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Es war der elfte beschissene Brief, der in meinem Briefkasten gelandet war, seit ich in die Barclay Street in New York gezogen war.

Die ersten Umschläge hatte ich gekonnt ignoriert, aber langsam wurde mir unwohl bei der Sache. Besonders, da mir bei Brief Nummer drei bewusst geworden war, dass keiner dieser Briefe für mich gedacht war. Vermutlich hätte ich sie gar nicht lesen dürfen (Briefgeheimnis und so), aber ich war der Meinung, dass die Leute ihre Post eben besser beschriften sollten, wenn sie nicht wollten, dass fremde Menschen sie lasen. Der Schreiber hatte von langem, Ahornsirup-braunem Haar und Schneewittchen-weißer Haut gesprochen. Indigoblauen Augen und einer zierlichen, bewundernswerten Statur.

Ich war ein 1,84 Meter großer Kerl, hatte kurze, dunkle Haare und grüne Augen.

Dass ich die Briefe trotzdem alle weiterhin geöffnet hatte, war vermutlich weniger meinen schlechten Manieren, sondern viel eher meiner unersättlichen Neugierde zuzuschreiben. Die Briefe waren alle auf dem Computer geschrieben worden und beinhalteten sowohl kitschig-gruselige Anbetung, sowie unübersehbare Drohungen.

Es waren keine schnulzigen, etwas schrägen, Liebesbriefe, wie ich zu Anfang vermutet hatte.

Nein, der Schreiber war ein Stalker, ohne Frage. Mit solchen Leuten hatte ich noch nie zu tun gehabt (mal abgesehen von dem gruseligen Emo-Mädchen, das mich für etwa eine Woche überall hin verfolgt hatte, als ich fünfzehn gewesen war). Allerdings war es wohl ein unfassbar schlechter Stalker, wenn er nach guten fünf Wochen immer noch nicht bemerkt hatte, dass seine eigentliche Zielperson gar nicht mehr in der Wohnung wohnte, zu der er seine unheimlichen Briefe regelmäßig schickte.

„Du solltest zur Polizei gehen", bemerkte Rey, der am Küchentisch saß und seine Hand um die Flasche Bier geschlossen, die er sich zuvor aus dem Kühlschrank genommen hatte.

Seit ich hier her gezogen war, hatte sich mein Auto gegen mich verschworen. Wöchentlich hatte es einen anderen Schaden gehabt. Rey hatte ich in der Werkstatt kennengelernt. Er arbeitete seit einigen Monaten dort und bei meinem ersten Besuch, hatten wir uns nach der Reparatur der Bremsen meines Wagens auf dem kleinen Fernseher das Baseballmatch mit den anderen Mechanikern, die gerade nichts zu tun gehabt hatten, und zwei Six-Packs Bier angesehen.

Ich schätze, wir waren seit dem sowas wie Freunde. Eine Sache, die ich nie wirklich gehabt hatte.

„Ja, ich bin sicher, die Idee ist der Person, die vor mir hier gewohnt hat, noch gar nicht gekommen", bemerkte ich spitz und studierte die Zeilen des heutigen Briefes.

„Alter, Parker, der Kerl verfolgt dich."

„Nein, er oder sie verfolgt eine Person, die nicht mehr hier wohnt." Und es war immerhin kein richtiges verfolgen. Schließlich fühlte ich mich nicht unbedingt von einer schwarzen, maskierten Gestalt auf all meinen Wegen verfolgt und beobachtet.

Ich setzte mich auf der alten, zersessenen Couch auf und räusperte mich. „Der Gedanke an meine Hände über deiner honigweichen Haut erfüllt mich mit Hoffnung. Nachts träume ich davon, sie dir vom Körper zu schneiden, um sie anziehen zu können. Ich will in dir sein. Es fühlt sich bestimmt gut an, in dir zu sein", las ich in meiner besten unheimlicher-Nachbar-Stimme vor. Rey verzog angewidert das Gesicht.

„Das ist ekelhaft. Asqueroso! Wenn ich täglich solche Briefe kriegen würde, würde ich auch ausziehen."

„Nicht täglich", erwiderte ich. „Nur jeden Mittwoch und Sonntag."

„Das heißt, die Briefe kommen nicht mit der Post? Sonntags wird keine Post geliefert. Zumindest keine normale."

„Wow, wie clever. Warst du mal Detektiv?" Ich hob die Augenbrauen und Rey rollte mit den Augen.

„Heißt das, wer auch immer die Briefe schreibt, wirft sie hier persönlich in den Briefkasten?"

„Nicht unbedingt. Es gibt sicher genug Leute, die für ein bisschen Kleingeld den Laufburschen spielen." Ich faltete den Brief wieder zusammen und schob ihn zurück in den Umschlag. Wahrscheinlich hätte ich mich lediglich am Mittwoch oder Sonntag für vierundzwanzig Stunden auf die Lauer legen müssen, um ihn zu erwischen (denn dieser Stalker schien mir nicht der hellste Stern am Himmel zu sein), oder auf jemanden zu stoßen, der mir sagen konnte, wer der Briefschreiber war. Aber um ehrlich zu sein, juckte es mich nicht wirklich, wer oder warum jemand Briefe an diese Adresse schickte. Und da der Stalker sein eigentliches Zielobjekt ganz offensichtlich aus den Augen verloren hatte, sah ich keinen Grund darin, Panik zu schieben.

Ich stand auf, ging zu Türe, zog die oberste Schublade der Kommode rechts neben dem Eingang auf und ließ den Umschlag zu den anderen Briefen gleiten.

„Was hältst du von einer Wette?", fragte Rey plötzlich und ich drehte mich zu ihm.

„Einer Wette?"

„Ich wette mit dir um hundert Mäuse. Wenn du herausfindest, an wen die Briefe sind, hast du gewonnen."

Ich verschränkte die Arme vor der Brust und betrachtete ihn verwirrt. „Warum interessiert dich das?"

Er zuckte mit den Schultern. „Wer auch immer die Briefe schreibt ist eindeutig ein Psychopath. Ich würde gerne wissen, wer die Frau ist, von dem der Typ schreibt. Nur um sicher zu gehen, dass es ihr gut geht." Ich zog die Augenbrauen zusammen. Tatsächlich war mir dieser Gedanke nicht gekommen, denn der Stalker hatte offensichtlich nicht bemerkt, dass ich hier wohnte, also war diese Frau in Sicherheit. Von mir aus konnte es so bleiben. Die Briefe schockierten mich nicht mehr und der Frau ging es vermutlich auch gut.

„Warum findest du es dann nicht selbst raus?", fragte ich.

Er zuckte mit den Schultern. „Hey, ich bin vielleicht Mexikaner, aber im Gegensatz zum Volksglauben nicht kriminell. Du dagegen-"

„Ich bin doch kein Verbrecher!", protestierte ich empört. Nur weil ich hin und wieder ein bisschen tiefer grub, als ich sollte...

„Tu doch nicht so, als würde es dich nicht auch interessieren", fuhr Rey fort. „Außerdem hast du jeden Brief gelesen und aufgehoben, ich bin sicher, das ist schon in irgendeiner Weise strafbar. Und willst du mir wirklich erzählen, dass du nicht jeden Mittwoch und Sonntag auf neue Briefe wartest?"

„Klar tu ich das", entgegnete ich. „Aber ich brauch nicht noch ein Drama in meinem Leben. Wahrscheinlich hat die Frau die Polizei informiert und die kümmert sich darum. Ich bin schon genug Babysitter. Ist nicht meine Angelegenheit. Ich lese die Briefe nur, weil sie mich amüsieren."

„Sie amüsieren dich?", hakte Rey halb besorgt, halb belustigt nach. „Dann bist du mindestens genauso ein Psychopath, wie der Typ, der die Briefe schreibt, amigo."

Der Stalker meiner VormieterinWo Geschichten leben. Entdecke jetzt