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Natürlich glaubte Mal mir auch diesmal kein Wort meiner Erklärung, warum ich nicht bei der Arbeit erscheinen konnte, aber ich versprach ihm, dafür an einem meiner freien Tage zu arbeiten.

Am späten Nachmittag kam Rey vorbei und lauschte ungläubig den Dingen, die ich ihm zu erzählen hatte.

„Ich hab's dir gesagt", fiel dabei etwa zwanzig Mal und ich konnte nichts darauf erwidern.

„Und was passiert jetzt?", fragte er schließlich und ich zuckte mit den Schultern.

„Abwarten. Detective Cruz sollte sich in den nächsten Tagen bei mir melden. Sie wird mich auf dem Laufenden halten."

Ich war zwar auf dem völlig falschen Dampfer gewesen, als ich geglaubt hatte, dass Alainas Stalker in ihrem alten Haus wohnte, aber ich hatte das Rätsel dadurch trotzdem gelöst, auch, wenn es nur zufällig geschehen war. Wren Johnson würde auch Zeuge des Prozesses werden. Ich hoffte, dass er Alaina nicht alles Schlechte anhängen und sie wie eine Irre darstellen würde.

Mehr hatten Rey und ich dazu nicht mehr zu sagen und saßen eine Weile einfach nur im Stillen auf der Couch. Ich war immer noch müde, obwohl ich von fünf Uhr morgens bis vier Uhr geschlafen hatte. Etwas fühlte sich seltsam an. Als hätte gestern Abend nie stattgefunden.

„Lia hat mich heute angerufen", sagte er irgendwann. „Sie meinte, du warst nicht auf der Arbeit. Sie hat sich Sorgen gemacht. Sie hat sogar geklopft, aber du hast die Türe nicht geöffnet."

„Weil ich geschlafen habe", gab ich ungerührt zurück. „Das hättest du nach den Strapazen des gestrigen Abends auch getan."

„Ich finde nur, du solltest ihr endlich sagen, was los ist."

Ich rieb mir den Nacken. „Ich weiß."

„Was hält dich ab?" Er warf einen Blick auf die Uhr. „Sie ist schon von der Arbeit zurückgekommen. Geh rüber und rede mit ihr."

Die ganze Sache mit Alaina hatte nur meine eigenen Unsicherheiten geschürt und ich fragte mich, ob es die Sache überhaupt Wert war. Warum hätte Juliana sich mit einem Clown wie mir abgeben sollen, während sie um einen super Typen trauerte, der vor ein paar Monaten gestorben war? Vielleicht würden wir sowieso nicht funktionieren, so wie Liv und ich nicht funktioniert hatten.

„Was ist, wenn sie mir nicht glaubt?", fragte ich. „Wer würde mir so eine irre Geschichte schon abkaufen?"

„Magst du sie?", fragte Rey und sah mir in die Augen.

„Was?" Ich legte die Stirn in Falten. „Natürlich mag ich sie."

„Dann hör auf mit den Ausflüchten. Sie wird dir bestimmt glauben, weil sie dich auch mag. Anstatt wie ein kleiner Junge hier zu sitzen und ein Problem zu vermeiden und anstatt nur von einem tollen Mädchen zu träumen, werd' endlich erwachsen und sei ein Mann, der der Frau seiner Träume nachjagt, bis er sie eingefangen hat!"

Ich zog die Augenbrauen in seine Richtung hoch. „Rey, Alter... Mir war nicht klar, wie schwul du bist." Er verdrehte die Augen. „Gibt es dieses geschwollene Vokabular gratis dazu, wenn man dem Regenbogen beitritt?"

Er lächelte mich böse an. „Schön zu wissen, dass du wieder ganz der Alte bist. Und jetzt geh da rüber und rede mit deiner blauhaarigen Traumfrau!"

Er deutete mit dem Daumen auf meine Wohnungstüre und ich fand, dass er recht hatte. Also rappelte ich mich auf, ließ Rey in meiner Wohnung sitzen und stürzte ans Ende des Flurs, bevor ich es mir anders überlegen konnte und klopfte an Julianas Türe.

Sie öffnete beinahe sofort und war augenscheinlich erleichtert über mein Auftauchen.

„Simon! Alles okay? Du- du warst nicht bei der Arbeit und hast die Türe nicht geöffnet, als ich geklopft habe, ist... ist alles in Ordnung?"

„Ja..." Dann schüttelte ich den Kopf. „Nein, eigentlich nicht."

Sie sah mich unsicher an, vielleicht, weil sie immer noch nicht bereit war, sich mit etwas herumzuschlagen, das ich ihr nicht sagen konnte.

„Hast du... Lust einen Kaffee trinken zu gehen?", fragte ich. Sie sah mich irritiert an und strich sich eine blaue Haarsträhne hinters Ohr.

„Du hasst Kaffee."

„Stimmt, aber ich mag dich und ich weiß, dass du Kaffee magst." Sie lächelte mild und wollte etwas Ablehnendes erwidern, das sah ich ihr an, doch ich kam ihr zuvor. „Ich verspreche, dass ich dir alles erzählen werde. Alles, was in den letzten Wochen bei mir los war. Alles über Alaina. Und ich spendiere dir sogar ein Truthahnsandwich obendrauf."

Sie unterdrückte ein Grinsen, ging aber nicht auf meinen letzten Kommentar ein. „Woher der Sinneswandel?"

„Mein Gewissen trägt eben den Namen Diego Reynolds." Ich zuckte unschuldig mit den Schultern. „Aber du musst aufgeschlossen an die Sache herangehen, sonst wird das nichts. Diese ganze Geschichte ist ziemlich... verrückt. Und ein bisschen unglaubwürdig, aber sie ist wahr. Das schwöre ich bei meinem Hund!"

Sie betrachtete mich noch einen Augenblick lang und ich wollte mir nicht zu große Hoffnungen machen, weil ich glaubte, dass sie ohnehin ablehnen würde. Ihr Blick verriet, dass sie eigentlich keine große Lust hatte, sich eine unglaubwürdige, verrückte Geschichte aus meinem Mund anzuhören und sich einen Kaffee und ein Truthahnsandwich spendieren zu lassen. Vielleicht hätte ich diese Vorwarnung nicht aussprechen sollen.

Sie schloss die Augen, stieß den Atem aus und als sie wieder aufsah, lächelte sie. „Also, schön." Sie griff sich ihre Handtasche vom Haken und die Schlüssel von der Kommode. „Das Truthahnsandwich lehne ich dankend ab, aber... Ich bin schon sehr gespannt auf deine verrückte, unglaubwürdige Geschichte, Simon Parker."

Der Stalker meiner VormieterinWo Geschichten leben. Entdecke jetzt