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Liv und ich waren uns das erste Mal in der Junior High begegnet. Wir waren im selben Jahrgang gewesen und hatten fast denselben Stundenplan gehabt. Sie hatte nicht von Anfang an zu den beliebten Mädchen gehört, aber je mehr Zeit verstrichen war, desto mehr war klar gewesen, wer am Ende die Abschlussballkönigin sein würde. Es hatte lange gedauert, bis sie begriffen hatte, wie sie sich in die Herzen ihrer Mitmenschen schmuggeln konnte, sodass sie einfach niemand mehr aus dem Gedächtnis hatte streichen können.

Einige Jahre hatten wir unsere Zuneigung füreinander so ausgedrückt, wie Dreizehnjährige das nun einmal tun. Ich hatte ihr auf Klassenfahrten Kaugummi ins Haar geklebt, an ihrem Rock gezogen oder mit meinen Freunden genau auf dem Tisch von ihr und ihrer Tischnachbarin Armdrücken gemacht. Ich hatte sie auf der Sportwoche mit meinem Kajak gerammt (bitte nicht aus dem Kontext nehmen) und sie war ins Wasser gefallen und hatte sich mächtig bei ihren Freundinnen über mich beschwert und als Mistkerl beschimpft, weil ich ihre Haare ruiniert hatte. Sie hatte sich gerne öffentlich lautstark über mich beklagt. Nur war ich mir bis heute nicht sicher, ob das daran lag, dass sie meine Aufmerksamkeit haben wollte, oder weil ich wirklich ein Idiot war.

Erst als wir sechzehn oder siebzehn gewesen waren, hatten wir begonnen, auf andere Art auszudrücken, dass wir einander mochten. Es war nach den Sommerferien gewesen, wir hatten beide einige Wochen gehabt, um abzukühlen und der neue Schulstart war die perfekte Ausrede gewesen, um einander nicht mehr ständig in die Haare zu kriegen, ohne dass unser plötzlicher Meinungswechsel voneinander über Nacht passiert wäre und super viel Aufmerksamkeit auf sich gezogen hätte. Die unausgesprochene Sitzordnung in den Klassenräumen (Mädchen neben Mädchen und Jungen neben Jungen) hatte sich in Luft aufgelöst und wir waren bunt durcheinander gemischt an unseren Tischen gesessen. Liv und ich waren in Chemie und Spanisch Sitznachbarn gewesen und hatten uns (trotz anhaltender Sticheleien und Neckereien) gut verstanden. In der zehnten Klasse hatten sich auch unsere Freundesgruppen vermischt, denn wir hatten als einzige aus der Schulstufe gemeinsam Nachmittagsunterricht gehabt und davor immer alle zusammen Mittag gegessen.

Ich hatte Liv in Chemie weiter geholfen, sie mir dafür in Geschichte. Irgendwann waren wir von der Schulbibliothek zum Lernen zu mir oder ihr nach Hause ausgewichen. Daraus hatten oft Abendessen mit meiner Familie resultiert, wenn Liv nach den Hausaufgaben noch geblieben war. Oder wir hatten uns bei ihr noch einen Film angesehen und ich hatte mit ihrem Bruder über Call of Duty reden können. Ich hatte nie eine PS4 gehabt, also hatte ich mich auf seine gestürzt.

Irgendwann in der elften Klasse hatten wir aufgehört, Schule und Hausaufgaben als Ausrede zu benutzen, wenn wir Zeit miteinander verbringen wollten. Sie hatte ein paar Mal spontan bei mir übernachtet, wenn es zu spät geworden war, als dass sie noch hätte nach Hause fahren wollen. In irgendeiner dieser spontanen Übernachtungen hatten wir einander wieder einmal geärgert und daraus war spielerisches kitzeln und daraus heftiges knutschen geworden.

Und dann waren wir zusammen gewesen. Einfach so. Es hatte gar keines Gespräches bedurft. Nach dieser Nacht der heftigen Knutscherei (von mir aus hätte es auch mehr werden können, aber sie hatte mich diesbezüglich noch auf Abstand gehalten) waren wir zusammen gewesen. Wir hatten uns in den Schulfluren geküsst, unter den Schulpulten Händchen gehalten und eine Zeit lang war alles rosarot gewesen. Wirklich rosarot. Ich bin der festen Überzeugung, dass Liebe sogar den miesesten Miesepeter in ein Schäfchen verwandeln könnte.

Meine Eltern hatten sie geliebt. Ihre Eltern... nun ja. Sagen wir einfach sie hatten die Meinung, die die meisten Eltern von mir hatten. Aber sie hatten mich akzeptiert und waren nie unfreundlich oder dergleichen gewesen. Sie hatten mich eher im stillen Kämmerchen verteufelt.

Unser erster Streit war im August ausgebrochen, im ersten Jahr unserer Beziehung. Es war der Monat, in dem ich mit meiner Familie immer für drei Wochen weggeflogen war. Über der Küchenspüle hing sogar eine Weltkarte, an der meine Mom mit Pinnwandnadeln fleißig alle Orte markierte, an der jeder schon gewesen waren. Mom hatte die Nadeln mit den weißen Köpfen, Dad die mit den schwarzen. Ich war rot, Sophie war blau, Cal gelb und Cora grün. Und wenn wir alle zusammen an einem Ort gewesen waren, wie bei diesen dreiwöchigen Familienurlauben zum Beispiel, dann war der Stecknadelkopf violett.

Wir waren auch an Weihnachten oft fortgeflogen, allerdings hatten Mom und Dad sich mit uns Kindern aufgeteilt. Soll heißen, Dad war meist mit Sophie und mir verreist, Mom mit Cal und Cora, als die beiden auf der Welt waren. Die Urlaube im Winter hatten mir immer mehr gefallen, weil Mom und Dad nicht zusammen gewesen waren und demnach nicht hatten streiten können.

Aber zurück zu dem ersten großen Streit zwischen mir und Liv. Sie hatte nämlich im August Geburtstag. Genau zu der Zeit, zu der meine Eltern den Flug nach Ägypten gebucht hatten. Gott, wäre ich gerne nach Ägypten geflogen und hätte mir die Sphinxe angesehen, aber als Liv davon erfahren hatte, hatte sie fast zu heulen begonnen.

„Das kannst du nicht bringen!", hatte sie verzweifelt gerufen. „Alle meine Freunde sind an meinem Geburtstag im Urlaub, nur ich sitze hier fest und werde alleine achtzehn. Ich hab gedacht, dass wenigstens du da bist!"

„Liv, du kannst nichts für deinen Geburtstag, aber der Monat ist einfach beschissen. Die Leute sind nun Mal auf Urlaub. Wieso feierst du deinen Geburtstag nicht, wenn alle wieder da sind? Es geht doch wohl darum, dass all deine Freunde auf einem Haufen sind und nicht um den Tag, oder?" Ich hatte sie damit besänftigen wollen, aber sie hatte mich angesehen, als hätte ich den Verstand verloren.

„Simon, wir reden hier von meinem Geburtstag! Den kann man nicht einfach verschieben oder nachfeiern, das ist nicht richtig! Er ist am zehnten August und ich werde ihn nicht früher und nicht später feiern! Es ist mein Tag. Und ich hab nur einmal im Jahr meinen Tag und der soll verdammt nochmal auch gefeiert werden. Von allen, aber ganz besonders von dir! Das ganze Jahr über bin ich für alle anderen da, aber das ich mein Tag, meiner!"

Wir hatten noch einige Zeit darüber diskutiert. Gestritten. Das ganze hatte sich sogar so hochgeschaukelt, dass sie nicht einmal mehr an ihr Handy gegangen war, wenn ich versucht hatte, sie zu erreichen. Sie hatte absolut nicht einsehen wollen, wie ich so egoistisch hatte sein können und mit meiner Familie in den jährlichen Urlaub hatte fliegen wollen; in einem Zeitraum, in dem sie nun Mal Geburtstag gehabt hatte.

Die Sphinxe hatte ich bis heute nicht gesehen. 

Der Stalker meiner VormieterinWo Geschichten leben. Entdecke jetzt