die gläserne Tafel mit der Innschrift.

Dr. Cynthia Brown - Psychotherapeutin

Ha! Du kannst dich gleich mit in die Sitzung setzen, wenn du weiter hinter Leuten hergehst, hinter denen du nicht hergehen solltest.

Obwohl ich mir sicher war, dass es pure Neugierde war und keine heranwachsende psychische Störung, die mich dazu getrieben hatte, Juliana zu folgen.

Psychotherapie... Im ersten Moment dachte ich: Wunderbar. Der Sex mit mir hat sie so kaputt gemacht, dass sie zur Therapie muss.

Doch dann las ich direkt darunter die Worte: Trauertherapie – Psychotherapie für Hinterbliebene.

Ich war zu gleichen Teilen erleichtert und verstört. Ihre Anwesenheit hier hatte nichts mit mir zu tun, das war doch was. Aber andererseits konnte ich nur annehmen, dass es hierbei um Michael ging. Ich war mir nicht sicher, wann er gestorben war, wenn sie es erwähnt hatte, dann hatte ich es vergessen, aber wenn sie noch in Therapie ging, konnte es nicht allzu lange her sein, oder?

Ich beschloss, dass ich von hier verschwinden sollte, wenn ich nicht wie ein kranker Stalker vor dem Seelenklempnerladen herumlungern wollte, und ging zurück zu meinem Wagen.

Zu Hause angekommen dachte ich lange Zeit darüber nach, ob ich mein gekränktes Ego beiseiteschieben und noch einmal versuchen sollte, mit Juliana zu reden, bis ich mich dazu durchringen konnte, einen Zettel herauszukramen und in Blockbuchstaben draufzuschreiben: Spazieren mit den Kötern? -Simon.

Ich hätte natürlich auch anklopfen und sie fragen können, aber eine weitere Abfuhr von Angesicht zu Angesicht hätte meinem Ego das Leben gekostet. Und das konnte ich nicht zulassen. Was wäre mir ohne mein Ego noch geblieben? Ich hatte keine Seele. Mein Ego war das einzige, das diesen hohlen Körper ausfüllte, und ich würde es beschützen!

Trotzdem schob ich den Zettel wie ein liebeskranker Fünfzehnjähriger unter ihrem Türspalt hindurch und bereute es noch im selben Moment. War ich denn komplett verrückt geworden? Hatte ich jetzt endgültig den Verstand verloren?

Ob ich ihn mit einem Staubsauger wohl wieder unter dem Spalt würde zurücksaugen können?

Mit einem Seufzen schlurfte ich wieder in mein Apartment zurück mit dem nagenden Gefühl, dass ich nie wieder etwas von diesem Mädchen hören würde.

Als ich spätabends noch vor dem Fernseher saß, um darauf zu warten, dass Loaf mich ein letztes Mal zum Gassigehen motivieren wollte, hörte ich das raue Schleifen auf dem Boden, als ein Zettel unter meiner Türe durchgeschoben wurde.

Ich blickte an die Decke und kniff die Augen zusammen. „Bitte, bitte, lass es Juliana und nicht den Stalker gewesen sein."

Ich hievte mich von der Couch, hob den Zettel auf und faltete ihn auseinander. Es war derselbe, den ich unter ihre Türe geschoben hatte.

In geschwungenen Zahlen stand ihre Telefonnummer, direkt neben ihrer Antwort: Morgen? Um sieben?

Der Stalker meiner VormieterinWo Geschichten leben. Entdecke jetzt