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Am Sonntagmorgen wachte ich schon um sieben Uhr auf. Ich hatte von Vermisstenanzeigen mit meinem Gesicht darauf geträumt und davon, dass der Stalker sauer war, dass Alaina in meinem Bett schlief.

Da ich wusste, dass ich sowieso nicht mehr würde einschlafen können, ging ich ins Badezimmer, putze mir die Zähne, nahm Loaf an die Leine, die mir nachgedackelt war und warf einen vorsichtigen Blick in mein Zimmer. Alaina schlief offensichtlich noch und ich schrieb auf einen Zettel, dass ich mit Loaf spazieren war, für den Fall, dass sie aufwachte, und legte diesen auf den Küchentisch.

Ich war noch ziemlich verschlafen, als ich die Treppen in Jogginghose und T-Shirt nach unten schlurfte, jedoch hellwach, als ich den hellblauen Schopf ins Stiegenhaus hereinkommen sah.

Es war schon fast witzig, wie oft Juliana und ich einander an den Briefkästen begegneten.

Sie kam augenscheinlich gerade von ihrem Spaziergang mit A.T. zurück und diesmal war ihr Date von gestern Nacht nicht an ihrer Seite. Erst schien sie unsicher, wie sie auf mich reagieren sollte, aber schließlich lächelte sie vorsichtig, als Loaf und A.T. einander ansprangen.

„Morgen..."

„Morgen." Ich wollte nichts sagen. Ich biss mir sogar auf die Zunge, um mir jeglichen Kommentar zu Kamara zu verkneifen, aber offensichtlich wollte Juliana heute in meine Fußstapfen von gestern Nacht treten.

„Wo hast du dein Date gelassen?", fragte sie.

Ich kniff gespielt nachdenklich die Augen zusammen. „Das letzte Mal, als ich nachgesehen habe, hat sie noch in meinem Bett geschlafen", nickte ich. „Ich dachte, ich gehe mit Loaf spazieren, solange sie schläft."

Juliana sah mich an, als wollte sie abwägen, ob ich sie anlog oder die Wahrheit sagte.

„Und wie geht's Kamara?", fragte ich dann und jetzt konnte ich wieder Belustigung in ihren Augen aufblitzen sehen.

„Er ist kein Footballspieler."

Im ersten Moment wusste ich vor Überraschung nicht, was ich erwidern sollte. „Du weißt, wer Kamara ist? Ich dachte, Mädchen wissen sowas nicht."

„Die Saints waren Michaels absolute Favoriten." Ein leises, beinahe neckisches Lächeln huschte über ihre Lippen, weil sie es genoss, dass ich nicht damit gerechnet hatte, dass sie Kamara kannte. „Hinter welchem Team stehst du?", fragte sie dann.

„Keinem, ich hasse Football."

Neckisch verschränkte die Arme vor der Brust. „Und doch weißt du, wer Alvin Kamara ist."

„Nur, weil ich immer Liebesbriefe von ihm bekomme." Ich zuckte mit den Schultern. „Soll vorkommen. Er schwärmt über meine tollen Haare."

Sie lächelte. „Deine Haare sehen aus, als wären sie stetig heftigem Seitenwind ausgesetzt. Ich nehme an, du hast das Gel nach deinem Date gestern Nacht nicht mehr ausgewaschen. Und dem Winkel deiner Haare nach zu urteilen, hast du auf der rechten Seite geschlafen."

Ich hätte nicht damit gerechnet, dass sie nach gestern Abend so redselig sein würde. Ich hatte mit peinlich berührter Abweisung gerechnet. Aber die Juliana die vor mir stand, war so gut gelaunt wie immer.

Der Sex war vermutlich fantastisch, zischte die böse Stimme in meinem Kopf, während ich mir verlegen durch die Haare fuhr.

„Man sieht sich, Simon." Sie schlenderte an mir vorbei und wollte die Treppen nach oben gehen, aber ich drehte mich um und hielt sie auf.

„Das ist unfair, ich habe dir gesagt, wo Alaina ist. Sag mir wo Kamara steckt, damit ich nicht den ganzen Spaziergang mit Loaf darüber nachdenken muss, ob er unter deiner Dusche steht."

Sie sah mich lange an und ein leises, amüsiertes Lächeln zupfte an ihren Lippen. Ich fragte mich, was es da zu suchen hatte. „Nein, er ist nicht unter meiner Dusche. Er holt uns nur Frühstück." Mit diesen Worten drehte sie sich um und verschwand nach oben.

Als ich auf die Straße trat, fragte ich mich, warum ich nach diesem Gespräch beinahe schlechter gelaunt war als letzte Nacht.

Juliana hatte gesagt, dass wir beide miteinander ausgingen. Und zack! Einen Tag später saß sie mit Kamara im Café, ging mit ihm ins Kino und jetzt holte er Frühstück. Er war bestimmt über Nacht geblieben, vielleicht sogar die letzten beiden Nächte.

Hatte ich mich so in Juliana getäuscht? Ich hatte gedacht, ein Menschenkenner zu sein.

Den ganzen Häuserblock dachte ich an Juliana und vergas darüber hinaus, Rey anzurufen und ihm zu berichten, was bei mir abging. Es fiel mir erst ein, als ich wieder in meiner Wohnung war und Alaina in meinem Badezimmer herumgehen hörte. Ihr Gesicht erschien nur Sekunden später im Türrahmen und sie bürstete sich die Haare.

„Guten Morgen", lächelte sie und Loaf rannte wieder aufgeregt auf sie zu. Alaina kniete sich auf den Boden und kraulte den Köter hinter den Ohren, während ich ihr Futter bereitstellte. Das für Loaf, nicht Alainas, natürlich.

„Ich bin erleichtert", sagte sie. „Ich dachte wirklich, dass heute Nacht hier noch jemand einbricht und... mich umbringt oder so."

Sobald ich Loaf das Futter hingestellt hatte, war Alaina nebensächlich für sie und sie trabte auf ihren dreieinhalb funktionierenden Beinen zu mir.

„Was meinst du, wann die Polizei sich melden wird?", fragte sie. Ihr war bestimmt nicht entgangen, dass ich noch kein Wort gesagt hatte und versuchte das mit einer direkten Frage zu ändern.

„Morgen, schätze ich." Ich rieb mir über die Stirn. „Hey, es ist Sonntag, ich fahre dann rüber zu meiner Familie. Du kannst hier bleiben, wenn du möchtest, solange deine Wohnung nicht betretbar ist."

Sie lächelte wieder. „Hast du Hunger? Ich fühle mich echt mies, weil ich... so einfach in dein Leben reinschneie. Ich lade dich zum Frühstück ein, wenn du willst."

Und wieder wollte mir ein Mädchen mein Essen zahlen. Nur diesmal fühlte es sich anders an. Alaina wollte sich für etwas revanchieren, das ich für sie tat, das nahm ich gerne an, denn ich hatte nichts zu essen zu Hause und Mrs. Graves ging erst morgen wieder einkaufen.

Also zog ich mich rasch um, rasierte mir den Einwochenbart weg, nahm Loaf wieder an die Leine und wir gingen zu Starbucks, weil es das nächste Café war. Um diese frühe Uhrzeit an einem Sonntagmorgen waren nicht viele Leute hier, also konnten wir unser Essen ohne zu warten bestellen und setzten uns dann an die Fensterfront.

Nach meinem vegetarischen Tomaten, Gurken, Käse Sandwich und einem (hoffentlich) vegetarischem Cakepop war ich schon wesentlich besser aufgelegt, als ich die Kappe des (bestimmt vegetarischen) Orangensaftes abschraubte.

„Wie hast du geschlafen?", fragte ich. „Ich hab nur kranken Stalkermüll geträumt."

„Ich auch", nickte sie und lächelte schief. „Gewöhn dich dran."

„Hast du heute etwas Bestimmtes vor?"

Sie trank einige Schlucke aus ihrer Zitronenlimonade und ließ den Blick aus dem Fenster gleiten. „Mich in deiner Wohnung verstecken, schätze ich. Lässt du mir deinen Hund da, während du weg bist? Ich fange an, den kleinen Kerl zu mögen."

„Willst du sie haben?", fragte ich sofort. „Bitte, nimm sie mir ab."

Alaina schüttelte lächelnd den Kopf. „Das würdest du doch gar nicht wollen."

Ich kniff die Augen zusammen. „Wie kommst du darauf?"

„Naja, du hast Loaf hier her mitgenommen. Und das erste, was du getan hast, nachdem du aufgestanden bist, war, mit ihr spazieren zu gehen und sie zu füttern. Du hast sie nicht in deinem Zimmer bei mir heute Nacht eingesperrt, sondern bei dir im Wohnzimmer schlafen lassen, das-"

„Versuchst du gerade, mich zu analysieren?"

„Das hab ich mir von dir abgeschaut", entgegnete sie und blinzelte mich unschuldig an.

Ich fing an, dieses Mädchen zu mögen.

Der Stalker meiner VormieterinWo Geschichten leben. Entdecke jetzt