Jedes Mal, wenn Alaina nicht in unserer Nähe war, erzählte ich Rey die Ungereimtheit.
„Warum sollte sie mich belügen?", fragte ich. „Warum behaupten, dass sie ihre Ausbildung aufgegeben und diesen Job angenommen hat, wenn sie offensichtlich schon viel länger hier ist? Wer weiß schon, ob sie jemals eine Ausbildung zur Krankenpflegerin angefangen hat?"
„Vielleicht war es ihr unangenehm", mutmaßte er und kaute an einem Minzblatt herum. „Vielleicht wollte sie, dass du glaubst, dass sie einmal höhere Berufsziele hatte, als in diesem Schuppen zu kellnern. Oder sie hat dir zu dem Zeitpunkt nicht vertraut, sondern geglaubt, dass du der Stalker bist und wollte deine Reaktion testen. Als ihr Stalker hättest du bestimmt gewusst, dass es Blödsinn ist."
Da war was dran.
Aber was hatte es mit dem geheimnisvollen Typen auf sich, der Alaina erst glücklich und dann todunglücklich gemacht hatte? Sie hatte mir nie von so jemandem erzählt, was mich nicht weiter überraschte, schließlich kannte sie mich kaum und ich erwartete nicht, dass sie mir ihr gesamtes Herz ausschüttete. Aber war es möglich, dass dieser Kerl sie nun stalkte? Dass sie mit ihm zusammen gewesen war und er ein mögliches Ende der Beziehung nicht verkraftet hatte? Nein, unmöglich, den Stalker hatte sie doch schon viel länger... Aber das schloss diesen Kerl als Täter nicht aus, oder?...
Kannte Alaina ihren Stalker?
War das der Grund, warum sie die Polizei nicht hatte alarmieren wollen? Weil sie ihn kannte? Vielleicht hatte sie ihn wirklich gerne gehabt. Vielleicht mochte ein Teil von ihr ihn immer noch?
Das waren die Fragen, die mir unentwegt im Kopf herumschwirrten und sie ergaben vorne und hinten keinen Sinn.
Hatte sie gelogen? Wusste sie, wer sie verfolgte? Aber warum eine solche Information zurückhalten?
Ich war zwar schon ziemlich gut mit Alkohol bedient, aber ich war mir sicher, dass all das auch wenn ich nüchtern gewesen wäre, keinen Sinn ergeben hätte.
Aber was sollte ich nun tun? Sollte ich Alaina darauf ansprechen oder sollte ich ihre Privatsphäre respektieren? Zur Hölle damit, wir steckten mittlerweile beide da drin! Sie hatte kein Recht mehr, mir irgendetwas zu verheimlichen.
Sollte ich warten, ob sie mir bald selbst die Wahrheit sagen würde? Würde ich mich überhaupt noch damit befassen müssen, sobald die Polizei mit der Spurensicherung fertig war? Würde Alaina aus meinem Leben verschwinden und den Stalker mitnehmen?
Ich blieb, bis ihre Schicht zu Ende war. Das bedeutete, dass es noch einige Rum-Cola in meinen Körper schafften und ich konnte den Kater beinahe schon spüren, als ich gegen fünf Uhr auf die Couch fiel und daran dachte, dass ich in drei Stunden wieder würde aufstehen müssen.
Als ich die Augen beim Klingeln meines Weckers aufschlug, glaubte ich, nur zehn Sekunden geschlafen zu haben. Die Türe zu meinem Zimmer war geschlossen und ich beneidete Alaina dafür, dass sie einfach so weiterschlafen durfte, während ich mich zur Arbeit mühen musste. Ich taumelte ins Bad und übergab den Rest, den mein Magen noch hergab, klatschte mir kaltes Wasser ins Gesicht und kämpfte mich mühsam aus den Sachen, die ich gar nicht erst ausgezogen hatte. Für eine Dusche war keine Zeit und weil ich nicht halbnackt in mein Zimmer wollte, während Alaina darin schlief, kramte ich im Wäschekorb nach Sachen, die noch akzeptabel rochen, sprühte sie mit dem Parfüm ein, das ich mir normalerweise für Dates aufsparte und setzte mir eine Sonnenbrille auf.
„Komm mit", murrte ich und nahm Loaf an die Leine, die schon bei ihrer Futterschüssel gewartet hatte. „Ich bin ohnehin schon spät dran und kann noch nicht Autofahren. Wir müssen laufen. Ich füttere dich auf der Arbeit."
Der Weg in den Laden fühlte sich in der prallen Morgensonne und mit all den hupenden Autos um mich herum an wie mein Todesmarsch und das Glöckchen über der Türe der Tierhandlung würde ich bestimmt nach dem fünften Kunden runterreißen.
„Du riechst wie ein Schnapsladen", bemerkte Malcom angewidert, aber ich antwortete nicht. „Kater?"
„Nein, nur ein Hund." Ich stibitzte einen der Näpfe und eine Schale Hundefutter aus dem Regal.
„Das zahlst du."
„Zieh es von meinem Gehalt ab", murmelte ich und fütterte den hungrigen Köter. Dann ließ ich mich hinter der Kasse fallen und rieb mir die Schläfen. Ich wollte mich hier nicht wegbewegen. Nein, ich würde hier bleiben für den Rest des Tages und hoffen, dass mich bald ein Engelchen von meinen Qualen erlösen würde.
„Ich bezahl dich nicht fürs Rumsitzen. Die Aquarien müssen wieder gesäubert werden", sagte Malcom.
Ich ließ den Kopf auf die Tischplatte fallen. „Zeig doch Erbarmen! Nur heute."
„Wer saufen kann, kann auch arbeiten."
„Und wenn du vögelst, kannst du dann fliegen?"
Er stützte sich mit beiden Händen auf dem Tresen ab und ich sah zu ihm hoch. „Aquarien. Putzen. Jetzt!" Er drehte sich um und verschwand im Laden.
Das würde ein langer Tag werden.
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Der Stalker meiner Vormieterin
Teen FictionFür Simon hat eben erst ein neues Leben angefangen. Endlich frei von dem Dauerkrieg Zuhause und frisch von seiner Freundin getrennt, will er sich, nicht zu weit weg, ein eigenes Leben aufbauen, auch, wenn er noch nicht so recht weiß, wie das aussehe...