Den gesamten Tag über konnte ich nicht aufhören, an Juliana zu denken und an jede Sekunde, die wir an diesem Morgen zusammen im Park verbracht hatten. Ich meckerte nicht ein einziges Mal, wenn Malcom mir Einschlichtarbeiten auftrug oder mir sagte, dass ich nach der Arbeit bleiben und das Kaninchengehege säubern sollte.
Ihn überraschte meine gute Laune auch.
Vielleicht hatte Juliana mich ja verhext. Mich zu einem guten Menschen gemacht.
Ekelhaft.
Aber trotzdem erwischte ich mich dabei, wie ich wie der letzte Vollidiot die Hasenscheiße angrinste. Mal fragte mich abermals, ob ich getrunken hatte. Er sagte mir, dass ich den Laden abschließen sollte, bevor er ging und ich kontrollierte sogar, ob alle Tiere genügend Wasser für die Nacht hatten und ob ihre Gehege gut verschlossen waren.
Die Sonne neigte sich langsam ihrem Untergang und mir war noch nicht danach, nach Hause zu gehen. Loaf hatte ich heute tatsächlich mit in die Arbeit genommen, weil Sophie mir geschrieben hatte, dass sie mit den Kleinen nach der Schule vorbeischauen wollte. Sie waren nur kurz da gewesen und nachdem Loaf vom Spielen mit Cal und Cora müde gewesen war, hatten sich die beiden den Kaninchen gewidmet, bevor sie wieder nach Hause gefahren waren, weil Sophie einen ganzen Berg Hausaufgaben zu erledigen hatte.
„Was meinst du?", fragte ich Loaf auf dem Heimweg. „Worauf hast du Lust? Ich bin so gut gelaunt, dass ich sogar ein zweites Mal mit dir in den Hundepark gehen würde." Loaf sah mich aus großen, treuen Augen an und wedelte mit dem Schwanz. „Du hast Recht. Ohne Juliana und A.T. macht es bestimmt nicht so viel Spaß, aber vielleicht..." Ich begann zu grinsen. „Vielleicht könnte ich sie anrufen und fragen. Sie hat mir ihre Nummer gegeben. Oder ist das zu aufdringlich?" Ich betrachtete Loaf und wünschte, sie wäre jemand, den ich um echten Rat fragen könnte.
Juliana war eben eine Person, bei der ich nicht das Gefühl hatte, Erwartungen treffen zu müssen. Ich konnte so sarkastisch sein, wie mir der Sinn danach stand und schonungslos ehrlich vor mich hinplappern, ohne dass es sie ernsthaft störte. Sie konnte mit der Wahrheit und anderen Meinungen umgehen, das mochte ich.
„Ich hab Durst", beschloss ich. Es war recht warm und die Sonne hatte genügend Zeit gehabt, den Asphalt unter meinen Füßen ordentlich aufzuheizen. „Holen wir uns was zu trinken und entscheiden dann."
Also steuerten wir den nächstgelegenen Supermarkt an. Loaf musste draußen warten, aber sie schloss bereits mit einem riesigen Labrador Freundschaft und nachdem ich ihre Leine an einem Haken befestigt und sichergestellt hatte, dass der Labrador nicht Loafs Gesicht fressen würde, betrat ich das riesige Geschäft. Ich war noch nie hier drinnen gewesen (die meisten meiner Lebensmittel nahm mir Mrs. Graves mit, wenn sie einkaufen ging, oder meine Mom packte an Sonntagen alles, was sie so in ihrem Kühlschrank hatte, in eine Tasche) und hatte keine Ahnung, wo die Getränke waren. Und die Snacks. Also folgte ich den Schildern.
Ich nahm eine Cola für mich und eine Pepsi (vielleicht) für Juliana aus dem kleinen Kühlschrank, bevor es mich zu den Chips trieb. Ich stand gute zehn Minuten vor dem Regal und konnte mich nicht entscheiden, bevor ich nach den Erdnussflips griff und mich auf den Weg zur Kassa machte, als plötzlich eine Person in mich hineinlief und beinahe umrempelte, obwohl sie einen guten Köpf kleiner war als ich.
Ich wollte bereits einen Vortrag herunterrattern, ob dieser Person keine Augen im Kopf hatte, als ich in die tiefblauen Augen blickte und mir der Atem wegblieb.
Wie? Wie war das möglich?
Alaina fragte sich vermutlich dasselbe und verfluchte nebenbei noch Gott und die Welt, denn sie trat zwei große Schritte zurück und starrte mich aus großen Augen verunsichert an.
Bevor ich etwas sagen konnte, fragte sie mich: „Verfolgst du mich?"
Ich blinzelte sie fassungslos an. Überall wo ich war, schien sie aufzutauchen und sie fragte mich, ob ich sie verfolgte?
„Ich dich?", brachte ich heraus und hob die Colaflasche vom Boden auf, die mir bei dem Zusammenprall aus der Hand gefallen war. Dann betrachtete ich ihren Einkaufskorb, der mit alltäglichen Lebensmitteln gefüllt war. „Was machst du hier? Du wohnst doch gar nicht hier! Warum kaufst du hier ein?"
Sie sah mich erschrocken an und trat noch einen Schritt zurück. „Woher weißt du wo ich wohne?"
Gut, da hatte ich nicht nachgedacht. Etwas Dämlicheres hätte ich nicht von mir geben können. Aber ich konnte einfach nicht fassen, dass ich absolut nichts tat, um diesem Mädchen nahe zu sein (im Gegenteil: Ich versuchte sogar schon, die Orte zu meiden, an denen ich sie vermutete) und ihr trotzdem überall über den Weg lief. War das Gottes Strafe für... die paar hundert Sünden der letzten zweiundzwanzig Jahre?
Und jetzt dachte Alaina tatsächlich, dass ich ihr Verfolger war.
Sowas kann auch nur dir passieren!
Sie musste nicht unbedingt wissen, dass ich ihr bis vor ihre Haustüre gefolgt war, um herauszufinden, wer sie war und wo sie wohnte, aber mein Schweigen auf ihre Frage jagte ihr offensichtlich noch mehr Angst ein.
„Okay, weißt du was?" Sie stellte den Einkaufskorb ab und lächelte mich nervös an. „Ich... Ich werde einfach gehen." Auf dem Absatz machte sie Kehrt, sah sich nicht einmal mehr um, und plötzlich war ich mir ziemlich sicher, dass ich noch heute Abend im Polizeipräsidium landen würde, wenn ich die Sache nicht aufklärte.
„Alaina, warte!", rief ich, aber jetzt rannte sie wie der Teufel aus dem Supermarkt, vielleicht, weil sie mir (ähnlich wie ihre Adresse) nie ihren Namen verraten hatte, weil wir uns nur flüchtig in der Tierhandlung und dann in dem verdammten Strip-Club getroffen hatten, den ich ihretwegen mied!
„Alaina!", rief ich noch einmal, ließ die beiden Flaschen und die Flips-Packung fallen und rannte ihr nach. Ich musste ein paar Obstständen, zwei Mitarbeitern und einer Oma mit Trolley ausweichen, aber ich erwischte Alaina trotzdem vor dem Eingang zum Supermarkt.
„Alaina, warte!" Ich griff nach ihrem Arm und sie fuhr herum mit einem Gesichtsausdruck, der mich wissen ließ, dass sie bereits ohne Zweifel beschlossen hatte, dass ich ihr Stalker war.
Als ob ihr Stalker so dämliche Anfängerfehler gemacht hätte.
Doch nachdem ich die unheimlichen Briefe kannte, die sie vermutlich monatelang bekommen hatte, überraschte mich ihre Reaktion kein Stück.
„Woher kennst du meinen Namen?", fragte sie angsterfüllt. „Wer bist du?!"
„Hör mir zu!" Ohne es zu wollen, packte ich sie an den Oberarmen, damit sie nicht weglaufen würde. Rückblickend hätte ich ihr vermutlich nur dann noch mehr Angst einjagen können, wenn ich ein Klappmesser oder so hervorgezogen hätte. Sie wurde total panisch und begann mit Leibeskräften um sich zu schlagen und zu treten.
„Lass mich los!", brüllte sie.
„Ich bin nicht dein Stalker!", rief ich entgegen und für einen Augenblick hörte sie auf sich zu wehren.
„Was? W-Woher weißt du dann von ihm? Wer zur Hölle bist du?!" Ihr Gesicht war ein einziges, verängstigtes Fragezeichen und das konnte ich ihr nicht verübeln.
„Mein Name ist Simon Parker. Ich wohne seit ein paar Wochen in der Wohnung, in der du davor gewohnt hast." Sie zog die Augenbrauen zusammen und ich konnte kaum glauben, dass ich ihr das wirklich erzählte. „Und ich habe über ein Dutzend Briefe von deinem Stalker erhalten."
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Der Stalker meiner Vormieterin
Ficção AdolescenteFür Simon hat eben erst ein neues Leben angefangen. Endlich frei von dem Dauerkrieg Zuhause und frisch von seiner Freundin getrennt, will er sich, nicht zu weit weg, ein eigenes Leben aufbauen, auch, wenn er noch nicht so recht weiß, wie das aussehe...